Interview
Martin Stranzl: "Die jungen Spieler haben ein Jahr verloren"
Der Ex-Teamspieler Martin Stranzl über seine Zeit nach dem Profifußball, den heutigen Nachwuchsfußball und die EM-Chancen für Österreich.
BEZIRKSBLÄTTER: Vor vier Jahren haben Sie Ihr Karriereende vom Profifußball bekanntgegeben, was hat sich seither bei Ihnen getan?
MARTIN STRANZL: Nach meiner Profikarriere habe ich in Deutschland mit der Trainerausbildung begonnen und als Jugendtrainer den FC Büderich betreut. Zwischenzeitlich war ich auch als Spielerberater aktiv. Bevor ich als Co-Trainer die U19 meines damaligen Profivereins, Borussia Mönchengladbach, übernahm. Es waren tolle Erfahrungen, die ich sammeln konnte, auch im Nachwuchsbereich. Heuer unterstützte ich dann kurzzeitig als Individualtrainer das israelische Nationalteam.
Vor zwei Jahren sind Sie und Ihre Familie nach Urbersdorf zurückgekehrt, was war ausschlaggebend?
Die Rückreise nach Deutschland fiel uns, vor allem den Kindern, die gerne bei Oma und Opa sind, immer schwerer. Auch nach Ruhe und Gemütlichkeit haben wir uns gesehnt. Die zwanzig Jahre als Profifußballer war ich eigentlich ausschließlich in Großstädten unterwegs, wo das Leben sehr stressig ist. Daher haben wir uns damals gemeinsam als Familie bewusst dazu entschieden, unsere Zelte in Deutschland abzubrechen und wieder nach Hause zurückzukommen.
Sind Sie mit dem Fußball weiterhin eng verbunden?
Aktuell trainiere ich in Güssing die U14. Die Arbeit mit den Kindern macht sehr viel Spaß. Aus dem Profibereich halte ich mich bewusst raus. Ab und zu schaue ich mir ein Spiel, im Fernsehen oder live an.
Worauf blicken Sie, wenn Sie an Ihre Profikarriere denken, gerne zurück?
An sehr viele schöne Spiele und viele tolle Bekanntschaften. Wenn ich an meine Zeit in Gladbach zurückdenke, denke ich vor allem an die besondere Atmosphäre im Stadion und an das Kabinenflair mit den Mitspielern. Ich konnte aus vielen Spielen für die Zukunft etwas mitnehmen, egal ob Erfolg oder Misserfolg. Fußball lebt von Emotionen und von den Fans. Daher ist es irrsinnig schade, dass die Spiele zurzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden müssen. Abgesehen von der fehlenden Atmosphäre, ist der finanzielle Schaden enorm.
Während des Lockdowns sind Fußballspiele und Mannschaftstrainings nicht erlaubt, was heißt das vor allem für junge Nachwuchsspieler?
Das ist eine mittlere Katastrophe, denn Spieler von 12 bis 16 Jahren machen die größte Entwicklung durch. Heimpläne und Zoom-Meeting können das Mannschaftstraining auf dem Sportplatz nicht ersetzen. Es fehlen die ganzen technischen Übungen mit Ball und Mitspieler. Die eingeschränkten Trainingsmöglichkeiten können sich womöglich über die nächsten Jahre hinaus auswirken. Den jungen Spielern ist ein ganzes Jahr genommen worden und das ist wirklich sehr schade.
Was raten Sie jungen Fußballern, die eine ähnliche Profikarriere einschlagen wollen?
Wenn man Ziele hat, ganz egal ob sportliche oder berufliche, muss man alles andere dafür unterordnen und nicht darauf vergessen selbstkritisch zu sein. Dazu braucht man auch das nötige Glück und von Verletzungen verschont bleiben. Aber früher oder später wird man für seinen Aufwand belohnt.
Die Fußball-EM steht vor der Tür, was glauben Sie, wie stehen die Chancen für Österreich?
Zu wünschen wäre es, dass Österreich weit kommt. Die Leistungen sind recht eindrucksvoll. Die Spieler sind sehr flexibel und können mehrere Positionen einnehmen. Also vom Potential haben sie gute Chancen die Gruppenphase zu überstehen. Nun müssen alle Kräfte gebündelt werden, dann kann man der Mannschaft einiges zutrauen.
Österreich bekommt es bei der WM-Qualifikation für die Endrunde 2022 in Katar, mit Dänemark, Schottland, Israel, Faröer und Moldavien zu tun, was sagen Sie zu den Gegnern Österreichs?
In der Gruppenphase wird es Schlag auf Schlag gehen. Da heißt es, jedes Spiel gut überstehen. Dann ist der Gruppenerste durchaus machbar, die Qualität ist auf jeden Fall da.
Martin Stranzl
geboren am: 16. Juni 1980
Vereinskarriere: SV Güssing, 1860 München, VfB Stuttgart, Spartak Moskau, Borussia Mönchengladbach (Karriereende 2016)
56 Länderspiele, 3 Tore
57 Europacup-Spiele
352 Erstligaspiele in Deutschland und Russland
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.