St. Pölten: Eine Ehe mit der Glanzstoff
Schicksal und Entwicklung der Stadt hängen am kunstseidenen Faden
ST. PÖLTEN (jg). Ein Rundgang durch und um das Areal des ehemaligen Viskosegarnherstellers in St. Pölten verdeutlicht, dass die glanzvollen Jahre dieses Teils der Stadt schon einige Jahre zurückliegen. Hinter Absperrgittern verbergen sich jetzt lose Leitungen und Schutt, zerborstene Fensterscheiben und hie und da ein Graffiti, wo früher bis zu 3.000 Menschen Arbeit gefunden haben.
Geschichte der Stadt
Die 1906 eröffnete und 2008 nach einem Brand eingestellte Glanzstoff spiegelt laut Historiker Thomas Lösch wie wenig andere Betriebe die Geschichte der Stadt wider: Angefangen mit dem Bau des Industriebetriebes, der bis zuletzt ausschließlich mit Elektrizität aus dem öffentlichen Stromnetz betrieben wurde, über Streiks während des ersten Weltkrieges und der zwischenzeitlichen Stilllegung des Betriebs im Zuge der Weltwirtschaftskrise bis hin zur Arbeitsmigration und der New Design University. "Zu guter Letzt ist die Betriebsstilllegung auch ein Symbol für die Deindustrialisierung", so Lösch.
Leben in der Glanzstadt
"Ohne Zweifel", so der Historiker, habe die Glanzstoff auch das Image der Stadt geprägt: "Das lag neben der räumlichen Ausdehnung nahe dem Stadtzentrum auch am Geruch, der vom Werk ausging." Der verflogene Gestank und die Vorhaben, die im Jahr 2015 im Zeichen der Glanzstoff geplant sind, stehen nun einmal mehr exemplarisch für die Entwicklung der Stadt: Statt schlechter Luft wird seitens der Stadtführung die hohe Lebensqualität, etwa durch die Seen in unmittelbarer Nähe zum Glanzstoffareal, betont.
Symbolisch für die kulturelle Entwicklung wird am 30. April die Bürgerproduktion "Glanzstoff" des Landestheaters in den ehemaligen Industriehallen des Unternehmens uraufgeführt. Und nicht zuletzt soll dem Areal unter dem Titel "Glanzstadt" neues Leben eingehaucht werden.
Bis zu 2.600 Bewohner
Pläne sehen vor, dass hier bis zu 1.300 Wohnungen für bis zu 2.600 Menschen entstehen. Darüber hinaus sollen rund 1.000 Arbeitsplätze angesiedelt werden. "Aufgrund der zentralen Lage und der künftigen Nutzungsüberlegungen hat der Standort ein erhebliches Potenzial", sagt Jens de Buck, Leiter des Bereichs Stadtentwicklung im Magistrat St. Pölten.
In dem Vorhaben, das voraussichtlich am Beginn des zweiten Quartals dieses Jahres in das Raumordnungsverfahren mit dem Land Niederösterreich startet, spiegelt sich nun auch die zunehmende Beliebtheit der Stadt als Wohnstandort wider: Früher war das Areal eine grüne Wiese. Die Stadt ist entsprechend gewachsen. "Damit ist das Areal als Industriestandort nicht mehr geeignet", so de Buck.
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