Gerüchte um Gruppe
Lokalaugenschein beim "Sekten-Guru" im Anastasia-Tempel
Die Gerüchte-Liste rund um die sogenannte Anastasia-Bewegung ist lang: Sie reicht von Sekten-Wahnsinn über Antisemitismus bis hin zu Verschwörungstheorien. Im Südburgenland leben zwei Befürworter dieser Bewegung. Die RegionalMedien Burgenland waren vorort. Ein Lokalaugenschein mit einigen Überraschungen.
BURGENLAND. Kein Kutten-Gewand. Keine Gesichts-Bemalungen. Kein religiöses Gesumme. „Hallo, ich bin Felix!“, so die salopp-freundliche Begrüßung im großen Garten eines Bauernhauses mit Scheune und Schwimmteich. „Komm rein. Magst du Kaffee?“ Skeptisch schreite ich ins Wohnzimmer. Werde dort mit einem Lächeln und „Hallo, ich bin Ines, die Ehefrau!“ empfangen. Setze mich auf die Couch. Schweife mit einem Rundumblick quer durch den Raum. Auf der Suche nach Auffälligkeiten.
Tochter geht in Ballettschule und Kindergarten
Aber da ist nichts. Ganz im Gegenteil. Eine bodenständige, ganz normale Einrichtung. Vermutete Devotionalien - Fehlanzeige. Auch prangern keine Sekten-Symbole an der Wand. Statt einem Kruzifix steht ein meditierender Jesus auf der Kommode - das war‘s. Alltags-Musik aus dem Küchenradio. Kein Fernseher. Dafür turnt die vierjährige Tochter auf dem Boden herum. In einem hübschen, rosafarbenen Kleidchen und mit Tanzschuhen. „Unsere Kleinste geht in Güssing in die Ballettschule!“
Wir sehen uns in der Mitte
Verwunderung meinerseits ist wohl erkennbar. „Sie geht auch in den Kindergarten. Wir lehnen weder das System ab, noch die alternative Szene. Wir sehen uns in der Mitte. Sind kritisch, hinterfragen viel und wollen finden, was gut für unsere Familie ist!“, wirft Ines (36), Konditorin aus Deutschland, vom Sofa aus ein, während Felix (35), ehemaliger Unternehmer aus dem Nobelort Sylt, in einem Stuhl Platz nimmt.
Antisemitische Vorwürfe lediglich Gerüchte
Direkt und gerade heraus provoziere ich den „Guru“: „Du bist zwar Deutscher, aber in Österreich der Ansprechpartner für die Anastasia-Bewegung. Es gibt Vorwürfe punkto verschwörungsideologischen, rassistischen und antisemitischen Inhalten!“ „Ja. Den Stempel hat man uns aufgedrückt. Stimmt so aber nicht. Diese Gerüchte werden von Leuten verbreitet, die noch nie hier waren!“
Mit der Energie von Jesus wie vor 2.000 Jahren
„Wir sehen uns als Geschöpfe der Natur. Wollen Natur und Mensch in Einklang bringen. Mit der Energie dessen, wie Jesus vor 2.000 Jahren gelebt hat. Ein Geben und Nehmen!“ Felix erläutert: „Die ideale Lebensform sehen wir in autarken Grundstücken von einem Hektar. Mit lebenden Hecken statt Zäunen, Häusern aus Holz, Lehm oder anderen Naturstoffen und einer großen Waldfläche. Aus dem Holz sollen die Enkelkinder in der Zukunft ihre Häuser bauen können. Stets gedacht als Heimat für zwei bis drei Generationen. Das ist doch nichts Verwerfliches, oder?“
Anastasia-Projekt in Poppendorf derzeit auf Eis
„Was ist mit dem Anastasia-Projekt bei Poppendorf?“ „Dort hätten wir 30 Hektar Wald und 23 Hektar Bauland für unsere Idee adaptiert. Gescheitert ist es daran, dass ich vor Ort nicht der Diktator sein wollte, der anschafft. Meine Vorstellung war, dass jeder Siedler gleichgestellt ist. Es keine Hierarchien gibt. Leider hat aber genau das Stress unter den Leuten ausgelöst. Dieser Bewusstwerdungsprozess braucht noch Zeit. Mit meinem angedachten Lebensmodell war ich einfach zu früh dran. Deshalb liegt es aktuell auf Eis, kann aber jederzeit wieder erweckt werden!“
Töchter werden zu Hause unterrichtet
Radikaler Fanatismus sieht anders aus. Das Dreier-Gespräch verläuft wie ein ruhiger, netter Plausch. Ohne Belehrungen. Ohne Bekehrungsversuchen. Ist das vorgetäuschte Nettigkeit? Gaukeln mir die beiden Deutschen etwas vor? Angriffig fordere ich das Ehepaar heraus: „Was ist mit euren Kindern und der Schule?“ „Wir unterrichten unsere großen Töchter, zehn und 14 Jahre alt, selbst. Bei uns zu Hause. Wie viele andere Eltern auch. Allerdings haben wir derzeit ein Problem mit den Behörden!“, gibt Ines freimütig preis.
Strafzahlung, weil keine Schulprüfung
„Warum?“ „Wir haben unsere Kinder nicht zu der vorgeschriebenen Schulreife-Prüfung gebracht. Deshalb müssen wir pro Mädchen 220 Euro Strafe bezahlen. Wie es weiter geht, wissen wir noch nicht. Die Gespräche mit den zuständigen Personen laufen noch!“ „Warum verhindert ihr die Prüfung?“ „Wir hindern unsere Kinder nicht daran. Wenn sie wollen, können sie sogar in die Schule gehen. Aber wir, als Eltern, halten vom aktuellen Schulunterricht und daher auch von den Prüfungen nichts!“
Probleme mit Polizei, Nachbarn?
„Habt ihr sonst Probleme? Nachbarn, Polizei?“ „Nein. Wir leben seit 2019 in Reinersdorf. Nicht wie oft gehört in einem Tempel, sondern einem alten Bauernhaus. Stressfrei. Die Polizei war zwar schon hier, ebenso Beamte vom Jugendamt. Kontrollen halt. Aber sonst ist alles ruhig!“ „Ihr habt auch den Verein ,BewusstSEINsHelden‘ gegründet. Wofür steht der?“ „Für die Förderung und Vernetzung von Fähigkeiten und Potenzialen der Menschen. Wie zum Beispiel das Forschungsprojekt von Ines, die Schokolade mit Uhudlertraube produziert!“, freut sich Felix und führt mich durchs Bauernhaus. Zeigt mir die „Schokolade-Produktionsstätte“.
Uhudler-Schoko, Spenden, Jahresbeiträge
Angemerkt sei, dass ich auf dem Weg dorthin alle Räume mustere. Da sind aber nur Waschmaschine, Computer, Fritteuse, Holz-Küchenofen und sonstige handelsübliche Einrichtungsgegenstände. Trotz kritischem Blick sehe ich nirgends „bedenkliche Besonderheiten“. „Verkauft ihr die Schokolade?“ „Nein. Aber Mitglieder unseres Vereines können sie über einen Förderbeitrag beziehen!“, erklärt Ines. „Reicht das zum Leben? Wie kommt ihr zu Geld? Geht ihr arbeiten?“ „Wir haben bis jetzt großteils von unserem verdienten Privatgeld aus Deutschland gelebt. Aber der große Puffer ist verbraucht. Zusätzlich zu den Schokolade-Einnahmen bekommen wir Spenden von Sympathisanten und Jahresbeiträge für den Verein.“
Endlich wird die Wahrheit über uns geschrieben
„Wie viele Mitglieder gibt es, was bezahlen die?“ „Präsident ist Felix, ich bin seine Stellvertreterin. Wir haben rund 40 Mitglieder. Der Jahresbeitrag sind 33 Euro. Alles zusammen ist derzeit aber zu wenig. Deshalb leben wir aktuell von der sprichwörtlichen Hand in den Mund!“, resümiert die Konditorin. „Wie soll es weitergehen?“ „Wir nützen die Fähigkeiten meiner Frau, mit der Schokolade. Und ich plane Vorträge über unsere Vorstellungen von Anastasia. Irgendwie wird es weitergehen. Alles hat seinen Sinn. Auch, dass wir dich als Journalist zu uns eingeladen haben, damit endlich mal die Wahrheit über uns geschrieben wird!“
Nicht wir grenzen aus, wir werden ausgegrenzt
Dann räumt Ines mit Vorurteilen gegen sie und ihren Mann auf: „Wir sind es, die aufgrund falscher Informationen, wie unserem angeblichen Antisemitismus, ausgegrenzt werden. Uns interessieren aber politische Aspekte ebenso wenig wie judenfeindliche Zeilen oder übersinnliche Fähigkeiten. Anastasia nutzen wir nur zur Inspiration für das, was für uns und unser naturnahes Leben erstrebenswert ist, und das empfehlen wir auch gern weiter."
Spaltung und Hetze sind nicht unsere Werte
Die Deutsch-Burgenländerin abschließend: „Alles, was mit Spaltung, Hetze oder Herkunft zu tun hat, gehört nicht zu unseren Werten. Uns ist egal, ob jemand Jude oder Christ ist, ob jemand Türke oder Deutscher ist, ob dunkle oder helle Hautfarbe, ob jemand Grillwurst isst oder lieber vegane Rohkost, ob jemand voll durchgeimpft ist oder alles ablehnt. Für uns ist wichtig, dass jeder auf seinem individuellen Weg akzeptiert wird in dem Tempo, welches er braucht!“
Keine Auskunft vom Staatsschutz
Auf Anfrage, ob gegen die Anastasia-Bewegung im Südburgenland, den Verein oder die beiden Vereinsvorsitzenden polizeiliche Erhebungen geführt werden bzw. es Vorfälle gegeben hat, teilte die BMI-Pressestelle nach Rücksprache mit der „Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst“ mit: „Auskünfte über personenbezogenen Daten, insbesondere von juristischen Personen (wie Vereine) oder namentlich genannten Personen, sind uns aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht erlaubt.“
Amtsverschwiegenheit der BH Güssing
Ähnlich die Stellungnahme der BH Güssing durch Bezirkshauptfrau Mag. Dr. Wild: „Bezugnehmend auf Ihre Anfrage muss auf die Datenschutzrichtlinien und die Amtsverschwiegenheit der Bezirkshauptmannschaft Güssing verwiesen werden. Eine Beantwortung Ihrer Anfrage ist daher nicht möglich.“
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