SUPERTRAMPS "Eine Tour – zwei Welten": Zwischen Obdachlosigkeit und Bobo-Dasein
Wie nahe die schöne, heile Welt Wiens und deren gegensetzliches Ende, die Obdachlosigkeit, zusammenliegen, zeigen zwei Tour-Guides auf einem Rundgang durch den 2. und den 9. Bezirk.
LEOPOLDSTADT/ALSERGRUND. Kunst und Kultur, Etepetete und Otto-Wagner-Schnörkeleien auf der einen, Delogierung, Obdachlosigkeit und der Kampf um's nackte Überleben auf der anderen Seite: Unterschiedlicher könnten zwei Welten nicht sein, kontrastreicher sind zwei Leben kaum vorstellbar. Was die beiden aber doch auf einen gemeinsamen Nenner bringt, ist, dass sie beide hier in Wien stattfinden - oft unbemerkt, mitten unter uns. Bei der Stadtführung "SUPERTRAMPS: Eine Tour – zwei Welten" führten die ausgebildete Fremdenführerin Katrin Kadletz und der ehemals obdachlose SUPERTRAMPS-Guide Ferdinand durch die Leopoldstadt und den Alsergrund. Beide gewähren dabei einen gänzlich unterschiedlichen Blick auf und in die Stadt.
Die Tour beginnt am Otto-Wagner-Schützenhaus, mit Headsets ausgestattet präsentiert Kadletz den Teilnehmern die Schlagzeile einer Wiener Tageszeitung: "Delogierung" heißt es darauf in großen schwarzen Lettern - ein erster Eindruck, wohin die Reise geht. Am hippen Donaukanal entlangschlendernd zeigt sich auf der gegenüberliegenden Seite ein ganz anderes Bild von Wien. Während im 2. Bezirk, auf der "Mazzesinsel", wie der Stadtteil früher auch genannt wurde, viel gebaut werde, neue Unternehmen und hippe Lokale entstehen, herrsche auf der gegenüberliegenden Seite im 1. Bezirk "schwerster Denkmalschutz", erklärt Kadletz.
Kunst und Toiletten
Denkmalschutz hin oder her, als bei Ferdinand damals der Exekutor vor der Tür stand, quälten in ganz andere Fragen: Was nehme ich mit? Wo schlafe ich? Wie organisiere ich von nun an mein Leben? Was mache ich im Krankheitsfall? Einmal draußen aus der Wohnung seien es nicht nur "absurde Summen für Mini-Quartiere", sondern vor allem Kaution, Möbel, Einrichtung und dergleichen, welche für Bedürftige schlichtweg unerschwinglich seien, erklärt der Ex-Obdachlose.
Überquert man die Rossauerbrücke und begibt sich weiter Richtung U-Bahn Station "Rossauer Lände" finden beide Tour-Guides etwas, wofür sie sich besonders begeistern können. "Kunst im öffentlichen Raum", erklärt Kadletz mit Blick auf zwei Skulpturen am Ufer, sei etwas, was sie an Wien besonders schätze. Ferdinand hingegen schätzt die "Rarität" in der U-Bahn Station selbst. Hier befinde sich noch eine der wenigen kostenfreien öffentlichen Toiletten. Für Menschen, welche auf der Straße leben, sind solche Einrichtungen von entscheidender Bedeutung. Mit Beginn des nächsten Jahres sollen zwar sämtliche U-Bahn Klos modernisiert werden, jedoch werden dann auch alle kostenpflichtig werden.
"Probleme sichtbarmachen, die mitten unter uns sind"
Weiter geht's durch den 9. Bezirk und die Gassen des Servitenviertels. Ganz besonders eindrucksvoll zeigen sich die "zwei Welten" hier im "Haus Rossau" in der Seegasse, einem Wohnheim für Senioren. Während im Innenhof der Einrichtung ein alter jüdischer Friedhof liegt, hört man im Hintergrund das Geräusch von Tennisbällen, welche gegen einen Schläger knallen. Mitten in der Stadt träfen hier zwei völlig unterschiedliche Welten aufeinander, erklärt Kadletz.
Wegen der Nähe zur Universität und dem AKH wurde die Gegend bis 1938 überwiegend von der äußerst gebildeten jüdischen Bevölkerung bewohnt. Ein Denkmal vor der Servitenkirche erinnert in ganz besonderer Weise an die Novemberpogrome von 1938: Ein Schlüssel mit dem dazugehörigen Namen soll "Probleme sichtbarmachen, die mitten unter uns sind", erklärt Kadletz. Und hier, gegen Ende der Tour, treffen sich die Erzählungen der beiden Guides. Hier im "Petit-Paris", wie Kadletz das Servitenviertel nennt, treiben Investoren Wohnungspreise ins Unendliche, während Löhne ins Bodenlose sinken. Auch wenn man hier im Land der "Bobos", der bohémien bourgeoisie, zwischen Veganertum und alternativer Schulbildung einen auf heile Welt mache, sei "das Risiko wieder ganz nach unten zu fallen wirklich groß".
"Kampf am Rande des Abgrundes"
Einen ständigen "Kampf am Rande des Abgrundes" nennt Ferdinand das und weiß leider nur zu gut wovon er spricht. Ist man einmal durch eines der zahlreichen Lücken und Löcher im Sozialsystem gefallen, ist der Weg zurück ein sehr, sehr langer. "Egal welchen Job oder Hintergrund, Obdachlosigkeit kann jeden treffen", so Ferdinand. "Und", so schließt er die Tour, "du kannst dich auf alles im Leben vorbereiten, aber auf Obdachlosigkeit kannst du dich nicht vorbereiten".
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