Schwester vom Telfer Künstler Heinrich Tilly
Marlene Tilly Hobeck – Tillys Schwester in den USA

In einem Lokal in einem Geschäftsviertel in San Francisco übte die gebürtige Telferin Marlene Tilly-Hobeck ihr Kunsthandwerk aus. | Foto: Privat
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  • In einem Lokal in einem Geschäftsviertel in San Francisco übte die gebürtige Telferin Marlene Tilly-Hobeck ihr Kunsthandwerk aus.
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TELFS. Auf einen Bericht im Bezirksblatt über den Künstler Heinrich Tilly (90) stieß seine Schwester in den USA: Marlene Tilly Hobeck aus San Francisco, geboren 1937 im Ortsteil Emat. BEZIRKSBLÄTTER sendeten den Bericht nach Amerika – und wir waren neugierig. Die 84-Jährige ist selbst Künstlerin, sie erzählt von ihrer Kindheit in Telfs, aufgeteilt auf mehrere Mails - "Dear Mr. Larcher I am back with my recollections." So erzählt sie in Etappen von damals. Wir wollen Ihnen, lieber LeserInnen, diese Zeitreise nicht vorenthalten.

Marlene Tilly Hobeck ist keine Unbekannte in Übersee. So wie Heinrich Tilly in Tirol, machte Hobeck mit ihren Kunstwerken auch in den USA Schlagzeilen, landete einmal mit einem Beitrag über ihre Stickerein im "San Francisco Chronicle". Sogar der weltbekannte TV-Star Oprah Winfrey (sorgte kürzlich mit ihrem Interview mit Prinz Harry und seiner Frau Megan für Aufsehen) besitzt ein Kunstwerk von der ehemaligen Telferin: "Ich habe vor einigen Jahren ein Kissen für die beiden Hunde von Oprah Winfrey angefertigt, auch dazu sendet sie Fotos. Auch für Arnold Schwarzenegger fertigte Tilly ein Kissen, ein Geschenk für die Großmutter der Kinder, Eunice Shriver.

Derzeit ist Marlene Tilly Hobeck mit handgestickten Krippenfiguren beschäftigt.

Beschreibung des Ortsteil Emat

In mehreren Mails beschreibt Hobeck wie die Straßen ihrer früheren Heimat hießen, wer wo wohnte, erinnert sich an viele Namen. Ihre Kindheit verbrachte Marlene am Telfer Emat, vor 80 Jahren war alles anders, erzählt sie: "Was heute die Niedere Munde Straße ist war damals die Emat Straße. Die Straße begann beim Baeckn Siml. Dort zweigte die Staße von der Hauptstraße ab. Der Beackn Siml hatte eine Bauerschaft mit ein paar Kühen. Seine Frau hatte ein kleines Lebensmittelgeschäft", erinnert sich Marlene: "Meine Mutter hat dort eingekauft. Gegenüber vom Baeckn Siml auf der linken Seite der Straße war das Haundlhaus. Ich liebte dieses Haus weil es hatte immer viele Schwalbennester unterm Dach. Es war so schön sie bis zum Herbst zu beobachten. Die Ematstraße began mit dem Haundl Bichel. Nach dem Baeckn Siml kam der Nassereiter, nach dem Nassereiter auf der rechten Seite der Straße war der Munalar. Gegenüber auf der linken Seite der Straße war wieder ein Haundlhaus. Nach diesem Haus kam die Pischl Fabrik. Der Munaler war auch ein Bauer. Die Munalar hatten ein paar Kühe, einige Schafe und ein Schwein. Die Munalar Seffa sagte mir einmal, wenn das Schwein im Winter abgestochen wurde, war sie drei Tage krank. Das Schwein ging ihr sehr ab."

"Ich glaube es ist das Haus vor dem Zuber (Stubenböck). In diesem Haus wohnten später Familie Mair und Familie Falkner", weiß Marlene zu diesem Bild. | Foto: Archiv Dietrich
  • "Ich glaube es ist das Haus vor dem Zuber (Stubenböck). In diesem Haus wohnten später Familie Mair und Familie Falkner", weiß Marlene zu diesem Bild.
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Nach dem Munalar kam das Steffelhaus, setzt Hobeck ihre Beschreibung fort: "Das Steffelhaus hatte zwei Besitzer. Den Steffl und den Sturm. Das nechste Haus was der Pollinger. Die Bewohner waren der Pollinger Seppl und die Pollinger Rosa. In der Mitte des Ortsviertel Emat war eine Kapelle, genannt Ematkapelle. Die umliegenden Häuser waren das meiner Eltern, der Lott, der Blasi, der Zuber, der Taich, der Schneiderle, der Gutscher, der Hosp, der Professor Schöpf, der Zunser. Das Zunser Haus war ein Wohnhaus mit mereren Mietern, darunter war die Familie Zauner. Die Frau Zauner hatte eine wunderschöne Stimme. Sie öffnete das Küchenfenster und sang die schönsten Arien, die waren für die ganze Nachbarschaft zu hören. Für meine Mutter war sie der Wetterbericht. Wenn meine Mutter sie hörte, sagte sie: jetzt schlägt sich das Wetter um. Ein anderes Haus war das Moninger Haus. In der Ematkapelle wurde in der Fastenzeit jeden Tag der Kreuzweg gebetet. Die Monigs Rosa war immer die Vorbeterin. Die Bewohner des Emats waren die Ematkapellar. Wenn ein Ematkapellar starb, wurde am darauffolgenden Sonntag in der Kapelle ein Rosenkranz gebetet. Nach der Litanai betete man einen Vaterunser für den nächsten Ematkapellar der sterben wird. Jeder fragte sich: bin es ich."
Ihr Vater war mit 13 Jahren ein Schwabenkind und ein Soldat im ersten Weltkrieg, dann ein Kriegsgefangener in Italien, schreibt sie: "Wir wissen fast nichts davon. Er hat nie darüber gesprochen. Er hatte keine Zuhörer. Heute würde mich das alles interessieren."

Das Bild zeigt die Telfer Schützen in Innsbruck mit Gauleiter Hofer und Buergermeister Stockmeier, weiß Marlene Tilly Hobeck: "Mein Vater ist in der letzten Reihe der dritte von links nach rechts. Der sitzende Bub links glaube ich ist mein Bruder Konrad Tilly." | Foto: Archiv Dietrich
  • Das Bild zeigt die Telfer Schützen in Innsbruck mit Gauleiter Hofer und Buergermeister Stockmeier, weiß Marlene Tilly Hobeck: "Mein Vater ist in der letzten Reihe der dritte von links nach rechts. Der sitzende Bub links glaube ich ist mein Bruder Konrad Tilly."
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Gute Kinderjahre

Ich hatte gute Kinderjahre, setzt Hobeck ihre Erzählung fort: "Ich bin im neu gebauten Haus geboren. Acht und sieben Jahre später als meine zwei Brüder Konrad und Heinrich Tilly. Meine Mutter Anna Tilly geb. Scharmer, erbte den Bauplatz. Mein Vater Heinrich Tilly hatte eine sichere Anstellung bei der Lodenfabrik Franz Pischl. Alles war gut."
Meine ersten Jahre verbrachte ich in der Aufsicht meiner Mutter und meiner Tante Blanka Sharmer und in der Gesellschaft ihres Sohnes Franz Scharmer. Meine Mutter und ihre Schwester Blanka waren Nachkommen der Lummaler Familie. Ihr Großvater war Schmied und Besitzer der Lumma Schmiede, die heute noch dort ist. Die Großmutter war Magdalena Rattacher. Die Eltern meiner Mutter und Tante Blanka waren Heiririch Scharmer und Sofie Scharmer geb. Rattacher. Tante Blanka war Krankenschwester. (...) Tante Blanka machte viele Ausflüge mit uns Kindern Wir gingen in die Seiwoada. Es war der Grund wo heute die Südtiroler Siedlung ist. Es war ein schöner Spielplatz. Es war ein Bach mit vielen Stauden und vielen Vogelnestern. Wir gingen ins Buch in den Zimmerbrg, dort waren Erdbeeren, Spechte, die wir beobachten konnten, und dort hörten wir einen Kukuck. Wir gingen ins Wassertal zur Märchenwiese nach Birkenberg wo wir ein Negerlein sahen. Es war für uns Kinder eine schöne und gute Zeit.

Franz Scharmer und Marlene Tilly

Lebensmittelpunkt Küche

"Dear Mr Larcher here we go again", setzt Hobeck im nächsten Mail fort: "Vor ungefähr 80 Jahren lebte ich mit meinen Eltern, zwei Brüder und Basl Maria im Haus. Maria hatte ein Zimmer im ersten Stock, verbrachte den Tag mit uns. Sie war für mich die Großmutter. (...)
Auf der Westseite des Hauses hatte meine Mutter den Gemüsegarten. Sie pflanzte Salat, Gelbrüben, Karfiol, Kraut usw. Mein Vater hatte dort ein paar Rosenstöcke. Er liebte Rosen. Auf der Südseite des Hauses hatten wir viele Johannesbeerstauden. An der Ostseite des Hauses war ein Bienenhaus, ein paar Obstbäume und ein Kartoffelacker. Auf der Nordseite war die Einfahrt und die Surgrube. Wir hatten bereits eine Wasserspülung im Abort. Wen die Surgrube voll war, musste mein Vater sie händisch entleeren. Er hatte an einem langen holzernen Stiel einen holzeren Kübel befestigt. Ein Kübel um den anderen. Die Sure schüttete er in den Kartoffelacker. Im Herbst ernten wir die Kartoffel und lagerten sie in einer Kiste im Keller. Ebenso die Äpfel die Krautkoepfe die Rüben. Den Entiviesalat wickelte meine Mutter in Zeitungpapier vor der Lagerung. Wir hatten lange einen Salat. Im Herbst wurden die Tage kurz und die Nächte lang, wir verbrachten die meiste Zeit im Haus. Die Küche war der einzige Raum der geheitzt war. Wir waren alle in der Küche. Wir hatten einen Sparherd, der den ganzen Tag gefüttert werden musste.

Marlene Tilly

Im Herbst musste meine Mutter sich schon Gedanken machen über Weihnachten. Sie konnte nicht in ein Geschäft gehen und Geschenke kaufen. Ein sicheres Geschenk war immer ein paar Socken, gestrickte Handschuhe und eine gestrickte Kappe. Meine Mutter erhielt von jemand Schafwolle. Ich weiß nicht, ob sie gewaschen war oder ob sie die Wolle waschte. Ich weiß nur, wir gingen mit der Wolle zu jemand, der sie spinnfähig machte. Im Haus von Stangle Agnes (Agnes Rattacher) war jemand, der die Wolle cardete. Das Haus war neben der Pfarrkirche. Ich begleitete meine Mutter, wenn sie die Wolle hinbrachte und wieder abholte. Im Schöpf-Haus neben uns lebten im Parterre zwei Frauen. Eine hat Mali geheisen die andere Goedl. Sie konnten Wolle spinnen. Meine Mutter gab ihnen die spinnbereite Wolle und sie spannen sie zu Strickwolle. Dann wurde bis Weihnachten gestrickt. 
Ein sicheres Weihnachtsgeschenk jedes Jahr waren auch ein paar Patschen (Hausschuhe). Meine Mutter hatte Leisten in verschiedenen Größen. Mein Vater brachte manchmal Loden Reste oder Wollstoff mit Webfehler nach Hause. Mit diesen machte sie für die ganze Familie Patschen. Aus Mehl und Wasser machte sie Klebestoff, welche die Innenseite und die Außenseite der Patschen zusammen hielt. Die Sohlen hat sie mit der Hand angenäht. Ich habe ihr zugeschaut."

"Die Küche war im Winter der einzige warme Raum"

Alles hat sich dort abgespielt. Basl Maria, die im Haus ein Zimmer hatte, hat gestrickt oder Socken gestopft, meine Mutter hat genäht, mein Vater und meine Brüder haben Karten gespielt. Wir hatten kein Radio. Man hat miteinander gesprochen. Zu uns kam nie der Nikolaus. Es kam Knecht Ruprecht. Es war ein Mann mit einen langen Bart. Er hatte einen Ruckkorb mit zwei gestopften Kinderstrümpfe heraus hängen. Er nahm unfolgsame Kinder mit. Ich konnte nie verstehen, weil meine Mutter immer den Raum verließ, gerade bevor Knecht Ruprecht kam. Einmal habe ich sie erkannt und Knecht Ruprecht kam nicht mehr. Von dort an haben wir die Schuhe vor der Wohnungstür gelassen, und ein unsichtbarer Nikolaus hat die Schuhe gefüllt mit einen Lebkuchen Äpfel und ein paar Nüsse.

Weihnachtsfeier zur Kriegszeit

Vor Weihnachten gab die Firma Pischl eine Weihnachtsfeier für die Arbeiter und deren Kinder. Ich kann mich nicht erinnern wie die Feier abgelaufen ist. Es war noch Kriegszeit. Wahrscheinlich mit vielen Reden. Am Ende bekam jedes Kind ein handangefertigtes Spielzeug. Im ersten Jahr bekam ich einen bunt gemalten holzernen Guggalar (Hahn) auf Rädern zum ziehen. Im zweiten Jahr eine Puppenwiege, im dritten Jahr einen Kleiderkasten für Puppenkleider. Wir hatten alle eine große Freude.
Einmal war in der Nachbarschaft im Advent eine Herbergsuche. Es leutete die Wohnungsglocke. Meine Mutter und ich ging zur Tür. Es war am späten Nachmittag und bereits dunkel. Vor der Tür stand eine Frau mit einen Muttergottesbild. Sie fragte meine Mutter, ob wir die Muttergottes beherbergen könnten. Meine Mutter nahm das Bild und stellte es in der Küche an einen Ehrenplatz auf. Am Abend sagten wir ein Gebet. Am nächsten Tag trug meine Mutter das Bild zu einer anderen Familie. Ich weiß nicht wie viele Familien an der Herbergsuche beteiligt waren.

"Wir waren frei"

"Das beste Jahr meiner Kindheit war das Jahr vor dem Beginn der Pflichtschule", schildert Marlene weiter und nennt die Namen aus einer Gruppe von Kindern, mit denen sie die Freizeit verbrachte: Munaler Emma (Emma Heigl), Steffl Landa ( Hirlande Spiegel), sie war die Enkelin von Steffl Rosa. Schöpf Christel (Sterzinger Christel) war die Enkelin von Prof Schöpf, Tochter von Gretel Sterzinger geb Schoepf. Christels Vater ist im Krieg gefallen. Heiss Rita, Schneiderle Erika (Part Erika), Gutscher Ida, Roeck Erika (Erika Stubenboeck) ich und Stehno Helmut.
"Unsere Eltern haben am Morgen die Tür aufgesperrt. Nach dem Frühstück waren wir auf uns selber angewiesen. Niemand hat uns gefragt wohin wir gehen. Niemand hat sich um uns Sorgen gemacht. Niemand hat uns irgendwo hinbegleitet oder abgeholt. Niemand hat uns beaufsichtigt. Wir waren frei. Wir hatten eine Freiheit welche die heutigen Kinder nicht haben. Wir hatten keine Spielsachen, keinen Ball, keinen Roller, kein Buch, keinen Bleistift oder Farbstifte, kein Papier. Wir mussten uns selber unterhalten. Im Winter waren wir den ganzen Tag in der Wiese vor unserem Haus rodeln. Die Wiese war nicht flach, ein perfekter Platz zum Rodeln. Im Frühjahr, wenn nach einem Regen die Erde feucht war, haben wir uns mit der Erde beschäftigt. Wir haben Figuren gemacht, wir haben Knödel gekocht und Kuchen und Kekse gebacken. Nach einem Platzregen gingen wir auf die Straße und ließen das Wasser über unsere Füße laufen. Die Straßen waren nicht asphaltiert, es rannen kleine Bäche der Straße entlang. Dann kam der Wegmacher und hat den Weg wieder gerichtet. Wir hielten uns auch viel im Wald hinter dem Emat auf. Der Ematboden war damals kein Sportplatz. Wir waren oft am Ematboden. Es waren oft auch andere Kinder dort. Die Buben haben immer Krieg gespielt. Sie haben sich hinter Bäumen und Kramatstauden versteckt. Sie haben sich gegenseitig ausfindig gemacht und dann erschossen. Wir haben zugeschaut.
Es war wie im Wilden Westen."

Foto im Jahr der absoluten Freiheit. Aufgenommen im Hinterhof von Munalar. Links oben mein Geburtshaus.  | Foto: Privat
  • Foto im Jahr der absoluten Freiheit. Aufgenommen im Hinterhof von Munalar. Links oben mein Geburtshaus.
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Tag der Ersten Kommunion - im Luftschutzkeller

"Um 8 Uhr war die Messe in der Pfarrkirche. Der Koprator, der uns zu diesem Ereignis vorbereitet hat, gab die Predigt. Ich habe seine Worte nie vergessen: Gott erlaubte drei Menschen einen Wunsch. Der Erste wünschte sich ein langes Leben. Der Zweite wollte viel Geld. Der dritte Mensch wünschte sich ein heiteres Gemüt. Nach dem Frühstück hat Munalar Hanni (Neuner Hanni) mich und Munalar Emma vor der Emat Kapelle fotografiert. In der nächsten Minute ging die Sirene bei Pischl. Wir liefen zum Luftschutzkeller in der Südtiroler Siedlung. Um 3 Uhr Nachmittag war dann die Entwarnung. Der Luftschutzkeller war ein langes Loch. Die erste paar Meter hatten Beton-Wände. Dann war es nur Erde. Das Wasser tropfte herunter. An beiden Seiten der Höhle waren Holzbretter als Bänke. In weißen Kleidern verbrachten wir den Tag."

Am Tag der Ersten Kommunion.

Foto von Hitler

Eine Episode aus der Schule wollte Marlene noch los werden: "This is just for fun but i think it is interesting" – und Sie erzählt: "In der 2. Klasse Volksschule hatten wir eine unfeine Lehrerin. Wir hatten alle ein bisschen Angst, etwas falsches zu tun. Unsere Klasse war im Vereinshaus. Wenn eine Schülerin eine gute Hausaufgabe zum Unterricht brachte, klebte die Lehrerin nach der Ansicht ein Foto von Hitler in das Heft. Es wurde von der ganzen Klasse bewundert. Ich konnte nicht verstehen, warum meine Hausaufgabe nie ein Foto bekam. Ich habe mich immer gefragt was ich falsch mache. Nach 70 Jahren war ich endlich fähig, dieses Rätsel zu lösen und meine Frage zu beantworten. Die Schülerinnen, deren Eltern Nazi waren, erhielten ein Foto. Das zu wissen war direkt eine Erleichterung."

Mit 14 Jahren Arbeiterin

"Nach Beendigung der Hauptschule im Kloster der Armen Schulschwestern in Pfaffenhofen hatte ich keine Möglichkeit für eine weitere Schulausbildung. Meinen Eltern fehlte einfach das Geld dazu. Ich hatte zwei Brüder, die studierten. Ich fing mit 14 Jahren an zu arbeiten. Ich trat in die Lehre bei  Schneidermeister Ferdinand Holzer, um das Schneiderhandwerk zu lernen. Herr Holzer hatte eine Werkstatt im Haus von Alois Neuner im Emat. Die Werkstatt bestand aus einem Raum. Im Raum war ein gemauerter Ofen mit einer Ofenbank, ein Zuschneide-Tisch, ein Bügeltisch, zwei Nähmaschinen und ein kleiner Arbeitstisch. In diesem Raum arbeiteten Schneidermeister Holzer, Gehilfe Alfons Schatz, Hellwert Toni und Helene Walser und ich, der Lehrling. Mein Gehalt war 15 Schilling in der Woche. Nach 3 Jahre machte ich die Gesellenprüfung. Ich war dann noch ein Jahr Gehilfin. Während mein Gehilfen-Jahr sah ich den italienischen Film Enrico Caruso. Ich war so beeindruckt von der italienischen Sprache und Italien, dass ich mich entschloss, diese Sprache zu lernen."

Vier Jahre in Sizilien - dann London

"Im Mai 1956 begleitete mich mein Vater zum Telfer Bahnhof. Ich war auf den Weg nach Sizilien in das Land der Mafia oder wie Goehte es beschrieb: "Das Land, wo die Zitronen blühen im dunklen Laub die Goldorangen glühn." Ich wurde Betreuerin von zwei kleinen Buben. Die Fahrt nach Catania dauerte 32 Stunden. Die Familie wohnte in einem Palazzo. Alles was in Tirol aus Holz ist, war dort aus Marmor. Der Großvater der Kinder war Bürgermeister von Catania, bis Mussolini zur Macht kam. Die Familie ging bis in das 13. Jahrhundert zurück. Die Familie besaß große Orangenplantagen. Den Sommer verbrachten wir in einer Ville am Meer. Im Herbst übersiedelten wir auf einer Zitronen- und Pfirsich-Plantage am Ätna. Die Plantage hatte einen großen Weingarten und eine Bauernschaft. Den Winter verbrachten wir in Catania. Sizilien war mehr Arabien als Italien.
Ich blieb dort 4 Jahre. Es waren Jahre, die man nie vergisst. Nach Sizilien entschloss ich mich, die englische Sprache zu lernen. Ich nahm eine Stelle in London an. Ich betreute dort ebenfalls 2 Kinder. Nach Sizilien war London für mich nicht beeindruckend. Ich besuchte eine Abendschule für die englische Sprache legte eine Prüfung ab und fuhr nach einem und halben Jahr heim."
Zwei Wochen vor Weihnachten kam Marlene von England nach Telfs zurück: "Es war gut, wieder daheim zu sein. Ein paar Tage später bekam ich ein Arbeitsangebot von einer Innsbrucker Familie. Die Familie suchte eine Betreuerin für deren Kleinkind. Das Kind hatte Probleme mit der Verdauung. Die Mutter brauchte Hilfe. Ich nahm das Angebot an. Der Vater war Dr. Theo Seycora, er war Leiter der Röhrenwerke in Hall. Seine Frau war von der Frohnweiler Familie. Sie war eine überaus nette und gute Frau. Für neun Monate habe ich Peter betreut. Heute ist er Dr. Seycora an der Universitäts Klinik in Innsbruck. Ich habe erlebt ,wie er seine ersten Schritte machte. Es war in Mieders, inmitten einer Wiese."

Keine Zukunft in Telfs

"Nach 9 Monate Kinderbetreuung in Innsbruck war ich ein paar Monate arbeitslos. Eines Tages kam mich Herr Max Föger besuchen. Er brauchte jemand für seine Näherei. Ich nahm das Angebot an.
Während der Anstellung bei der Firma Föger bekam meine Mutter einen Besuch aus San Francisco. Meine Mutter gab nach dem Krieg Nähkurse und Nähunterricht. Es wurde meiner Mutter zuviel und sie brauchte Hilfe. In Innsbruck war ein Flüchtlingslager. Dort fand meine Mutter eine Näherin." Diese Näherin sollte Marlene schließlich den Weg in die USA ebnen.
"Ihr Name war Pepi Slanitz, sie kam aus Jugoslawien. Meine Mutter fand ein Zimmer für sie und gab ihr Arbeit. Als die Vereinigten Staaten für Flüchtlinge die Grenzen öffneten, wanderte Pepi Slanitz nach San Francisco aus. Sie blieb mit meiner Mutter in Kontakt. Während des Besuchs sagte sie mir, sie würde mir helfen, sollte ich auswandern wollen. Meine Mutter sagte mir: Wenn ich jung wäre, würde ich das Angebot annehmen. Ich nahm es an. Ich sah für mich in Telfs keine Zukunft."

"Man sagte mir: In die USA auswandern ist unmöglich"

"Ich fuhr nach Innsbruck zum Reisebüro. Ich fragte was ich tun muss um ein Visum zu bekommen. Der zuständige Herr sagte mir es ist unmöglich", schildert Marlene den schwierigen Weg, die Hürden bei der Einreise in die USA: "Nach einigen Wochen belästigte ich ihn wieder. Ich wollte nur wissen, was ich tun muss oder anfangen muss, um ein Visum zu bekommen. Er wurde geradezu böse mit mir. Er sagte mir: Amerika nimmt keine Einwanderer an. Jeder Versuch, ein Visum zu bekommen, ist erfolglos. Ich fuhr nach Wien. Ich besuchte eine Agentur und fragte um Hilfe. Die dortige Angestellte gab mir eine 20 Minuten lange Erklärung über Canada und Australien. Sie fragte mich was ich wähle. Ich sagte ihr USA. Sie wiederholte was mir der Angestellte in Innsbruck sagte. In die USA auszuwandern ist unmöglich. Ich ging zum Amerikanischen Konsulat. Ich fragte die zuständige Angestellte, ob es wirklich unmöglich ist, ein Einwanderungsvisum zu bekommen. Sie sagte mir, es is möglich. Sie gab mir einen Stoß Papiere zum ausfüllen. Ich tat alles, was erforderlich war, um ein Visum zu bekommen. Nach zwei Jahren fuhr ich wieder nach Wien und holte beim Konsulat das Visum ab. Im Juni 1967 fuhr ich wieder nach Innsbruck, ging zum Reisebüro, zeigte den selben Herrn, der mir damals sagte, es ist nicht möglich, ein Visum zu bekommen, das Visum. Es war ein dicker Briefumschlag mit dem Siegel der Vereinigten Staaten von Amerika."
Marlene kaufte eine Flugkarte nach San Francisco: "Das war der Weg nach San Francisco."

Glück in den USA

In San Francisco nahm die Telferin eine Anstellung an, bei einer alleinstehenden geschiedenen Frau mit einer 6 Jahre alten Tochter, schildert Marlene den weiteren Weg: "Die Frau arbeitete in einem Kaufhaus, wo niemand nach den Preis fragt. Sie war Modeberaterin. Wenn jemand ein Kleid benötigte zur Eröffnung der Oper, der San Francisco Symphonie, einer Hochzeit, dann wurde sie um Hilfe gefragt. Sie besuchte die Modewoche in New York und Mailand und bestellte dort Kleider für die Kundschaften in San Francisco. Sie brauchte jemand, auf den sie sich verlassen kann und ihre Tochter anvertrauen kann, wenn sie nicht in San Francisco ist. Ich war die Person. Sie war ebenso eine Gesellschaftsdame. Sie kannte jeden, der in San Francisco etwas war und jeder, der in San Francisco etwas war, kannte sie. Sie war hier sehr beliebt. Ich kam in eine Welt, die ich nicht kannte. Es war sehr interessant. Nach zwei Jahren lernte ich auf einer Party meinen Mann kennen, nach drei Jahren habe ich ihn geheiratet."

Hochzeit in den USA: Links John Caproni mit Marylin Scott, die Arbeitgeberin von Marlene (re.).  | Foto: Privat
  • Hochzeit in den USA: Links John Caproni mit Marylin Scott, die Arbeitgeberin von Marlene (re.).
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Näh-Lokal in San Francisco

16 Jahre hatte Marlene ihre Werkstatt im Wohnhaus: "Nach 16 Jahren hatten beide Kinder den Führerschein. Ich war kein Chauffeur. Ich hatte auch zu viel Arbeit. Ich brauchte Hilfe. Im Wohnhaus konnte ich keine Angestellten haben. Ich fand ein nettes Lokal in einem Geschäftsviertel in San Francisco. Ich konnte Näherinnen anstellen. Mit der Zeit waren wir ein Team von 16 Leuten. Wir blieben dort 13 Jahre. Es waren 13 interessante Jahre."

Polster für den Präsidenten

Marlene hat übrigens zwei Kinder und sieben Enkelkinder. Diese werden auch weiterhin die Kunstwerke von Marlene an vielen Stellen in den USA wiedersehen, etwa einen Polster für den Präsidenten a.D. Barack Obama: "Dieser Polster wird wahrscheinlich in seiner Presidential Library mit allen anderen Geschenken, welche er erhielt, ausgestellt werden. Meine Enkelkinder können ihn dort sehen."
Wie kam der Polster zum Präsidenten? Marlene schildert das so: "Mein  Bruder machte mir einen Entwurf. Eine Kundschaft von uns sah ihn. Sie sagte mir, ich soll einen sticken. Ihr Neffe ist in der Obama-Administration. Sie würde sich drum kümmern, dass der Präsident ihn bekommt.
Ich stickte einen. Der Neffe der Kundin schrieb den folgenden Brief:
Dear Carroll.
I want to tell you that I went to the W H today
On behalf of the President, please let Marlene know how appreciative he is of the gift."

Polster für Obama | Foto: Privat
Dankesschreiben aus dem Weißen Haus:
"Dear Carroll. 
I want to tell you that I went to the W H today
On behalf of the President, please let Marlene know how appreciative he is of the gift." | Foto: Privat
  • Dankesschreiben aus dem Weißen Haus:
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    I want to tell you that I went to the W H today
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