„Kindchenschema“ als Fluch
Kulleraugen, Stupsnäschen, hohe Stirn – niedlich aussehen wie ein Baby. Tierforscher Konrad Lorenz prägte dafür den Begriff „Kindchenschema“. Tiere bestimmter Rassen leiden ein Leben lang unter den Folgen.
Polly strampelt ein wenig mit den Beinchen. Dann hält sie geduldig still. Sie kennt die Prozedur. Mit geübtem Griff und unter sanftem Zureden zwickt die Tierärztin dem dreijährigen Zwergkaninchen die Schneidezähne ab. Würde die Behandlung nicht alle paar Wochen durchgeführt, müsste Polly vor der prall gefüllten Heuraufe verhungern. Aufgrund einer Zahnfehlstellung kann sich Pollys Gebiss nicht abnützen – die Folgen eines angeborenen Defektes: Damit Löwenkopfkaninchen besonders niedlich aussehen, wurde ihnen durch gezielte Zuchtauswahl ein rundes Köpfchen „anselektiert.“ Die Schneidezähne wachsen bei Kaninchen ein Leben lang nach. Aufgrund des angeborenen Schadens würden sie bei Polly wie ein Posthorn rund wachsen. Qualzucht macht aus den Vertretern bestimmter Tierrassen „Patienten auf Lebenszeit“!
„Tiere mit verkürztem Gesichtsschädel zeigen oft von Geburt an eine Vielzahl von Krankheitssymptomen“, erklärt Diplomtierärztin Ute Soklaridis im bz-Interview. „Nicht nur Fehlstellungen des Gebisses sind die Folgen: Bei kurzschnäuzigen Hunden sind Atemnot und Schnarchen häufige Anzeichen dafür, dass sie unter verengten Atemwegen, zu langem Gaumensegel und zu viel „häutigem“ Anteil in dem verhältnismäßig zu kurzen Nasen-Rachenraum leiden“, schildert die engagierte Kleintiermedizinerin. Häufig sind chronische Herzerkrankungen die Folge. Abgeknickte Tränengänge führen auch bei Perserkatzen zu laufenden Entzündungen. Die Augäpfel sind zu groß. Verletzungen am Auge kommen besonders häufig vor. Zwischen den Hautfalten im Gesichtsbereich sammeln sich Bakterien: Latente Infektionen können auftreten. Ein Qualzuchtverbot könnte langfristig viel Leid ersparen helfen!
Markus Hübl
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