„Zukunft heißt besinnen und den Weg zur Freiheit zu gehen!“

Siegfried Steger: „Wir haben alles getan, dass wir Tiroler als Volksgruppe existieren können!“ | Foto: Larcher
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  • Siegfried Steger: „Wir haben alles getan, dass wir Tiroler als Volksgruppe existieren können!“
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TELFS. Emotionsgeladen erzählt Siegfried Steger noch heute die Geschichte vom Leid der Südtiroler, der „Unrechtsgrenze“ durch Tirol, den Kampf der Bürger für ihre Existenz und die Anschläge in der „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 1961. BEZIRKSBLATT bat den in Italien zu lebenslanger Haft verurteilen „Pusterer Bua“ zum Interview.

Grenzen haben im vereinigten Europa kaum Bedeutung, für Siegfried Steger aus Telfs ist eine Grenze aber unüberwindbar: Seine Einreise nach Italien hätte seine sofortige Verhaftung zur Folge! Zweimal lebenslänglich plus 9 Jahre plus 4 Monate, so lautete das Urteil, das die „Pusterer Buam“ Siegfried Steger, Heinrich Oberleitner (lebt in Deutschland), Sepp Forer (Ladis) und Heinrich Oberlechner (2006 in Innsbruck gestorben und in Taufers in Südtirol beerdigt) im Rahmen der Mailänder Prozesse in Abwesenheit ausfassten – für ihre Beteiligung an Anschlägen in den 60er Jahren, speziell in der „Feuernacht“. BEZIRKSBLATT bat den 71-Jährigen Telfer Siegfried Steger zum Gespräch:

BB: Die Landesregierung drängt erneut auf Begnadigung der „Pusterer Buam“, wie sehen Sie diese Bemühungen?
SIEGFRIED STEGER: „Es freut mich, dass sich das Land so einsetzt. Danke! Es wäre ein Zeichen der späten Gerechtigkeit und Versöhnung, wie es das Land deutet, kein Akt der Gnade. Wir hätten schon vor 20 Jahren ein Gnadengesuch unterschreiben können, aber begnadigen tut man Leute, die etwas Unrechtes getan haben. Was wir getan haben, war gerecht!“

BB: Wie stehen Sie heute zur Feuernacht von Damals?
STEGER: „Ich bin froh, dass ich damals mit dabei war, aber es tut mir Leid, dass Leute zu Schaden gekommen sind. Menschen sind gefoltert worden, die Folterknechte wurden ausgezeichnet – das ist Staatsterror! Die Leute haben vor Schmerzen Tag und Nacht geschrien – die wirklichen Terroristen saßen in Rom! Wir selber haben nur Sachen, nicht das Volk angegriffen! Die Wahrheit kommt immer mehr ans Licht: Dass wir keine losgelassenen Deppen sind, wir haben gehandelt, weil es eine ausweglose, ungerechte Situation war, da mussten wir uns wehren.“

BB: Die Italiener verzeihen die damaligen Attentate nicht, eine Aufhebung der Urteile war bisher ausgeschlossen. Ist es eine Genugtuung, dass sich Italien immer noch verletzt zeigt?
STEGER:
„Genugtuung ist es keine. Normalerweise müssen sie hergehen und sich bei den Südtirolern entschuldigen. Ich habe schon damals irgendwo das Gefühl gehabt: Wenn wir es so den Italienern zeigen, wir uns nicht alles gefallen lassen, werden sie uns das nicht verzeihen!“

BB: Sie wussten, Sie müssen nach den Anschlägen flüchten, die Heimat für immer verlassen...
STEGER:
„Man hat uns gesagt: Mander, wenn ihr das macht, müsst ihr abhauen. Erwischen lassen wir uns nicht. Einmal haben sie mich als junger Bursch erwischt, wie ich einen Tiroler Adler groß auf eine Felswand malte, da haben die Italiener mir schon gezeigt, wozu sie fähig waren!“

BB: Es war Ihnen bewusst, dass Sie alles verlieren können, auch Ihr Leben, Sie waren erst 21!
STEGER:
„Es war eine Flucht ohne Heimkehr, es kostet viel Kraft! Man darf nicht verzweifeln, sonst kann man nichts mehr tun, es wäre zum Nachteil, für einen selber und für die Sache. Wir haben uns damit abgefunden. Die alten Faschisten in Südtirol haben nach dem Krieg geglaubt, sie haben das Sagen. Es war nicht zu ertragen!“

BB: Gibt oder gab es Versuche, wieder Heim zu kommen?
STEGER:
„Ich lasse mich auf kein Abenteuer ein. Wenn man zweimal Lebenslänglich hat, tut man keinen Blödsinn. Ich musste meinen Eltern versprechen, auch wenn ihnen etwas passiert, ich soll nichts unternehmen, zu ihnen nach Südtirol zu kommen. Daran habe ich mich gehalten.“

BB: Fühlen Sie sich als Gejagter?
STEGER:
„Jetzt nicht mehr, damals schon. Wir waren bekannt, wir waren flüchtig und wir haben bekundet, wir geben nicht auf. Das Land befreien war unser Endziel, das haben wir nicht erreicht.“

BB: Sie wehrten sich damals gegen den Zustrom der Italiener nach Bozen. Wie stehen Sie zu den Migranten in Ihrer neuen Heimatgemeinde Telfs?
STEGER:
„Was soll ich dazu sagen! Ich wollte 1978 in Telfs ein Grundstück kaufen (seit 1981 lebt Steger in Telfs, 32 Jahre war er Fleischer in Deutschland, Anm. d. Red.), da hat die Grundverkehrsbehörde meinen Kaufantrag abgelehnt, mit der Begründung: „Wegen Überfremdung in Telfs!“ – Schlussendlich bin ich doch durchgekommen. Dabei bin ich ein Urtiroler: Mein Ururur-Großvater Anton Steger war Militärberater von Andreas Hofer! Der Schützenhauptmann von Bruneck hat mir das gesagt, er hat nämlich nachgeforscht.“

BB: Terror passiert überall auf der Welt. Mit welchen Gefühlen beobachten Sie das?
STEGER:
„Sobald auf die Zivilbevölkerung geschossen wird, bin ich erschüttert. Jeder Freiheitskampf ist etwas Schlimmes, es ist leider manchmal so, dass es die Obrigkeit nicht kapiert. Wir haben auch nicht gegen das italienische Volk gekämpft, sondern gegen den Staat, der Widerstand war notwendig.“

BB: „Haben Sie das Gefühl, als ein Vorbild, Idol zu gelten?“
STEGER:
„Das spüre ich schon, es rührt mich! Ich erzähle Jungschützen wie es damals war, die fragen mich immer, das ist immer sehr erfreulich.“

BB: Haben sich die Anschläge für sie gelohnt, im Nachhinein?
STEGER:
„Wenn man sich heute Südtirol ansieht, mit Sicherheit! Das wäre sonst nie erreicht worden, die Italiener hätten weiter gemacht mit der Zuwanderung! Jetzt sind die Südtiroler gestärkt, die Italiener können nicht einfach drüber fahren. Ich bin zufrieden.“

BB: Wie Realistisch sehen Sie eine Wiedervereinigung von Nord- u. Südtirol in der Zukunft?
STEGER:
„Es ist schon eine Bewegung vorhanden, auch bei jungen Leuten hört man, diese Wiedervereinigung muss schon erreicht werden. Das muss sich mit der Zeit entwickeln. Die Jugend interessiert die Geschichte, die wollen was dafür machen.“

BB: Es gibt Umfrage-Prognosen, die Mehrheit in Südtirol ist gegen einen Anschluss an Österreich ...
STEGER:
„Es findet sich sicher eine Mehrheit, ganz klar bei der Urbevölkerung. Da muss man vorher aber viel aufklären, wie es weitergehen würde, das hat auch der Südtiroler LH Durnwalder so gesagt.“

BB: Es hat bisher nie Versuche gegeben, darüber abzustimmen.
STEGER:
„Die offizielle Politik hat kein Interesse, erst recht nicht jetzt, wegen dem Brennerbasis-tunnel, da sollen die Italiener nicht geärgert werden.“

BB: Kämpfen Sie heute noch auf irgendeiner Weise um den Anschluss Südtirols an Österreich?
STEGER:
„Das Ziel habe ich immer vor Augen! Ich tu aber niemand aufhetzen, habe ich auch nie getan! Ich rede mit den Leuten und sage zu allen: Wir haben andere Mittel, wir brauchen keinen Sprengstoff mehr!“

BB: Welche Mittel sind es dann?
STEGER:
„Wir bauen eine friedliche Sache auf, mit Symbolen, die wir selber entwerfen und bauen. Die Dornenkrone ist eines davon, für den Festumzug 2009 in Innsbruck haben wir ein Symbol für das wiedervereinte Tirol vorgeschlagen, leider von der Jury abgelehnt. Auf einem Privatgrund bei der Kaiserschützen-Kapelle oberhalb Schloss Ambras steht ein 3 Meter hohes „Besinnungskreuz“, Symbol der schmerzlichen Trennung von Nord- und Südtirol, zusammengehalten von einer Dornenkrone, dazu der „Geschichtsstein“. Das könnte ein Ort zur Begegnung und Besinnung für die Schützen auf beiden Seiten des Brenners sein. Der Ort ist dazu da, den Weg zur Freiheit zu beschreiten. Wenn die Italiener sehen, dass die Tiroler die Wiedervereinigung als Ziel sehen und das wirklich wollen, dann werden sie sich auch nicht mehr so dagegen wehren. Wir sind deswegen auch keine Feinde.“

BB: Symbole statt Sprengstoff heißt jetzt die Devise?
STEGER:
„Es würde der Sache Schaden, wenn ein weiterer Anschlag passieren würde. Aber wenn gar nichts passiert, passiert nichts. Dafür haben wir zu viel geopfert, dass wir das Ziel auch erreichen.“

BB: Wo wollen Sie beerdigt werden, in Nord- oder in Südtirol?
STEGER:
„Am liebsten im wiedervereinten Tirol.“

Interview: Georg Larcher

ZUR SACHE:
Vom 11. auf 12. Juni 1961 wurden in Südtirol 37 Hochspannungsmasten innerhalb 1 Stunde gesprengt. Es waren bewusst Anschläge gegen Sachen, nicht gegen Menschen.Die Weltöffentlichkeit sollte damit auf die Unterdrückung der deutschsprachigen Minderheit in Südtirol aufmerksam gemacht werden. Die Anschläge des Befreiungsausschusses Südtirol (B.A.S.) 1961 waren nach Sicht der heurigen Tiroler Landesregierung unter LH Platter ein wichtiger Meilenstein in den Autonomiebemühungen zum Erlangen der vertraglich zugesicherten Minderheitenrechte der deutschsprachigen Südtiroler Bevölkerung in Italien gewesen. Danach sei eine Behandlung vor der UNO möglich gewesen. Keiner der „Pusterer Buam“ wurde je von den Italienern geschnappt, einer ist 2006 verstorben und in seiner Heimatgemeinde in Südtirol unter großer Anteilnahme beerdigt worden, einer lebt in Deutschland, einer in Ladis und Siegfried Steger lebt seit 1981 in Telfs.

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