Presserat verurteilt Details über Kindesmissbrauch in den Bezirksblättern und auf meinbezirk.at
Zur Geschichte "18 Monate bedingt für Sexualtäter in Bad", erschienen in der Printausgabe Horn und Gmünd sowie dessen Onlineversionen „18 Monate bedingt fürSexualtäter im Schwimmbad“ und „18 Monate bedingt für Sexualtäter im Schwimmbad Thunau“,
erschienen auf meinbezirk.at, hat der Öst. Presserat folgendes festgestellt: Die Berichterstattung verstößt gegen die Punkte 5(Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre) des Ehrenkodex für die österreichische Presse.
In den Beiträgen werde über einen 17-jährigen Schüler berichtet, dem schwerer sexueller Missbrauch und sexueller Missbrauch an drei Unmündigen vorgeworfen worden sei. Die Vorfälle hätten sich im Juli 2019 in einem Bad ereignet und für große Empörung gesorgt. Die Artikel schilderten genau, auf welche Art und Weise der Tatverdächtige zwei kleine Mädchen sexuell missbraucht habe. Insbesondere bei einem der Opfer würden der Tatablauf und die daraus resultierende Verletzung sehr detailliert beschrieben. Danach berichten die Regionalmedien über das Gerichtsverfahren vor einem Schöffensenat und dessen Urteil: 18 Monate bedingt mit dreijähriger Bewährung.
Eine Leserin wandte sich an den Presserat und kritisierte die detaillierte Beschreibung der Missbrauchshandlungen als reißerisch, voyeuristisch und irrelevant für die Öffentlichkeit. Zudem sei es unsensibel und demütigend den Opfern und Familien gegenüber; darüber hinaus sei insbesondere bei Kindern die Intimsphäre zu wahren.
Die Medieninhaberin nahm am Verfahren vor dem Presserat teil. Ihre Rechtsanwälte führten in einer schriftlichen Stellungnahme aus, dass die Berichterstattung im Bereich der Strafrechtsjustiz eine wichtige Grundlage einer demokratischen Gesellschaft sei. Diese Berichterstattung sei deswegen von tragender Bedeutung, weil sie das Verständnis der Öffentlichkeit für die Rechtspflege fördere und das Vertrauen der Bevölkerung in die Einrichtungen der Justiz und ihre Entscheidungen stärke.
Aus Sicht der Medieninhaberin sei sowohl die Persönlichkeit als auch die Intimsphäre der Opfer allein schon deshalb gewahrt, weil die Berichterstattung anonym erfolgt sei und sich aus der Berichterstattung keinerlei Hinweise auf die betroffenen Personen ergeben würden. Mangels identifizierender Berichterstattung scheide daher schon von vornherein ein Verstoß gegen den Ehrenkodex aus.
Zu explizite Beschreibung
Der Senat betont zunächst, dass das Thema sexueller Missbrauch von Kindern und Berichte über Straftaten in diesem Bereich für die Öffentlichkeit relevant sind; Medien können bei diesem heiklen Thema einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Bewusstseinsbildung leisten. Bei Berichten über konkrete Missbrauchsfälle ist allerdings stets auf die Würde und Intimsphäre der Opfer zu achten. Das Leid, das die betroffenen Kinder und ihre Angehörigen erfahren, darf durch die Berichterstattung nicht vergrößert werden, so etwa durch die Bekanntgabe grausamer oder intimer Details (vgl. Punkt 5.4 des Ehrenkodex für die österreichische Presse sowie die Entscheidung 2015/2).
Zum Vorbringen der Medieninhaberin, dass die Opfer im Artikel nicht identifiziert worden seien, weist der Senat darauf hin, dass sich aus medienethischer Sicht die Identifizierbarkeit bereits aus den Begleitumständen ergeben kann (vgl. die Entscheidungen 2019/132 und 2020/025). Im vorliegenden Fall sind die betroffenen Kinder zumindest für einen beschränkten Personenkreis identifizierbar: Dafür spricht zum einen, dass sowohl das genaue Alter der Opfer wie auch das Datum der Missbrauchsfälle genannt werden. Zum anderen wird ein bestimmtes Schwimmbad als Tatort angeführt; da sich dieses in einer Gemeinde mit knapp 400 Einwohnern befindet, ist umso mehr – zumindest für einen eingeschränkten Personenkreis – von einer Identifizierbarkeit der Opfer auszugehen. In den Beiträgen werden mehrere Details zum Tathergang genannt; die Schilderungen lassen unmittelbare Rückschlüsse auf die Art und Weise zu, wie der Kindesmissbrauch abgelaufen ist.
Nach Auffassung des Senats ist die Veröffentlichung solcher Details geeignet, das Leid der Opfer und seiner Angehörigen zu vergrößern – dabei spielt es auch keine Rolle, ob die expliziten Details zum Tathergang im Gerichtsprozess zuvor erörtert wurden. Im Ergebnis wertet der Senat die vorliegenden Schilderungen als Eingriff in den Persönlichkeitsschutz der Opfer (Punkt 5 des Ehrenkodex).
Zudem kann die genaue Schilderung der Missbrauchsfälle in den Medien auch zu einer neuerlichen Belastung der Familienangehörigen der Opfer führen. Darüber hinaus verletzen die Schilderungen zum Ablauf des sexuellen Missbrauchs auch die Intimsphäre der betroffenen Kinder (siehe dazu bereits die Entscheidung 2017/056).
Der Senat weist in dem Zusammenhang auch auf die Punkt 6.2 und 6.3 des Ehrenkodex hin, wonach bei Berichten über Jugendliche die Frage eines öffentlichen Interesses besonders kritisch zu prüfen und bei Kindern dem Schutz der Intimsphäre sogar Vorrang vor dem Nachrichtenwert einzuräumen ist (vgl. zuletzt auch die Entscheidung 2020/S004-I).
Der Senat kann an einem derart detaillierten Bericht über sexuellen Missbrauch auch kein legitimes Informationsinteresse erkennen (Punkt 10.1 des Ehrenkodex). Die Vorfälle im Schwimmbad und das Leid der Kinder hätten im Rahmen einer transparenten Prozessberichterstattung auch auf andere Art und Weise vermittelt werden können – nämlich mit mehr Zurückhaltung und Sensibilität. Insofern wurde das Medium seiner Filterfunktion nicht gerecht (zur Filterfunktion vgl. z.B. die Entscheidungen 2018/269, 2019/182 & 2020/192).
Ferner besteht bei einer dermaßen genauen Schilderung des sexuellen Missbrauchs an Kindern auch die Gefahr, dass andere pädophil veranlagte Personen daran Gefallen finden.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.