Verlust der Jungen: "Lendenkraft allein reicht nicht mehr"
Zahl der Jungen sinkt noch stärker als erwartet: Die Waldviertler haben ein Fortpflanzungsproblem. Das hat aber keine biologischen sondern politische Ursachen, wie Experten betonen.
WALDVIERTEL (pez). Dramatische Zahlen präsentierte vergangene Woche die Arbeiterkammer Niederösterreich. Einmal im Jahr nehmen sich die Experten Bevölkerungskennzahlen aus dem Bereichen Arbeitsmarkt, Einkommen und Bildung aus den Regionen in Niederösterreich vor. Das Waldviertel schneidet im Regionenvergleich dabei zumeist schlechter ab. Vor allem was die Bevölkerungsentwicklung betrifft, schrillen bei Bildungsexperte Günter Kastner - einem der Co-Autoren der Studie - die Alarmglocken: Laut seinen Berechnungen (Quellen siehe unten), werden im Waldviertel bis ins Jahr 2050 um 22,7 Prozent weniger Kinder und Jugendlich unter 14 Jahren leben. In allen anderen Regionen Niederösterreichs wird die Zahl der Kinder steigen. Nur dem Mostviertel droht ein ähnliches Schicksal - wenn auch nicht in diesem Ausmaß. "Die Rückgänge im Waldviertel sind im Vergleich zu den anderen Regionen am stärksten", so Kastner. Und: "Wir sehen keine Trendumkehr". Vor allem Schulen stehen damit vor einem Problem, so der Experte. Denn: "Es gibt keine Gewinner mehr".
Diese dramatische Entwicklung hat für die Experten der Arbeiterkammer mehrere Ursachen: Zum einen ist das Bildungsangebot im Waldviertel zu gering ausgebaut. "Für viele Schüler bedeutet das einen weiten Pendelweg", so Kastner. Gleichzeitig kommen kaum bis wenige Jungfamilien ins Waldviertel und einmal nach Wien oder Linz ausgependelte kommen bestenfalls in der Pension zurück. Wirtschaftsexperte Jürgen Figerl, selbst ein Waldviertler, erklärt das Problem so: "Ein Großteil des Zuzugs im Waldviertel dient zum Genießen der Pension".
Vor allem die Gruppe der so genannten NEET-Jugendlichen macht den Experten sorgen. NEET steht für Not in Education, Employment, Training - also Jugendliche, die sich weder in Ausbildung, Anstellung oder in Fortbildung befinden. "Das ist eine Gruppe die Gefahr läuft, vollständig aus dem Sozialsystem zu fallen", so Kastner. Zwar sei die Zahl der Betroffenen im Waldviertel mit 765 verhältnismäßig gering, aber: "Dahinter verbergen sich 765 Einzelschicksale".
Die Leiter der Arbeiterkammern Gmünd, Waidhofen, Horn und Zwettl führen die Abwärtsspirale vor allem auf die schlecht ausgebaute Infrastruktur zurück: "Was mich besonders ärgert: Seit Jahren fordern wir sinnvolle Infrastruktur aber es passiert nicht. Wenn wir nicht umdenken wird uns die Zeit überholen", formuliert Jürgen Binder (Zwettl) die Lage drastisch.
Robert Fischer (Horn): "Es fehlt die komplette Infrastruktur, ich kann gar nicht mehr hinhören, wenn Politiker dann Sonntagsreden halten. Das Waldviertel fällt im Einkommen permanent zurück, während wir die selben Abgaben zahlen, wie alle anderen."
Michael Preissl (Gmünd): "Man sieht in Freistadt, wie schnell sich Betriebe angesiedelt haben, nur in dem Wissen, dass eine Schnellstraße kommt. Wir haben ein Infrastruktur wie zu Zeiten des Eisernen Vorhanges, ganz so als ob das Jahr 1989 nie gegeben hätte. Ein zweispuriger Straßenausbau darf einem Planer heute nicht mehr passieren.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Leopold Kapeller, Leiter der Arbeiterkammer Waidhofen: "Die Lendenkraft alleine wird diese Abwärtsspirale im Waldviertel nicht stoppen".
Zur Sache: Die Zahl der bis 14-Jährigen im Waldviertel - Prognose bis 2050
Horn: -12,5 %
Waidhofen: -22,7 %
Gmünd: -24,2 %
Zwettl: -28,5 %
Quelle: Statistik Austria, ÖROK. Berechnung: AKNÖ
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.