Von Floridsdorf bis nach Favoriten
Egal, ob Arbeiter oder Diplomaten: Auf der Fahrt vom Anfang bis zum Ende zeigt sich eine bunte Klientel. Ein Lokalaugenschein von Christoph Höhl
WIEN. In Floridsdorf ist mit der Station Leopoldau ein End- beziehungsweise Anfangspunkt der U1 beheimatet. Vor dem Gebäude tanzen herausgeputzte Jugendliche zu Musik aus dem Handylautsprecher. U1-Disco am Nachmittag, doch der Start der Linie sei nicht der angestammte Treffpunkt der Clique, sondern nur eine Zwischenstation, wie die Musik-Aficionados Antonia, Olivia und David erklären.
Die U-Bahn selbst ist am Startbahnhof nur spärlich gefüllt, einzig die Reinigungsfachkraft der Wiener Linien schenkt dem Fahrgast ein beherztes Lächeln und bittet freundlichst, die Füße zu heben, damit den sich unter dem Sitz befindlichen Bierdosen zu Leibe gerückt werden kann.
Vom Bier zum Einkaufssackerl
Über die Großfeldsiedlung erreicht man zusammen mit einigen Senioren und von Kopf bis Fuß durchgestylten, hippen Jugendlichen die Aderklaaer Straße. Am Rennbahnweg setzt schließlich eine spürbare Veränderung der Klientel ein. Der Wiener Arbeiter begibt sich auf die Heimreise und Maler, Maurer sowie Büroangestellte machen sich auf den Heimweg in Richtung Oberlaa.
Am Kagraner Platz wird das obligatorische Feierabendbier in den Händen erschöpfter Hackler zum oft gesehenen Begleiter, doch in Kagran wechseln die Fahrgäste schließlich von der Bierdose zum Einkaufssackerl. Kein Wunder, strömen hier doch zahlreiche Shopping Queens aus dem Donau Zentrum in den Zug.
Auf Schiene zur Station Alte Donau offenbart sich mit der traumhaften Aussicht auf die umliegenden Wasserflächen eine bisher verborgene Schönheit. Bootsfahrer, Badende und Sonnenanbeter sorgen für mehr Vielfalt unter den Fahrgästen.
Pferdeschwanz und Pudel
In der Vorgartenstraße präsentieren sich schließlich die Wiener Originale in ihrer vollsten Männlichkeit. Mit langem grauen Pferdeschwanz, im geschätzten Alter von 65 Jahren, fein herausgeputzt im Sonntagsanzug aus dem Jahr 1975 und mit jeder Menge Goldketterl versehen, wird hier der ebenso gestriegelte, stattliche Pudel mit der U-Bahn Gassi gefahren.
Unzählige Touristen aus dem asiatischen Raum mit noch mehr Klimt-Replikas unter den Armen füllen den Zug am Schwedenplatz – selten wurden so viele Exemplare von Klimts "Kuss" auf einmal gesehen.
Senioren bei der Therme
Ab dem Keplerplatz wird es ruhiger im Zug, von Station zu Station werden die Fahrgäste weniger und nachdem man die Alaudagasse und Neulaa hinter sich gelassen hat, erreicht man nach ungefähr 30 Minuten Fahrtzeit die Endstation in Oberlaa. Hier ist die verbliebene Klientel durchwegs im gesetzteren Alter, was einerseits an der sich in der Nähe befindlichen Kurresidenz, andererseits an der direkt mit der Station verbundenen Therme Wien liegen mag.
Farbenfroh ist die Reise in der U1 allemal: Wo in der Station Leopoldau Jugendliche zu Hip-Hop tanzen, machen sich in Oberlaa die Senioren und Familien für den wohlverdienten Tagesausklang in der Thermenlandschaft bereit.
Arbeiter, Diplomaten, Familien, jugendliche Style-Gurus und ästhetische Fehlentscheidungen machen gemeinsam mit ein paar wenigen Bierdosen das Stammpublikum der U1 aus und vermitteln dabei einen schönen und ehrlichen Querschnitt durch die Wiener Bevölkerung.
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