„Der 9te ist sehr lebenswert“
Können Lehrer lustig sein? Sie können, wie Kabarettist Harry Granitzer beweist
Tagsüber absolviert der gebürtige Kärntner seinen „täglichen Auftritt“ als Englisch- und Geschichtslehrer im Gymnasium Draschestraße, abends begeistert er seine Zuseher im Theater am Alsergrund als Kabarettist. Eigentlich klar, dass es sich bei den Inhalten seiner Programme um nicht vorhandene Bildung handelt. Die BZ bat Harry Granitzer zum Interview über Kinder und Kabarett.
BEZIRKSZEITUNG: Ihre Programme heißen „Bildungsresistent“ und „Noch bildungsresistenter“. Trifft das auf die heutige Jugend zu?
Harry Granitzer: „Ich glaube, es gibt nicht wirklich einen Unterschied zwischen der heutigen
Jugend und der früheren. Durch die ständige Reizüberflutung gehen aber schon Basics verloren und gewisse Dinge, wie politische Sachen, werden nicht mehr wahrgenommen, da überall Möglichkeiten gefunden werden können, der eigenen Lust zu frönen. Auch an Drogen zu kommen, ist heute einfacher – es findet eine allgemeine Verrohung statt.“
BZ: Wie versuchen Sie als Lehrer dagegen zu steuern?
Harry Granitzer: „Ich unterrichte neben Englisch auch Geschichte, wo ich die Möglichkeit habe, den Schülern beizubringen, Dinge differenzierter zu betrachten und einen objektiven Zugang zu finden.“
BZ: Versuchen Sie auch als Kabarettist zu moralisieren?
Harry Granitzer: „Nein, ich möchte nicht die Welt verändern, sondern in erster Linie unterhalten. Natürlich gibt es auch politische oder kirchliche Sachen, die zum Nachdenken anregen, aber politisches Kabarett, wie es Hans Peter Heinzl gemacht hat, ist mir zu fad.“
BZ: Woher nehmen Sie Ihre Ideen?
Harry Granitzer: „Ich schlüpfe in Rollen von Kollegen und verwerte auch Meldungen von Schülern. In meinen Programmen ist alles wahrheitsgetreu, ich brauche nichts zu erfinden.“
BZ: Haben Schüler vor netten Lehrern weniger Respekt?
Harry Granitzer: „Ich bin seit zehn Jahren Lehrer und habe inzwischen einen guten Mittelweg gefunden. Die ersten zwei bis drei Jahre war ich zu jovial und die Schüler haben die Grenze nicht gekannt. Jetzt habe ich einen gut gehbaren Weg gefunden.“
BZ: Worin sehen Sie die Aufgabe der Schule?
Harry Granitzer: „Die Eltern wälzen viel an die Schule ab. Eltern, deren Kinder die Oberstufe besuchen, kommen in meine Sprechstunde, um private Dinge über ihre Kinder zu erfahren. Daheim wird nichts gesprochen und vieles wird an die Lehrer abgegeben. Dabei wird mehr erwartet, als wir geben können.“
BZ: Ist hier in Wien ein Amoklauf an einer Schule wie beispielsweise in Deutschland vorstellbar?
Harry Granitzer: „Möglich ist es, aber ich halte die Wahrscheinlichkeit in Österreich für geringer als in Deutschland, da unsere Mentalität lascher ist. Die Deutschen hingegen sind gründlicher und organisierter.“
BZ: Hegen Sie als Englischlehrer eine Liebe zu England? Woher rührt diese?
Harry Granitzer: „Ich höre gerne Musik von Depeche Mode, The Cure, Morrissey und Sisters of Mercy. Als Jugendlicher wollte ich wissen, worüber gesungen wird und habe 1984 als 14-Jähriger „People are people“ von Depeche Mode übersetzt. Das hat meine Lust an der Sprache geweckt und eine Lawine losgetreten. Ohne Depeche Mode wäre ich kein Lehrer geworden!“
BZ: Sind Sie gerne Lehrer?
Harry Granitzer: „Ja. Mich stören jedoch ein bisschen die Pauschalverurteilungen – es gibt genug gute Leute in diesem Beruf.“
BZ: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Kabarettprogramm zu schreiben?
Harry Granitzer: „Ich habe als Student im Theater am Alsergrund, das sich in der Nähe meiner Wohnung befand, hinter dem Lichtpult gearbeitet und nebenbei mit dem Theaterbesitzer Andreas Hutter die auftretenden Künstler kommentiert. Dann hat er gemeint, ich soll doch selber etwas machen.“
BZ: Wohnen Sie immer noch im 9. Bezirk?
Harry Granitzer: „Nein, ich wohne jetzt mit meiner Familie im Wienerwald. Aber sollte ich wieder in die Stadt ziehen, würde ich den Neunten wählen, da er sehr lebenswert ist. Besonders gerne habe ich mich am Sobieskiplatz aufgehalten.“
Das Interview führte
Maria-Theresia Klenner
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