Manche würden es Schicksal nennen

Constancio Castañeda in seinem Lieblingsplatz im Garten
  • Constancio Castañeda in seinem Lieblingsplatz im Garten
  • hochgeladen von Isabel Hörmann

GRINS (isa). Constancio Castañeda wurde in Huixtla, einer kleinen Stadt im südlichen Bundesstaat Chiapas geboren. Als Zweitältester wuchs er zusammen mit vier Brüdern und zwei Schwerstern unter armen Verhältnissen auf. Bereits im Alter von acht Jahren verlor er seinen Vater und musste von dort an für seine Familie sorgen. „Meine Mutter hatte keinen Beruf. Sie musste von ihrer Kraft leben“, sagt er. Es habe kein soziales Netz gegeben, kein Kindergeld oder andere Unterstützung vom Staat. Die Familie musste sehr stark zusammen halten.

„Mit neun Jahren begann ich auf der Baustelle zu arbeiten, um Geld für meine Familie und für die Schule zu verdienen. Am Abend ging ich jeweils von 18.00 bis 22.00 Uhr zum Unterricht“, erzählt der Mexikaner. Dies sei trotz der Mehrfachbelastung alles andere, als eine Selbstverständlichkeit gewesen. Denn auch heute gebe es noch viele Analphabeten in Südamerika, was mitunter ein bedeutender Faktor für die hohe Kriminalitätsrate ist. „Wir lebten am Stadtrand in einer bescheidenen Unterkunft. Für die ganze Familie hatten wir zwei Zimmer. In Mexiko passiert das ganze Leben auf der Straße. Niemand kocht zu Hause. Wenn man ein wenig Geld hat, kauft man sich unterwegs eine Kleinigkeit“, beschreibt Constancio sein Geburtsland und seine Landsleute. „Die Menschen leben entspannt in meiner Heimat. So lange etwas funktioniert, wird auch nichts ausgetauscht. Alles wird nur notdürftig geflickt.“

Die Gelassenheit des Südens

In Mexiko lässt sich also niemand so schnell aus der Ruhe bringen. Das spanische Wort „mañana“ ist bei der Bevölkerung täglich mehrmals in Gebrauch und bedeutet „morgen.“ Es charakterisiert die Gelassenheit und auch die Gemütlichkeit der Mittel- und Südamerikaner. Diesem Klischee entspricht Constancio Castañeda allerdings nicht. Er lernte schon in jungen Jahren, was es heißt, Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen. Er beklagte sich auch nicht darüber, zweimal täglich 41 Kilometer weit mit dem Fahrrad in die Arbeit und wieder retour zu fahren, um seine Familie über Wasser zu halten.

Mit zwölf Jahren besuchte er eine Tischlereischule und legte damit den Grundstock für sein Handwerk, das später sein Leben verändern sollte. Bis Constancio schließlich mit 22 Jahren zu seinem Bruder in die Millionenstadt Mexiko City zog, schlug er sich zwischenzeitlich mit vielen Gelegenheitsjobs durchs Leben. Er arbeitete unter anderem auf einer Kaffeeplantage, oder er boxte, um Geld zu verdienen. Constancio nahm alles in Kauf. Sogar als Vaquero (spanisch für Cowboy) war er eine Zeit lang tätig. Wobei ihn ein schwerer Unfall für drei Tage in einen komatösen Zustand beförderte. Einen Aufenthalt im Krankenhaus konnte sich die Familie nicht leisten, und so pflegte ihn seine Mutter zu Hause. Wie durch ein Wunder, wurde er selbst ohne ärztliche Hilfe wieder vollkommen gesund. In Mexico City gelangte Constancio dann per Zufall zu einer Firma, die einen Tischler für Großbauten suchte. Durch seinen neuen Arbeitgeber landete er wenig später in der wunderschönen Stadt San Miguel de Allende, wo er sich in der idyllischen Umgebung schon bald wohl fühlte. „Es ist eine sehr gepflegte Stadt mit einem guten Klima und viel Tourismus.“

In seiner neuen Heimat fertigte der Tischler Möbel für die USA und für Kanada an, bis ihn eines Tages ein Ehepaar aus Landeck auf der Straße ansprach. Sie würden einen Tischler suchen, meinten sie. Constancio erklärte ihnen, dass er zufällig Tischler sei. Die Tiroler bräuchten einen besonderen, mexikanischen Sonnenschirm und erkundigten sich, ob er wüsste, wie man so einen Schirm herstellt. Natürlich wisse er es und versprach, binnen einer Woche ihren Wunsch zu erfüllen. Doch er wusste es nicht und musste sich erst erkundigen um das schicksalshafte Stück anzufertigen. Dem Tiroler Ehepaar gefiel Castañedas Verlässlichkeit und seine Arbeit, die sich bis heute durch einen individuellen Stil auszeichnet. Er bekam zusehends mehr Aufträge von ihnen, bis sie ihn letztendlich für die Einrichtung eines Hauses, das sie in Grins bauen ließen, nach Tirol holten.

Der Weg in ein neues Leben

Angekommen in Tirol verschlug es Castañeda als Untermieter zu seiner jetzigen Frau Christl, die ihn, beeindruckt von seinem mutigen Schritt auszuwandern, von Beginn an unterstützte. Allerdings sprach der Mexikaner bei seiner Ankunft noch kein Wort Deutsch! Constancio nahm kurzerhand ein paar Deutschstunden und den Rest lernte von der Frau, in die er sich bald verliebte. Nach der anfänglichen Neugierde und Verwunderung im Dorf über den Exoten, gelang es dem sympathischen Mexikaner, sich schnell zu integrieren. Wobei die erste Zeit in Tirol alles andere als einfach für Castañeda war. Neben der sprachlichen Barriere machte ihm besonders die klimatische Veränderung, sprich die kalten Winter, aber auch die Ernährungsumstellung auf die Tiroler Küche, zu schaffen. „Inzwischen ist meine liebste Speise Speckknödel mit Sauerkraut“, sagt er schmunzelnd.

Die großen Unterschiede zwischen Mexiko und Österreich überwältigten den Neu-Tiroler. In Österreich hat alles seine Ordnung, während Castañedas Heimat geprägt sei, von Armut und Korruption. „In Mexico ist nichts verboten. Man kann machen was man will. Schwierig wird es mit den Behörden. Ich habe sofort gesehen, dass das Leben hier viel mehr Gerechtigkeit für einen bereithält.“

Constancio arbeitete fleißig, erst auf Baustellen, später in Tischlereien. Die freien Sonntage verbrachte er damit, Briefe nach Hause zu schreiben und seine Langspielplatten mit Liedern aus Mexiko zu hören und dazu zu singen. Der Gesang in seiner Muttersprache ist für Constancio bis heute eine Möglichkeit, Erinnerungen an seine Heimat nach Tirol zu transportieren. Ein Kontakt mit seinen Familienmitgliedern war nur selten möglich, da das Telefonieren damals sehr teuer war. „Eine Minute nach Mexiko kostete 53 Schilling“, erinnert sich der Tischler.

Die Geburt ihrer Söhne, Gabriel und Thomas und die Heirat in Tirol vervollständigte das junge Familienglück des ungewöhnlichen Paares. Durch gemeinsame Reisen nach Mexico, lernten Frau und Kinder später auch Land und Leute des stolzen Familienvaters kennen. Constancio selbst unternimmt etwa alle drei bis vier Jahre eine Reise in sein Heimatland und kehrt jedes Mal mit einen Schatz an Erinnerungsstücken wieder zurück ins sonnige Grins.

Ich komme vom schönsten Dorf Mexikos ins schönste Dorf Tirols!

Dem Handwerker gelang es schließlich, in einer Kunsttischlerei Fuß zu fassen, in der er bis zur Pension mit Liebe zum Detail arbeitete. Inzwischen freut er sich über eine Vielzahl an Kontakten und Freundschaften. „Ich liebe Tirol, die Kultur, die Berge und ich liebe es, in meinem Garten zu arbeiten.“

75 Jahre alt, aber kein bisschen müde. Im wohlverdienten Ruhestand ist Castañeda durch den Künstler Bob Ross auf eine Möglichkeit gestoßen, seine Kreativität auch auf der Leinwand auszuleben. Ein Teil der Tischlerwerkstatt wurde umfunktioniert und dient inzwischen als Atelier. Wobei das Multitalent auch vor moderner Technik nicht zurückscheut! Soziale Netzwerke wie etwa Facebook verwendet er leidenschaftlich gerne und via Skype wird regelmäßig Kontakt zu seinen Lieben gehalten.
Constancio Castañeda wurde einst vom Schicksal geküsst und hat durch seinen Mut, einen Sprung ins Ungewisse zu wagen, eine zweite Heimat gefunden.

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Folge uns auf:

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.