Gewaltschutz
„Im Burgenland gibt es ausreichend Ressourcen für Opferarbeit“
Im Burgenland haben sich die wichtigsten Einrichtungen in der Landesarbeitsgemeinschaft „Gemeinsam gegen Gewalt“ vernetzt.
BURGENLAND. Das Thema Gewalt ist nach der Frauenmordserie in Österreich aktueller denn je. Und wieder einmal versprechen Politiker, wirkungsvolle Maßnahmen zu treffen, um Frauen und ihre Familien vor Gewalt zu schützen. Dabei wird unter anderem auf die Bedeutung der Zusammenarbeit von Gewaltschutzeinrichtungen mit Polizei und Justiz hingewiesen. Das Burgenland dürfe in dieser Hinsicht den anderen Bundesländern zumindest einen Schritt voraus sein.
Gute Zusammenarbeit mit der Polizei
Seit den 90er-Jahren arbeitet die Landesarbeitsgemeinschaft „Gemeinsam gegen Gewalt“ an der Vernetzung von Beratungsstellen und Behörden. „Wir sind nicht nur im Sozialbereich vernetzt, sondern auch mit psychosozialen Einrichtungen, Schulen sowie mit der Exekutive und der Justiz“, sagt der burgenländische Kinder- und Jugendanwalt Christian Reumann, der vor allem die gute Zusammenarbeit mit der Polizei betont. „Das gibt es in keinen anderen Bundesland“, so Reumann.
Risikofallkonferenzen
Was im Burgenland laut den Experten außerdem noch besser funktionieren dürfte, sind die sogenannten Fallkonferenzen. „Wir haben im Burgenland seit 2016 – also bevor es die sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen im Gewaltschutzgesetz verankert wurden – regelmäßig ,Risikofallkonferenzen“ abgehalten“, sagt Karin Gölly, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Burgenland.
Sicherheitspolizeiliche Fallkonferenzen
Mit dem Gewaltschutzgesetz 2019 wurde die Rechtsgrundlage für die Einberufung von sogenannten sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen geschaffen. Ziel ist, bei Hochrisikofällen unter der Leitung der Sicherheitsbehörde gemeinsam mit den involvierten Einrichtungen und Behörden besondere Schutzmaßnahmen für gefährdete Personen möglichst effizient aufeinander abzustimmen. Ein Hochrisikofall liegt dann vor, wenn anzunehmen ist, dass eine bestimmte Person eine mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte Handlung gegen Leben, Gesundheit, Freiheit oder Sittlichkeit eines anderen begehen wird.
Gefährdungseinschätzung
„In der Praxis schaut es so aus, dass der überwiegende Teil der sicherheitsolizeilichen Fallkonferenzen vom Gewaltschutzzentrum angeregt wird. Wir wenden uns an die Sicherheitsbehörde und erläutern unsere Gefährdungseinschätzung. Dann werden die entsprechenden Player zeitnah eingeladen, man führt die Informationen zusammen und bespricht Maßnahmen“, erklärt Gölly.
„Opferschutz UND Täterarbeit sind wichtig“
Auf den Aspekt der Täterarbeit sowie der der Männerberatung macht Manfred Tauchner aufmerksam. Er ist Studiengangsleiter für „Soziale Arbeit“ an der FH Burgenland und ehrenamtlicher Bewährungshelfer. „Sowohl Opferschutz als auch Täterarbeit sind wichtig“, so Tauchner, der konkret auf den Fall von Trennungen eingeht, die nicht selten Auslöser von Gewaltaktionen sind.
„Druck auf Gewalttäter erzeugt mehr Gewalt“
„Trennung heißt für beide Seiten eine existenzielle Herausforderung. Bei gewaltbereiten Menschen, die nichts anderes kennengelernt haben, als Probleme mit Gewalt zu lösen, ist in diesen Fällen eine emotionale Überreaktion zu befürchten“, sagt Tauchner. Hier müsse sowohl die staatliche Autorität eingreifen, „gleichzeitig brauche es auch Räume, wo diese Männer aufgefangen werden. Weil Druck auf Gewalttäter erzeugt mehr Gewalt“, so Tauchner, der mehr Gewaltschutzprävention bereits in den Kindergärten und Schulen fordert.
„Für viele Fauen ist es aus unterschiedlichsten Gründen keine Option, den Notruf zu wählen.“
Auch Karin Gölly hofft, dass nun mehr in die Präventionsarbeit investiert wird. „Weil wir als Opferschutzeinrichtungen sind immer dann da, wenn bereits etwas passiert ist.“ Für Gölly greife es auch zu kurz, den Frauen zu sagen, sie müssen nur den Notruf wählen. „Wir wissen, dass es für viele Frauen aus unterschiedlichsten Gründen keine Option ist, die Polizei zu rufen oder eine Anzeige zu machen. Und genau diese Frauen müssen wir mit einem niederschwelligen Unterstützungsangebot erreichen“, so Gölly.
„Wenn ein Opfer 100 Stunden braucht, dann bekommt es auch 100 Stunden“
Was die Leiterin des Gewaltschutzzentrums ärgert, sind Meldungen in den Medien, wonach es zu wenig Geld für die Opferarbeit gibt. „Wenn ich Opfer bin und dauernd höre, dass es zu wenig Geld gibt, dann melde ich mich auch nicht. Das Gewaltschutzzentrum im Burgenland kann jedes Opfer so viele Stunden betreuen, wie es braucht. Und wenn ein Opfer 100 Stunden braucht, dann bekommt es auch 100 Stunden“. Im Burgenland braucht kein Gewaltopfer Angst haben, dass das Gewaltschutzzentrum zu wenig Ressourchen hat, um es ausreichend zu betreuen“, versichert Gölly, die eine Veränderung bei den Fälle verzeichnen kann. „Was sich jetzt zeigt ist, dass wir viel mehr Hochrisikofälle haben.“
Auch Manfred Tauchner sieht auf die Sozialeinrichtungen einiges an Arbeit zukommen. „Durch den Covid-Lockdown ist für viele Menschen die familiäre Beziehung bewusster geworden und sie gehen sensibler mit ihrer Umgebung um. Für andere wurde Covid zum Druckkochtopf. Vermutlich werden wir 2022 einiges davon abarbeiten.“
„Frauen als Besitz“
Für Kinder- und Jugendanwalt Reumann darf man neben der Prävention und der Vernetzung nicht auf die gesellschaftspolitische Arbeit vergessen. „Männer, die solche Gewalthandlungen setzen, sehen Frauen immer als Besitz. Das Ganze basiert auf einer ultrakonservativen Grundhaltung, die natürlich auch von diversen Religionen unterstützt wird. Es geht um ein gesellschaftspolitisches Umdenken auf breiter Ebene und in allen Gesellschaftsschichten.“
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