100 Jahre NÖ
100-jähriger Hermann Sasshofer:"Leerlauf hat es nie gegeben"

In Hermann Sasshofers Bibliothek zu finden: Spamers illustrierte Weltgeschichte aus 1902 mit einem Einschussschaden aus dem Zweiten Weltkrieg.
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  • In Hermann Sasshofers Bibliothek zu finden: Spamers illustrierte Weltgeschichte aus 1902 mit einem Einschussschaden aus dem Zweiten Weltkrieg.
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Interview mit dem 100-jährigen Hermann Sasshofer aus Bad Vöslau. Als er in Wien auf die Welt kam, am 16. April 1921, waren gerade die abschließenden Verhandlungen zur Trennung der Stadt Wien vom "flachen Lande" (Nieder-Österreich) im Gange. Am 1. Jänner 1922 wurde die Trennung vollzogen.

BAD VÖSLAU. Hermann Sasshofer erinnert sich im Interview an seine Kindheit in den 20er-Jahren.

BEZIRKSBLÄTTER: Was ist denn Ihre früheste Kindheitserinnerung? Wie haben Sie gewohnt, gelebt?
HERMANN SASSHOFER: Ich weiß, dass wir kein Wasser in der Wohnung hatten. Brauchwasser war am Gang unserer Wohnhausanlage - wir lebten damals in Eisenstadt - zu holen. Das Trinkwasser gab es nur außerhalb. Da erinnere ich mich, dass ich immer mit dem Roller mitgefahren bin, wenn meine Eltern unterwegs zum Trinkwasserbrunnen waren, um von dort das Wasser zu holen. Im übrigen gehörten wir zu den wohlhabenden Familien, denn mein Vater war Jurist und Gründer der Finanzabteilung in Eisenstadt. Aber ich erinnere mich auch an die Armut dieser Zeit. Es gab damals viel zu kaufen, aber viele Leute hatten kein Geld und standen dann lange mit glänzenden Augen vor den Auslangen einer Fleischhauerei.

Gab es bei Ihnen bereits Fleisch zum Mittagessen?
Nur am Sonntag. Ich weiß noch, dass es damals kein Hendlfleisch gab. Der Fleischhauer hat das Fleisch auch ins Haus geliefert, unter anderem eine billige Wurst - die so genannte Bundeswurst. Und ansonsten gab es Hausmannskost. Meine Mutter konnte aus allem etwas machen. Es gab auch nicht jederzeit Eier, weil die Hühner während des Mauserns im Herbst (Wechseln des Federkleides) keine Eier legen und diese natürlichen Prozesse damals noch nicht unterbunden waren. Die Eier haben wir deshalb, um sie länger haltbar zu machen, in Kalk und später in Wasserglas gelagert. Wasserglas ist eine gallertartige Masse, die die Poren der Eischale vor dem Eindringen von Wasser, Luft und Mikroorganismen schützt.

Apropos Konservierung: Gab es damals schon die Möglichkeit, Lebensmittel länger aufzuheben?
Ja, wir hatten einen so genannten Eiskasten. Alle paar Tage kam der Eismann vorbei und man konnte bei ihm Blöcke von Eis kaufen, die man in den Blechschrank gab. Sie schmolzen innerhalb von ein paar Tagen. Das Schmelzwasser wurde immer sorgfältig abgeleitet, damit die Lebensmittel im "Trockenen" waren.

Sie hatten zwei Geschwister, einen älteren Bruder und eine ältere Schwester. Was waren denn beliebte Spiele?
Mein erstes Spielzeug war eine Kugel aus Zelluloid - Plastik gab es ja damals noch keines, das kam erst in den 1960er-Jahren auf. In dieser Kugel war Wasser und da schwamm eine Ente. Ich erinnere mich, dass ich sehr laut gebrüllt hatte und dann gab mir meine Mutter diese Kugel und ich war so baff, dass ich sofort mit dem Brüllen aufgehört habe. Ich mochte auch gern das Wurfspiel "Wolferl", bei dem eine Art Kreisel gedreht und mit einer Peitsche zu immer mehr Drehungen gebracht wurde. Wir waren immer unterwegs und es war immer was los, mein Bruder und ich hatten ein Fahrrad gemeinsam, meine Schwester ihr eigenes.

Spielen ist das eine, Schule das andere: Bestimmt sind die Unterrichtsmethoden von damals und heute nicht mehr vergleichbar. Erinnern Sie sich an Ihre Schulzeit?
Oh ja. Wir hatten einen sadistischen Katecheten. Er hat uns eine Frage gestellt und niemand in der Klasse konnte sie beantworten. Da bekamen alle Mädchen einen Peitschenhieb auf die Innenseite ihrer Hände und wir Buben bekamen eins auf den Popsch. Das haben am Abend meine Eltern gesehen und bei der Schulbehörde interveniert. Der Katechet wurde sofort vom Dienst freigestellt.

Gibt es besondere Ereignisse aus jenen Jahren, an die Sie sich noch gut erinnern?
Ich weiß nicht mehr die genauen Jahreszahlen. Aber ich erinnere mich an den Phönix-Skandal. Das war ein Versicherungsskandal, bei dem unsere Familie das gesamte Vermögen verlor, Geld und Grund. Da mein Vater aber als Jurist sehr gut und sicheres Geld verdiente, haben wir wieder von 0 an begonnen zu sparen, der Vermögensverlust war keine Katastrophe. Dann erinnere ich mich, wie das Luftschiff Zeppelin über Eisenstadt geflogen ist, das war ein großes Hallo.

Welche Art von Mobilität hat es damals überhaupt gegeben?

Wir sind zu Fuß gegangen oder mit dem Fahrrad gefahren. Auch in die Schule. Autoverkehr war damals noch lang kein Thema, es gab nur drei Autos in Eisenstadt. Und im Sommer wurden die staubigen Schotterstraßen geölt, also staubfrei gemacht. Die Straßen in Eisenstadt waren mit Katzenkopfpflaster ausgepflastert. In Ostösterreich galt übrigens ein Linksfahrgebot, auch für Fahrräder. Am Neumarkter Sattel war ein Schranken, wo man dann auf die rechte Straßenseite wechseln musste.

Also man war wirklich viel aus eigener Kraft unterwegs, bei jedem Wetter?

Ja. Das mache ich ja heute noch so. Ich gehe täglich bis zu zwei Stunden im Wald spazieren, bei jedem Wetter. Ich erinnere mich an die wirklich harten Winter jener Zeit, die gibt es heute nicht mehr. Es hatte einmal sogar minus 32 Grad, es gab vier Meter Schnee und natürlich noch keine großen Schneepflüge. Der meiste Schnee wurde mit der Schaufel händisch weggeschoben. Manchmal war der Schnee so hoch, dass sogar von Haus zu Haus Tunnel gegraben wurden.

Wenn es so viel Schnee gab - sind Sie da auch zum Schifahrer geworden?
Ja, natürlich, leidenschaftlich. Begonnen hat es auf zwei Wiesen in Eisenstadt, die durch einen Hohlweg verbunden waren. Da haben wir uns Pisten ausgetreten und sind runtergerutscht. Gleich bei meiner ersten Abfahrt habe ich einen ordentlichen Stern gerissen. Damals waren alle Schifahrer Tourenfahrer. Es gab weder Schilifte noch Busse zu diversen Pisten. Das musste man alles zu Fuß zurücklegen. Meine letzte Schitour war in den 1980er-Jahren, in St. Moritz. Mein Knie war durch den vielen Sport kaputt, ich musste damals das Schifahren aufgeben.

Waren Sie viel krank oder verletzt?

Überhaupt nicht. Ich bin in meinem Leben sehr selten beim Doktor gewesen. Weil heute viel von der Impfpflicht die Rede ist. Damals ging man nicht so zimperlich um. Wir Kinder bekamen alle die Diphterie-Impfung, ich glaube irgendwo im Bauchbereich. Als junger Soldat in Lybien wurde ich automatisch gegen Typhus und Paratyphus geimpft, irgendwo in den Brustbereich, die Nadel ist stecken geblieben, so weit ich mich erinnere. Später wurde dann die Influenza-Impfung eingeführt, die bei mir starke Nebenwirkungen - Herzflattern und Herzaussetzer - ausgelöst hat. Seither habe ich mich nicht mehr impfen lassen.

Angesichts der kalten Winter: Wie hat man damals geheizt, mussten Sie frieren?

Wir haben keinen Hunger gelitten und auch nicht gefroren, aber wir gehörten auch zu den besser Gestellten. Wir hatten einen Sparherd in der Küche, einen Kachelofen, und einen Badeofen, mit dem auch das Heißwasser produziert wurde. Geheizt wurde immer mit Holz und Kohle. Aber Strom, also Licht und Radioempfang, hatten wir schon. Ich erinnere mich noch, dass meine Mutter, die aus einer prominenten Wiener Zuckerbäckerfamilie abstammte, ihre Weihnachtskekse auf dem Badeofen ganz oben versteckte. Natürlich haben wir Kinder trotzdem Wege gefunden, kunstvoll hinaufzuklettern und von den Keksen zu naschen, wenn die Mutter nicht zuhause war.

Wie nahe ist Ihnen Ihre Kindheit, die doch an die 100 Jahre zurückliegt, heute noch?

Sehr nahe. Alle diese Eindrücke aus der Kindheit, die sind tief in mir verwurzelt. Und ich habe eine überwiegend schöne Erinnerung.

Mehr Beiträge zum Thema "100 Jahre NÖ" findest du in unserem Channel meinbezirk.at/100-jahre-nö

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