Interview mit der Ärztin und Klimaaktivistin Dr. Heidrun Chen aus Baden
Was man von Corona fürs Klima lernen kann...

Die Ärztin und Klimaaktivistin Dr. Heidrun Chen aus Baden | Foto: privat
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BADEN. Als Ärztin war und ist Dr. Heidrun Chen von der Coronakrise speziell betroffen. Als Klimaaktivistin kämpft die Badenerin für ein enkeltaugliches Morgen. Im Gespräch mit Gabriela Stockmann vergleicht sie Coronakrise und Klimakrise. Was kann man von Corona fürs Klima lernen?

BEZIRKSBLÄTTER: Corona war gut fürs Klima - kein Autoverkehr, neue Bescheidenheit, Wertschätzung des Regionalen etc. Wie kann man diesen „Drive“ für die Klimapolitik nutzen?
DR. HEIDRUN CHEN:
Wir können aus der schrecklichen Coronakrise auch Positives für die Zukunft lernen. Wir haben z.B. während Corona gesehen, dass viele Wege eingespart werden können durch Videokonferenzen etc. Weniger CO2, mehr Lebensqualität. Kein Im-Stau-Stehen mehr, dafür mehr Freizeit. Viele Menschen empfanden die coronabedingte Entschleunigung als wohltuend. Soviel Vogelgezwitscher wie heuer haben wir schon lange nicht mehr gehört. Weil die Vögel Lebensraum hatten, und wir Zeit sie zu hören. Das Fahrrad wurde als Fortbewegungsmittel populärer - Baden hat viele Radwege, die können noch besser genutzt werden. Warum nicht auch Duschen in den Büros, um Mitarbeitern zu ermöglichen, mit dem Fahrrad in die Arbeit zu kommen. Lokale Lebensmittel helfen wie wir gesehen haben bei der Versorgungssicherheit, wobei in Hinblick auf Fleischkonsum noch umgedacht werden müsste.

Viele Verhaltensänderungen bei Corona haben mit Angst funktioniert. Warum macht uns die Klimakrise nicht so viel Angst? Sie ist ebenso global wie Corona und trifft ausnahmslos alle, etwa durch die Erderwärmung.
Vor allem jüngere Menschen haben schon sehr große Angst vor der Klimakrise, das höre ich auch in der Ordination immer wieder. Sie fühlen sich perspektivenlos. Andererseits ist bei älteren Menschen oft dieses Bewusstsein zum Klimaschutz nicht so stark ausgeprägt. Vielleicht könnten wir jetzt ein bisschen Solidarität einfordern? Die Jungen haben sich so zurückgenommen bei Corona, um den Älteren ein Überleben zu ermöglichen, jetzt sollten wir gemeinsam den Jungen ein Leben in der Zukunft ermöglichen. Vielen Menschen macht die Klimakrise vielleicht weniger Angst, weil sie sich selbst nicht so direkt bedroht sehen wie bei Corona. Die Klimakrise ist noch "anderswo" und "morgen" - wir sollten sehen, dass dieses Morgen unsere Kinder betrifft.
Corona hat als Pandemie ein Ablaufdatum. Es dauert bis zur Impfung oder maximal ein bis zwei Jahre. Danach ist wieder alles wie früher. Bei der Klimakrise kann es aber nie wieder "wie früher" werden. Diesmal müssen die Veränderungen auf Dauer sein, und das ist ungleich schwieriger. Die Veränderungen, die es für den Klimaschutz braucht, sind sehr viel vielfältiger als Abstand halten, Maske aufsetzen.

Henne oder Ei: Was ist zuerst? Das Bewusstsein, das zur Verhaltensänderung führt (eher Klima) oder das geänderte Verhalten, das zur Bewusstseinsänderung führt (eher Corona)?
Es wird nur gemeinsam gehen. Oft sind es kleine Umstellungen, die Menschen dann so richtig in das Thema hineinkippen lassen. Es beginnt beim Müllvermeiden und führt über den Kauf von lokalen Produkten bis zur Öffi-Nutzung. Bewusstsein und Verhaltensveränderungen sind untrennbar miteinander verbunden und schaukeln sich gegenseitig auf.

Wie sieht Ihr Klimakrisen-Maßnahmenkatalog aus?
Erstens – Bewusstseinsbildung: den Gewinn zu sehen, dass meinen Kindern ein ebenso schönes Leben ermöglicht wird. Und wenn ich ein bisschen weiter denke, auch den Menschen in anderen Ländern, zumindest, damit diese Menschen in ihrer Heimat bleiben können und nicht nach Europa fliehen müssen.
Zweitens – politisches Engagement: Klimaschutz gehört nicht bestimmten Parteien. Wir müssen in jeder Partei vehement und immer wieder dieses Menschenrecht auf gute Lebensbedingungen für unsere Kinder einfordern.
Drittens – persönlicher Lebensstil: Mein Tun und Handeln jetzt beeinflussen das Leben hier und anderswo, heute und morgen. Es ist ein gutes Gefühl, enkeltauglich zu leben.

Und was kann man ganz persönlich sofort tun?
Mehr Rad fahren, Öffis nutzen, sich gesünder ernähren und auf üppigen Fleischkonsum verzichten, erneuerbare Energie vorantreiben und Flächenversiegelung stoppen. Und natürlich, jetzt und sofort: Von 22. bis 29. Juni das Klimavolksbegehren auf der Gemeinde unterschreiben!

Hard Facts zur Sache "Klimakrise":


Umweltmediziner Dr. Heinz Fuchsig (mit freundlicher Genehmigung)

Klimaverschlechterung ist für die meisten Regionen schon jetzt Realität: Selbst bei Einhaltung des 2°C – Zieles von Paris reduziert die Hitze die Produktivität in den USA um 2% pro Jahr (Berechnungen der Weltbank), erreicht Deutschland aufgrund der derzeit noch tieferen Temperaturen ein Optimum; in den südlicheren Ländern – also auch Österreich – wird es schlechter. Heute schon müssen 350 Millionen Inder zunehmend in der Nacht arbeiten, weil es tagsüber zu heiß ist, gleich viele Kleinbauern in West- und Zentralafrika. Indien, Bangladesh und Pakistan sind mit ihrer hohen Bevölkerungsdichte, der Anfälligkeit für Hitzeperioden, Dürren und Fluten besonders gefährdet. Mit radikalisierten Bevölkerungen und Regierungen werden Konflikte (riv-ale – der Kampf ums Wasser z.B.) angeheizt. Die „Syrian drought“ (2006 – 2011) zwang 2 Millionen Bauern vom Land in die Städte – ein Ursprung des Bürgerkrieges. Waldbrände, Dürre und die Ausbreitung von Wüsten führen zu einer hohen Staubbelastung in vielen Regionen.

In Hitzewellen gibt es ein zusätzliches tägliches Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko bei chronischen Lungenerkrankungen bis zu 14 %; bei längeren Hitzewellen kumulativ eine Gesamtmortalitätsanstieg bis zu +43 % (Metaanalyse, Deutsches Ärzteblatt, Int 2015; 112(51-52): 878-83), das übertrifft den Anstieg der cardialen Sterblichkeit.

Für Asthmatiker und Pollinotiker bedeutet das mehr Exazerbationen, da eine Veränderung der Biologie allergener Pollen zu erwarten ist – z.B. durch Trockenstress der Pflanzen, weiters Verlängerung der saisonalen Dauer und das Auftreten neuer Allergene. Für die Ausbreitung von Ragweed werden beispielsweise rund 80 Mio. € Schäden pro Jahr in Österreich geschätzt – Allergien gehören somit zu den für–das Gesundheitssystem teuren Schäden. 50 Neobiota kommen pro Woche (!) in die EU; in Österreich wurden bereits 2000 Neobiota festgestellt.

Hochwasser, Starkniederschläge (thunderstorm-Asthma) und Sommerkondensation (es wird auch feuchter!) können ebenso die Atemwege durch Schimmel beeinträchtigen wie durch Traumatisierung.

Aus:
Die Auswirkungen des Klimawandels für Wien: eine ökonomische Bewertung, Haas, Jacobi, Steininger, 2017:

Ereignisse aus der Vergangenheit zeigen, dass außergewöhnlich hohe Temperaturen dramatische gesundheitliche Folgen haben können. Während der Hitzeperiode in Europa im August 2003 starben in 12 europäischen Ländern innerhalb von 14 Tagen um 39.000 Menschen mehr als im Vergleichszeitraum 1998 bis 2002. (CCCA Fact Sheet #6, Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit des Menschen, Haas et al.)

In Österreich führte der außergewöhnlich lange und heiße Sommer des Jahres 2018 nach Berechnungen der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherung (AGES) zu einer Übersterblichkeit (erhöhte Mortalität) von 766 Todesfällen. Betroffen sind vor allem ältere Personen, aber auch Personen, die durch chronische Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen beeinträchtigt sind. Sieht man sich die Trends zukünftiger Bevölkerungsentwicklung der nächsten Jahrzehnte an, wird deutlich, dass die Gruppe der älteren Personen (über 65 Jahre) in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen wird. Durch die alternde Bevölkerung und die zunehmende Hitzebelastung ist mit einem starken Anstieg der hitzebedingten Sterbefälle zu rechnen.

Aus:
Klimastatusbericht Wien 2018, Stangl et al., Wien 2019

Daneben sind Gesundheitsauswirkungen durch die Begünstigung von Ausbreitungsbedingungen für übertragbare Krankheiten zu erwarten, auch Allergien und Erkrankungen durch Luftverschmutzung können durch die Erwärmung zunehmen.

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