Denkmalschützer Markus Landerer: "Der Bezirk verliert seine historische Identität"
Der Abriss des Gründerzeithauses am Wiedner Gürtel 16 lässt die Gemüter der Anrainer hochgehen. Die bz bat Markus Landerer von der Initiative Denkmalschutz zum Interview.
WIEDEN. Die Abrissarbeiten eines Gründerzeithaus am Wiedner Gürtel 16 sind im Gange - zum Entsetzen der Anrainer und der Initiative Denkmalschutz. "Der Wiedner Gürtel verliert sein Gesicht", heißt es aus dem Verein.
Wann wurde der Abriss des Hauses am Wiedner Gürtel 16 kommuniziert?
MARKUS LANDERER: Gar nicht! Wir erfahren über den Abriss erhaltenswerter Gebäude und in Schutzzonen nichts. Wir behalten leerstehende Gebäude, die uns auffallen, weil sie offensichtlich leer stehen oder die Fenster nicht geputzt werden, im Auge. Das heisst, wir fragen bei der MA37 - das ist die Baupolizei - nach, ob es eine Bewilligung für einen Abriss gibt.
Gibt die Stadt Wien das OK zum Abriss solch eines Hauses?
Nein, seit der Novellierung der Bauordung 1996/97 erteilt die Abrissbewilligung die MA 37. Das gilt für erhaltenswerte Gebäude. In Schutzzonen gibt die MA 19 - Architektur und Stadtgestaltung - ein Gutachten für die MA 37, die dann die Bewilligung erteilt.
Inwieweit ist die Initiative Denkmalschutz in diese Entscheidungen eingebunden?
Überhaupt nicht. Es findet eine Begehung der MA 19 statt und dann wird von der MA 37 behauptet, aus diesen und jenen Gründen muss das Haus abgerissen werden. Wir haben keine Gelegenheit, uns ein eigenes Urteil zu bilden.
Fordern Sie ein Mitspracherecht?
Ja, schon seit Jahren. Wenn ein Gebäude, dessen Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt, abgerissen werden soll, würden wir gerne miteinbezogen werden. In der Schweiz haben NGOs eine Parteistellung.
Wo ist der Unterschied zwischen Schutzzone und Denkmalschutz?
Der Denkmalschutz wird vom Bundesdenkmalamt für herausragende Objekte verliehen. Bei der Schutzzone handelt es sich um den Ortsbild- und Ensembleschutz. Mit ihr hat die Stadt Wien Handelsspielraum, was den Schutz erhaltenswerter Gebäude betrifft. Der Ensembleschutz ist wichtig, um die lokale Identität zu schützen. Das betrifft etwa ein Haus, das nicht unter Denkmalschutz steht, sich aber in einem historischen Straßenzug befindet - dann wird dieser Straßenzug unter eine Schutzzone gestellt.
Werfen Sie dem Bezirk vor, sich nicht um den Ensembleschutz am Gürtel gekümmert zu haben?
Ja. Der Bezirk hätte einen Antrag auf Schutzzone stellen müssen. Da er das nicht getan hat, ist die Bezirksvertretung mit schuldig an dem Abriss! Eine Schutzzone wird vom Gemeinderat beschlossen, aber der Bezirk stellt den Antrag oder gibt eine Stellungnahme im Rahmen einer laufenden Umwidmung ab und hat sehr wohl Einfluß auf die Entscheidung.
Hat die Initiative Denkmalschutz Einfluß, um neue Schutzzonen zu schaffen?
Wir können nur Stellungnahmen abgeben - das haben wir dutzendfach die vergangenen Jahren gemacht. Leider hat das keinen Einfluß.
Was bedeutet dieser Abriss für den Bezirk?
Der Bezirk verliert seine historische Identität. Bleibt zu hoffen, dass das Eckhaus Wiedner Gürtel/Argentinierstraße nicht auch abgerissen wird.
Warum ist Wien nicht stolz auf seine historischen Bauten?
Das hat viele Gründe. Ein wichtiger Punkt ist der Bevölkerungszuwachs, der in Wien herrscht. Sicher auch die Ungleichbehandlung der Mieten, bei Altbauten, die vor 1945 errichtet wurden, war das noch gedeckelt. In einen Neubau kann man aber auch mehr Geschosse einziehen. Also alles hat einen finanziellen Hintergrund.
Um welches abgerissene Gebäude in Wien tut es Ihnen persönlich besonders leid?
Der Türkenwirt, der im Frühjahr abgerissen wurde. Wenn wir weiter zurückgehen: die Rauchfangkehrerkirche.
Wie wird diese Abrissentwicklung in Wien weitergehen?
Wir sehen verstärkt Druck auf Altbauten. Es werden bereits schon relativ wertvolle Gebäude abgerissen und es gibt keine Gegenentwicklung.
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