„Schaffen es auch ohne Kirchturm“

- Sartorius
- Foto: Werner Pelz
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Seit 20 Jahren führt Julian Sartorius die Amtsgeschäfte der evangelischen Pfarrgemeinde Klosterneuburg. Seine Frau Heidi unterstützt ihn. Auch sie ist ausgebildete Pfarrerin. Das Bezirksblatt sprach mit dem Amtsträger.
BEZIRKSBLATT: In der Reformationszeit war Klosterneuburg samt den Stiftsherren mehrheitlich evangelisch. Heute zählt die evangelische Gemeinde 1800 Mitglieder. Wie ist das Auskommen mit der katholischen Mehrheit?
PFARRER JULIAN SARTORIUS: „Es gibt ein gutes geschwisterliches Miteinander. Die Häufigkeit der gemeinsamen Feiern hat sich in den letzten zehn Jahren aber leider etwas reduziert. Ich führe das auf ein gewandeltes Selbstverständnis und bestimmte Vorgaben von außen zurück.“
BEZIRKSBLATT: Gibt es in Klosterneuburg Berührungspunkte zu anderen Konfessionen, etwa dem Islam, der Orthodoxie und dem Judentum?
JULIAN SARTORIUS: „Interessanterweise gar nicht. Die genannten Religionsgemeinschaften treten hier nicht merklich in Erscheinung.“
BEZIRKSBLATT: Was sagen Sie zur derzeitigen Diskussion um die Errichtung von Minaretten?
JULIAN SARTORIUS: „Da werden Fronten aufgezogen, die nicht sinnvoll sind. So eine entzweiende Diskussion ist in einem Wahlkampf völlig kontraproduktiv. Österreich hat aber traditionsbedingt eine Islamgesetzgebung, die mehr Rechte als andere Länder gewährt.“
BEZIRKSBLATT: Sollte der Forderung nach mehr Minaretten seitens einiger Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaft nachgegeben werden?
JULIAN SARTORIUS: „Ein Minarett ist ja kein Statussymbol. Wir Evangelische in Klosterneuburg schaffen es auch ohne Kirchturm. Aber grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden. Hier geht es ja um bestmögliche Integration.“
BEZIRKSBLATT: Wie sieht es mit Kirchenaustritten in Ihrer Gemeinde aus?
JULIAN SARTORIUS: „Die Evangelischen in Klosterneuburg sind eine wachsende Schar. Das hängt aber auch mit dem starken Zuzug aus Wien zusammen.“
BEZIRKSBLATT: Sie sind seit 20 Jahren amtsführender Pfarrer hier. Ihre Frau, ebenfalls Pfarrerin, unterstützt Sie bzw. unterrichtet Religion im Gymnasium. Gibt es manchmal Reibereien theologischer oder organisatorischer Natur?
JULIAN SARTORIUS: „Wir diskutieren manchmal theologische Fragen. Organisatorische Leitungsaufgaben werden in unseren sehr demokratisch ausgerichteten Gremien gemeinschaftlich entschieden. Das sind unter Umständen langwierige Prozesse, bei der eine Mehrheitsfindung am Ende steht. Das Ergebnis wird dann aber von allen mitgetragen, was zu einer enormen Nachhaltigkeit führt – und das ist das Entscheidende.“
BEZIRKSBLATT: In den österreichischen Kirchen wird gern über den Kirchenbeitrag „gematschkert“. Ist der noch zeitgemäß?
JULIAN SARTORIUS: „In der evangelischen Kirche bestreitet man damit fast ausschließlich die Gehälter der PfarrerInnen, der pensionierten geistlichen Amtsträger, ihrer Witwen und Waisen. Wir stehen hier schon mit dem Rücken zur Wand, da die Mittel knapper werden.“
****Interview: Werner Pelz
Kritik, Anregungen, Wünsche an: wpelz@bezirksblaetter.com / Tel.: 0676 700 11 75****
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Zur Sache
Historisches
Am 15. Dezember 1901 wird erstmals nach der Zeit der Gegenreformation im Tanzsaal des Herzogshutes (Gaststätte an der Stelle der heutigen Babenbergerhalle) wieder ein evangelischer Gottesdienst in Klosterneuburg gehalten. Ab 19. September 1903 werden die Evangelischen als Tochtergemeinde der evang. Pfarrgemeinde Wien-Währing geführt. Ab 1903 Selbstständigkeit. Fertigstellung des Pfarrhauses 1908.1995 wird eine sehenswerte Kirche errichtet. Alle Leitungsgremien (Gemeindevertreter, Presbyterium), aber auch Pfarrer und Kurator werden gewählt.


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