Landarzt ade?

Die Diskutanten in Windigsteig: Amra Karazda, Dr. Susanne Rabady, Anette Töpfl, Dr. Karl Danzinger, Dr. Silke Eichner, Gerlinde Oberbauer, Karl Harrer, Ulrike Schuster, Helga Trsek, Dr. Ernst Wurz und Dr. Josef Baum (v.l.n.r.).
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  • Die Diskutanten in Windigsteig: Amra Karazda, Dr. Susanne Rabady, Anette Töpfl, Dr. Karl Danzinger, Dr. Silke Eichner, Gerlinde Oberbauer, Karl Harrer, Ulrike Schuster, Helga Trsek, Dr. Ernst Wurz und Dr. Josef Baum (v.l.n.r.).
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WINDIGSTEIG (kuli). Mit 130 Zuschauern war die Podiumsdiskussion am 22. September 2017 sehr gut besucht. Moderator Dr. Ernst Wurz begrüßte zunachst die Experten auf dem Podium, die nacheinander die sich abzeichnenden, größer werdenden Lücken zwischen Bedarf und Angebot an medizinischer Primärversorgung in den Bezirken Gmünd, Horn, Krems, Waidhofen/Thaya und Zwettl beleuchteten. Zusätzlich gaben Vetreterinnen der drei wichtigsten Pflegedienste ihre Statements zu diesem Themenbereich ab. Anschließend konnten die Besucher Fragen stellen oder Thesen aufstellen.

Dr. Josef Baum (Wirtschaftsgeograph in Gastern):
In den Waldviertler Bezirken ordinieren derzeit 115 Allgemeinmediziner zumeist in Hausarztpraxen. Erfreulich: Das bedeutet eine gute statistische Versorgungsdichte im nationalen Kontext. Problematisch: Das Durchschnittsalter dieser Ärzte beträgt aktuell mehr als 55 Jahre; über die Hälfte wird im Laufe der nächsten Jahre in Pension gehen, wobei die Nachbesetzung in den wenigsten Fällen gesichert ist.

Karl Harrer (Bürgermeister in Schrems und Obmann der Kleinregion "StadtLand"):
Das medizinische Versorgungssystem steht davor zu kollabieren. Von den 32 im Bezirk Gmünd tätigen Kassenärzten sind 10 Allgemeinmediziner, von denen wiederum drei demnächst in den Ruhestand gehen, ohne dass die Nachfolge geregelt ist. Da auch einzelne Spitalsstationen aufgelassen sind oder werden, wird also das Verkehrsaufkommen zu Haus- oder Fachärzten deutlich ansteigen und sich die Wartezeiten auf Behandlungen verlängern.

Anette Töpfl (Bürgermeisterin in Vitis und Vorstandsmitglied der Kleinregion "Zukunftsraum Thayaland"):
Meist haben die Gemeinden den Schwarzen Peter und müssen z.B. für annehmbare Praxisräume sorgen, was jeweils zwischen 100.000 und 300.00 Euro kostet, da ansonsten der Anreiz zu gering ist, eine wenig lukrative Landarztpraxis zu betreiben; so geschehen in Gastern, Thaya und Dobersberg. Und das, obwohl es neue "Gemeindeärzte" seit dem Jahr 2000 in Niederösterreich nicht mehr gibt.

Dr. Susanne Rabady (Gemeindärztin in Windigsteig):
Allgemeinmedizin gilt als zweitklassige Disziplin, obwohl sie eigentlich selbst eine Fachdisziplin darstellt, und zwar eine der anspruchsvollsten überhaupt; sie wird aber im Studium nicht als solche behandelt. Da Allgemeinmediziner am besten für Landarztpraxen geeignet sind, gibt es somit keine Ausbildung zum Hausarzt. Hier müsste das Bundesgesundheitsministerium aktiv werden, was es aber nicht tut. Die Bundesländer und Krankenkassen versuchen schon gegenzusteuern, allerdings nur auf finanziellem Sektor. Leider ist es auch vom Gesetz her nicht möglich, als Jungmediziner im Angestelltenverhältnis in einer (Land-) Arztpraxis zu arbeiten, was sicher eine spätere Niederlassung ebendort erleichtern würde.
Vorschläge für Maßnahmen: Lehr-Praxen institutionalisieren, Druck aufs Ministerium ausüben, um die Ausbildung zu Allgemeinmedizinern zu fördern; die Niederlassung von jungen Allgemeinmedizinern erleichtern, Angestelltenverhältnisse zulassen, Gründerservices wie in anderen Branchen aufbauen und flexible Kooperationsmodelle ermöglichen.

Dr. Karl Danzinger (Gemeindearzt in Allentsteig):
Für die Hausärzte am Land sind die Honorare sehr unattraktiv, auch stößt die Aussicht auf Hausbesuche viele potentiellen Kandidaten ab. Es gibt drei vakante Stellen ehemaliger Gemeindeärzte (Gr. Siegharts, Litschau und Gr. Dietmanns) ohne wirkliche Aussicht auf Nachbesetzung. Eine Lösung über Primärversorgungszentren (PVZ) ist nur in urbanen Bereichen sinnvoll. Am Land hingegen hat sich die Sprengel-Lösung, so wie sie auch für die Gemeinden Allentsteig, Echsenbach, Göpfritz/Wild, Schwarzenau, Vitis und Windigsteig seit Jahrzehnten praktiziert wird, als bessere Option herausgestellt. Auch die Zusammenarbeit mit Therapeuten und anderen medizinischen Dienstleistern ist optimal. Damit das auch in Zukunft funktioniert, müssten die Hausarztpraxen aber besetzt bleiben. Auch schon wegen der Hausapotheken, die bei Praxisleerstand wegfallen und zu weiterem (zumeist Auto-) Verkehr führen würden. Egal welches Modell: Immer muss die Chemie zwischen den beteiligten Kooperationspartnern stimmen, um gute Ergebnisse zu erzielen.

Dr. Silke Eichner (Allgemeinmediflnerin im Gesundheitszentrum "die Hausärzte" in
Enns / Oberösterreich):

Nach der Schließung des Spitals und der Aufgabe von Hausärzten haben sich drei Allgemeinmedizinerlnnen in Enns zusammengetan und ein Ärztehaus als PVZ geplant, errichtet und in Betrieb genommen. In OÖ ist Stellen-Sharing - z,B. im Verhältnis 70:30 - möglich. was auch in Anspruch genommen wird; Änderung jederzeit möglich. Es sind von Montag bis Freitag von 7 bis 19 Uhr immer drei Ärzte im PVZ zugegen. die u.a. Spezialisten vermitteln oder auch auf einen der anderen Kolleginnen verweisen, dessen Spezialgebiet allfällig am besten zur Symptomatik passt. Zusätzlich werden Hausbesuche und Behandlungen in Heimen vorgenommen. Man arbeitet sehr eng mit  Krankenschwestern, Therapeuten aller Art. Logopäden, Diätologen und sogar auch einem Sozialarbeiter zusammen; dadurch bauen Patienten Hemmschwellen ab. Zum HAND (hausärztlicher Not-Dienst) wird man in einen größeren Sprengel (Linz-Land) integriert. So sind im Sprengel immer drei Ordinationen parat. Den Fahrdienst übernehmen junge Leute gegen pauschale Bezahlung.

Ulrike Schuster (freiberufliche Hebamme in Hoheneich / Bez. Gmünd):
Die Schließung der Abteilung Geburtshilfe am Waidhofner Spital macht sich negativ bemerkbar. Die Zusammenarbeit mit Gynäkoioglnnen ist weiterhin sehr gut. Auffallend ist der Schwund von KinderärztInnen. so dass manche Hausärzte schon die nötigen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen durchführen müssen. Hausgeburten mit Hebamme werden vermehrt verlangt, Manche Hebammen haben wie sie selbst diesbezüglich Verträge mit den Krankenkassen, was vorher geklärt gehört. Spitals-Städte sind wesentlich attraktiver als einwohnerarme Gemeinden.

Amra Karadza (Leitende Pflegefachkraft beim NÖ-Hilfswerk in Horn):
Im Bezirk Horn gibt es noch 22 Hausarztordinationen für 32.500 Einwohner, mit großem Stadt-Land-Gefälle. Am Land ist die Situation gebietsweise schon besorgniserregend. Dies äußert sich in langen Wartezeiten (vor allem bei Hausbesuchen) und schwer zu lösenden Transportproblemen.

Gerlinde Oberbauer (Regionalleiterirı Waldviertel der NÖ Volkshilfe):
Der sehnlichste Wunsch der meisten älter werdenden Menschen ist es, so lange wie möglich zu Hause wohnen zu können. Das geht nur, wenn die Versorgung auch nach Hause kommt, seien es Hausärzte oder PfiegedierıstleisterInnen. Angesichts des niedrigen Personalbestandes kommt es zu langen Wartezeiten und damit zur Verlängerungvon Leidenszuständen. Hier gehört das System geändert. Zumindest sollte aber der erhöhte Zeitaufwand adäquat abgegolten werden.

Helga Trsek (Pflegedienstleitung Waldviertel der Caritas St. Pölten):
Im Mostviertel gibt es drei benachbarte Gemeinden. für die nur noch ein einziger Hausarzt da ist; keine Urlaubsvertretung möglich, daher kaum Urlaub für den Arzt. Neue Patienten können praktisch nicht mehr angenommen werden, Visiten bzw. Hausbesuche sind auf ein absolutes Minimum reduziert. Den palliativen Teil des Behandlungsspektrums gibt es nur noch theoretisch. Für die Landbevölkerung bedeutet das einen heftigen Verlust von Lebensqualität. Der Titel der Veranstaltung hätte erweitert werden sollen um "Land-Krankenschwester ade" und "Hauskrankenpflege ade".

Meinungen aus dem Publikum
Es waren zumeist Ärzte, die sich zu Wort meldeten. Man vermisste die Anwesenheit von Vertretern der Krankenkassen und der Politik. Laut Ernst Wurz waren diese zwar eingeladen worden, sind aber nicht erschienen. Das bestehende Gesundheitssystem wurde stark kritisiert, so die Realität der Zwei- (bzw. mittlerweile Drei-) Klassen-Medizin, unzureichende Curricula im Studium, faktische Abwertung der Allgemeinmedizin, Unflexibilität der Krankenkassen, Verhinderung moderner Kooperationsmöglichkeiten wegen überalterter Gesetze, unmenschliche Wochenendversorgungsregelungen und einiges mehr.
Alles in allem ist die Richtung, in die sich die gesellschaftspolitischen Veränderungen bewegen, recht bedenklich, zumal "Profitgedanken den ländlichen Raum langsam aber sicher aussaugen". Um diesen Trend aufzuhalten oder sogar umzukehren, sind dringende Reformen nötig, die nur in Kooperation mit allen am Gesundheitswesen beteiligten Institutionen und Berufsgruppen formuliert und umgesetzt werden können. Wichtig ist hierbei eine gewisse regionale Flexibilität, da jede Gegend individuell situiert ist.

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