Podiumsdiskussion am Telfer Birkenberg
Telfs bot Bühne für Kunst und ihre Freiheit

Joachim Leitner moderierte "Der Kunst ihre Freiheit“ mit Marlene Streeruwitz (li.), Valery Tscheplanowa und Denis Yücel (re.). | Foto: Georg Larcher
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  • Joachim Leitner moderierte "Der Kunst ihre Freiheit“ mit Marlene Streeruwitz (li.), Valery Tscheplanowa und Denis Yücel (re.).
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Die Telfer Birkenberg-Bühne bot nach der letzten Aufführung der "7 Todsünden" nochmal eine Bühne: In einer Matinee am Sonntagvormittag, 13.8., sprang TT-Kulturjournalist Joachim Leitner kurzfristig für Heinz Sichrovsky ein und diksutierte zum Thema "Der Kunst ihre Freiheit“ mit Marlene StreeruwitzValery Tscheplanowa und Denis Yücel.

TELFS. „Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit“ – das berühmte Motto an der Fassade der Wiener Secession war am Sonntag, 13. August, Thema der Podiumsdiskussion am Telfer Birkenberg, wo am Abend zuvor - teilweise bei Gewitterregen - zum letzten Mal die "7 Todsünden" über die Bühne gingen.

"In Telfs gibt es keine Zensur"

Die Geschichte der Tiroler Volksschauspiele ist mit Zündstoff behaftet, schließlich stand am Anfang des Sommerfestivals ein Skandal: Felix Mitterers Stück Stigma empörte 1981/82 die Verantwortlichen in der damaligen Spielstätte Hall, wo die Volksschauspiele 1981 übrigens mit Franz Kranewitters Die sieben Todsünden gestartet wurden. Die Marktgemeinde Telfs sprang 1982 ein – mit dem bis heute stolz verkündeten und eindringlich gelebten Motto:

"In Telfs gibt's koa Zensur."

Erst seit 1982 ist auch die Kunstfreiheit in Österreich verfassungsmäßig garantiert.

Die Bühne am Birkenberg bot sich für eine Podiumsdiskussion an: Joachim Leitner moderierte "Der Kunst ihre Freiheit“ mit Marlene Streeruwitz (li.), Valery Tscheplanowa und Denis Yücel (re.). | Foto: Georg Larcher
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Wo beginnt die Kunstfreiheit — wo endet sie?

Um diese Frage drehten sich die Wortmeldungen und Erfahrungen der meinungsstarken Persönlichkeiten am Podium: Sehr kontrovers debattierten die feministisch orientierte Marlene Streeruwitz, (Regisseurin und Autorin von Theaterstücken und Hörspielen), Schauspielerin Valery Tscheplanowa (spielte den "Nathan" bei den Salzburger Festspielen) und Journalist Denis Yücel (war wegen Terror-Vorwürfe in der Türkei inhaftiert, tritt für die Kunstfreiheit ein) über ihre Erfahrungen, über Zensur, künstlerische und andere Freiheiten, Empörungen und das gute und weniger Gute am Mitmach-Internet.
Als Moderator sprang TT-Kulturjournalist Joachim Leitner für seinen kurzfristig erkrankten Kollegen Heinz Sichrovsky ein ("Nächstes Jahr muss er das selbst machen", Zitat Leitner) und gab gekonnt das Rede-Zepter an die hochkarätige Runde weiter (mehr zu den Persönlichkeiten ganz unten).

Joachim Leitner mit Valery Tscheplanowa und Denis Yücel (re.). | Foto: Georg Larcher
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Außerordentliches Podium in Telfs

Leitner gab das Wort zuerst an Marlene Streeruwitz, die "meinungsstarke Beobachterin Österreichischer Zustände, Aus- und Einsichten": Sie wehrte sich im November 2006 juristisch gegen die Inszenierung des Stückes von Elfriede Jelinek Ulrike "Maria Stuart" im Hamburger Thalia Theater. In einer Szene treten die Schauspielerinnen in Vulva-Kostümen auf und sollen als Streeruwitz und Jelinek identifiziert werden. Streeruwitz wehrte sich: "Ich will als handelndes und denkendes Subjekt nicht auf ein sprechendes Geschlechtsorgan reduziert werden." Es folgte eine erfolglose Klage wegen dieser persönlichen Beleidigung sowie 1000 Euro Gerichtskosten ("Die nächste Instanz hätte 6000 Euro gekostet, das war es mir nicht Wert", so Streeruwitz: "Es ging mir um den Aufschrei"), auch die Freundschaft mit Jelinek hat die Sache gekostet. Der Richter hat schlussendlich für das Theater entschieden. "Es gibt viele Leute die gesagt haben, ich habe es gut gemacht, und anderen, die meinten: was soll das. Hier sind zwei Autorinnen diffamiert worden als Frauen, und ich habe mich dagegen gewehrt, es war für mich unerträglich", führte Streeruwitz aus. 

Joachim Leitner mit Marlene Streeruwitz. | Foto: Georg Larcher
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Für Denis Yücel gilt Kunstfreiheit, wie er anknüpft, aber diese Feiheit stößt u.a. an Grenzen, wo Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Yücel führte das Beispiel vom langjährigen BILD-Chefredakteur Kai Diekmann an, der das Konkurrenzblatt TAZ geklagt hat wegen einer Satire, in der die Penisverlängerung von Diekmann vorkam. Das Gericht kam zum Schluss, dass Diekmann als Person des öffentlichen Lebens und erst recht als Macher der Boulevardzeitung BILD "mehr aushalten muss". "Für ihn gelten somit auch andere Maßstäbe", so Yücel: "Es gilt die Freiheit der Kunst, aber mit Grenzen, wie eben Persönlichkeitsrechte. Im Zweifel wird aber für die Kunstfreiheit entschieden, so der Journalist: "Kunstfreiheit umfasst auch die bescheuerte Kunst, die Freiheit des dummen Wortes und schlechte Kunst, auch das gehört dazu, das ist kein Qualitätsmaßstab." Neben der Freiheit der bescheuerten Kunst darf es auch die Freiheit der bescheuerten Kritik dazu geben, spinnt Yücel den Gedanken weiter.

Schauspielerin Valery Tscheplanowa mit Moderator Joachim Leitner und Intendant Gregor Bloeb. | Foto: Georg Larcher
  • Schauspielerin Valery Tscheplanowa mit Moderator Joachim Leitner und Intendant Gregor Bloeb.
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Valery Tscheplanowa nimmt zu dieser spannenden Ausführung Stellung: "Zur Freiheit gehört auch, dass man sich dagegen wehren darf." Über die Veränderung der Kunst meint Tscheplanowa, dass Verschiebungen passieren, die Kreativität hat sich verschoben. Dabei hat das Theater einen Platz in der Lyrik bekommen.
Muss sich das Theater verändern, wenn es Relevant bleiben will? Für Tscheplanowa, die bei den Salzburger Festspielen den "Nathan" spielte, ist eine Öffnung des Theaters passiert, dass jeder alles spielen kann, eine Frau kann einen Mann spielen und niemand stößt sich daran: "Das Theater bietet mittlerweile bei der Besetzung große Chancen. Wir leben in einer großen Umbauphase, die Jungen sehen: es ist ein Raum, ich dem habe ich Möglichkeiten."

Intendant Gregor Bloéb und sein Team sorgten während der Diskussion rasch für Abhilfe – für den nötigen Schatten in der Mittagszeit. Nur das minutenlange Mittagsgeläute der Kirche nebenan konnte niemand stoppen, die Diskussion pausierte. | Foto: Georg Larcher
  • Intendant Gregor Bloéb und sein Team sorgten während der Diskussion rasch für Abhilfe – für den nötigen Schatten in der Mittagszeit. Nur das minutenlange Mittagsgeläute der Kirche nebenan konnte niemand stoppen, die Diskussion pausierte.
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Auch das "Mitmach-Internet" machte Denis Yücel zum Thema: "Noch nie konnten so viele Leute ihre Meinung äußern und werden gehört, und Politiker konnten ungefiltert Meldungen verbreiten." Es ist auch die Empörungsbereitschaft darin sehr groß. Die Empörung und sich wiederum darüber zu empören ist nicht das Problem, sondern das Problem ist die Unfähigkeit der Behörden und Institutionen, mit Empörungen im Internet umzugehen, die Kopflosigkeit, wenn sich drei Leute über etwas aufregen.
Die Empörung spielt für Marlene Streeruwitz sehr wohl eine Rolle: "Als Journalist ist man auch Hersteller von Empörung, damit habe ich den Shitstorm am Hals." Wenn jemand mir von außen mitteilt, meine Figuren in meinem Roman denken falsch, dann finde ich das als eine Zensur. Wenn ich ein Buch schreibe, denke ich schon wieder daran, was die Leser dann darüber sagen. Der Roman entwickelt sich somit ganz anders, es ist ein Vorgang. Also: Eine Empörung über eine Arbeit hat damit auch Einfluss auf die nächste Arbeit.

Thema waren auch Klassiker der Literatur, wie Pippi Langstrumpf oder Bücher von Mark Twain ("Die Abenteuer des Huckleberry Finn"), die sich einer andere Sprache und Begriffe bedienten. Diese Texte umzuschreiben wäre gegen die Freiheit der Kunst, es darf sich niemand diskriminiert fühlen. "Man muss andere Zeiten so sprechen lassen, wie sie waren", meint Denis Yücel: "Sonst verliert man einen kulturellen Schatz. In den USA wurden Bücher aus Bibliotheken genommen, das ist keine schöne Entwicklung."

In der Schlussrunde nahm Valery Tscheplanowa nochmal Bezug auf Institutionen, diese sind auch Grüppchen von Menschen, "die verwirrt sein können von Vorgängen. Wir leben in einer Zeit, in der ganz viele Neuerungen geschehen. Ich wünsche mir, dass wir uns alle Zeit lassen würden. Als ich meine erste Männer-Rolle spielte, hab ich die Rolle an die Wand gefahren, weil ich den Frauen im Stück kein Gegenpart war. Erst in der zweiten oder dritten Männerrolle konnten ich die männliche Energie so spielen, dass meine Partnerinnen damit arbeiten konnten. Und ich wünsche mir irgendwann eine "Jederfrau" - manche Prozesse brauchen eben Zeit."
Marlene Streeruwitz schließt an: "Ich dachte dass ich meine Romanfigur über die Zensur hinweghelfen sollte, damit sie in die größeren Formen kommt und damit eine gewisse Freiheit erringen kann. Von Freiheit wissen wir ja ohnehin nichts, das werden wir irgendwann oder nie erfahren."
Für Denis Yücel ist vieles besser geworden, es gibt viel mehr Freiheit, in vielen Dingen, manches ist anstrengend, aber man darf nicht glauben, dass es früher besser war.

Zu den Personen am Podium:

Marlene Streeruwitz begann als Regisseurin und Autorin von Theaterstücken und Hörspielen. Für ihre Romane erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Ihr Roman »Die Schmerzmacherin.« stand 2011 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Zuletzt erschienen der Roman »Flammenwand.« (Longlist Deutscher Buchpreis 2019), die Breitbach-Poetikvorlesung »Geschlecht. Zahl. Fall.« (2021) sowie der Roman »Tage im Mai.« (2023).

Marlene Streeruwitz | Foto: Georg Larcher
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Valery Tscheplanowa
, 1980 in Kasan (Russland) geboren, spielte bei den Salzburger Festspielen 2019 die Buhlschaft an der Seite von Tobias Moretti als Jedermann und sprang heuer kurzfristig in die Rolle des Nathan in Ulrich Rasches Neuinszenierung ein. Tscheplanowa drehte immer wieder mit namhaften Filmregisseuren und ist in vielen Kinofilmen vor der Kamera. Für ihre Rollen im Theater erhielt sie den Deutschen Theaterpreis DER FAUST, wurde mit dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis ausgezeichnet und war 2017 „Schauspielerin des Jahres“ in Deutschland.

Schauspielerin und "Nathan"-Darstellerin (Salzburger Festspiele) Valery Tscheplanowa mit Verena Schopper von den Tiroler Volksschauspielen. | Foto: Georg Larcher
  • Schauspielerin und "Nathan"-Darstellerin (Salzburger Festspiele) Valery Tscheplanowa mit Verena Schopper von den Tiroler Volksschauspielen.
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Deniz Yücel ist Journalist und Publizist und arbeitet für die WELT-Gruppe. Zudem ist er Mitbegründer und Sprecher der Autor/innenvereinigung PEN Berlin. Wegen angeblicher Unterstützung einer Terrorvereinigung war Yücel in der Türkei inhaftiert. Er tritt seit jeher vehement für die Kunstfreiheit ein, für das offene Wort und den demokratischen Diskurs.

Valery Tscheplanowa und Denis Yücel | Foto: Georg Larcher
  • Valery Tscheplanowa und Denis Yücel
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