Lieber Papa - ich hab Dich lieb

Es ist schon weit über 50 Jahre her, als Du erfahren hast, dass Du zu ersten Mal Papa wirst. Du hast Dich sofort für mich verantwortlich gefühlt. Nicht nur für mich, sondern natürlich auch für Mama. Nie wäre Dir in den Sinn gekommen, sie wegen mir, allein im Regen stehen zu lassen. Kurz bevor ich auf die Welt kam, hast Du für Mama warme Fleckerl am Ofen aufgewärmt, um ihr "Bauchweh", das ich verursacht habe, zu vertreiben. Doch das hat mein Kommen nur noch beschleunigt.
Auch wenn deine Wohnung klein und kalt war. Eigentlich hätte sie - besonders nach heutigen Maßstäben gemessen - gerade einmal für Dich allein gereicht. Doch alles hat hineingepaßt. Sogar mein Gitterbett im Schlafzimmer. Ich durfte so ganz nahe bei euch sein. Es hat mir nichts ausgemacht, dass im Winter die Eisblumen an der Wand neben mir sich ein wenig kalt anfühlten. Heute sind sie mir eine geliebte unverzichtbare Erinnerung. Irgendwie hast Du es geschafft, am Eßtisch auch eine Platte mit einer Modelleisenbahn aufzubauen. Tagelang war sie dann dort. Wo haben wir damals eigentlich gegessen? Nie werde ich vergessen, dass Du Dich für mich als Nikolaus verkleidet hast. Ich erkannte Dich an Deinen Schuhen. Du hast ja damals nur ein Paar gehabt und so war es nicht allzu schwer, die Schlußfolgerung zu ziehen, dass es nur Du sein kannst.

Wieviel haben wir geweint und gebetet als mein Bruder von einem Moped überfahren wurde und monatelang ins Krankenhaus mußte. Doch er ist wieder gesund geworden und es hat uns gestärkt und zusammengeschweißt.

Aufgrund Deines Berufes am Bauhof, wo wir auch gewohnt haben, durften wir dich während der Arbeit begleiten. Unzählige Male war ich bei Dir in der Werkstatt, bin mit Dir auf Baustellen mitgefahren. Schon von klein an hast Du mir Autofahren gelernt. Hast mich eingewiesen in das Lenken eines Hubstaplers oder einer Straßenwalze. Hast mir gezeigt, wie man Sägeblätter schärft und aus Bäumen Bretter macht. Hast mir gezeigt, wie man mit Hammer, Säge und Nagel umgeht. Tausende Kilogramm von Bewehrungseisen haben wir miteinander gebogen. Ganz bestimmt hast Du damit meinen späteren Berufsweg vorgezeichnet, vermutlich ohne es selbst zu wissen.

Weißt Du noch, als ich als Student einmal im Monat nach Hause gekommen bin. Da du auch immer wieder am Wochenende Vorbereitungen für Montag treffen mußtest, hast du mich natürlich gleich zur Mitarbeit eingespannt. Ich kam mir zu gut, zu intellegent dafür vor, doch was blieb mir übrig. Dein Fleiß und Dein Verantwortungsgefühl waren ansteckend. Einmal war da ein ganzer Eisenkorb voll Eisenstehern. Am Montag war er auszuliefern und Du hast alles immer blau angestrichen, damit man genau weiß, das das zur Firma Deiner Chefs gehört. "Das ist zu streichen." lautete Dein Auftrag und ich dachte mir: "ich Student, ich nix Eisensteher streichen." Doch da blickte ich in Deine Augen und wußte, dass Du das von mir erwartest. Vermutlich hättest Du es selbst getan, wenn ich mich geweigert hätte. Doch Dein Blick berührte mein Herz und tut es heute noch.

Als ich 13 war, bist Du vom Kirschbaum gefallen. Nur ein Wunder hat Dich gerettet und überleben lassen. Wieder waren es Tränen und Gebete, die uns Trost und Zuversicht verliehen. Welch ein Segen, dass Du noch bei uns bleiben durftest und es immer noch bist.

ES gibt Situationen im Leben, wo es einfach gemütlich ist und man sich nicht mehr bewegen möchte. Die Situation wird dann dadurch "gestört", dass man sich aufmachen muß, um etwas zu tun. Modern heißt es: "Man muß seine Komfortzone verlassen." Wie oft hast du das vorgelebt. In einfachen Dingen, wenn die MIlch ausging oder jemand vom Bahnhof abzuholen war. Wenn es galt noch spät am Abend den Hund auszuführen und niemand sich mehr von der Couch erheben wollte. Oder auch in großen Dingen, wenn es Probleme mit Hochwasser auf Baustellen gab, und es wiederholt galt, mitten in der Nacht auszurücken und sich dem Problem zu stellen und dagegen anzukämpfen.

Du hast eine ganz einfache Schulbildung genossen, doch lautet Dein Credo: "Einem, der unseren Namen trägt, fällt immer etwas ein." und so hast du in Deinem Kopf für alles und jedes Problem eine Lösung gefunden und diesen Grundsatz auch an die nächste Generation erfolgreich weitervermittelt.
Weißt Du als Dein Chef zu Dir einmal gesagt hat: "Schau doch in den Plan hinein, dann siehst Du wie es sein muß" Du hast darauf geantwortet: "Chef, wenn ich einen Plan so wie Du lesen könnte, würde ich nicht draußen im Freien arbeiten." Beide habt ihr gelacht und gewußt, dass ihr einander braucht.

Deine Enkelkinder lieben Dich über alles und blicken zu Dir auf. Und ich sowieso.