Bedenklicher Anstieg chronischer Erkrankungen
Jedes dritte Kind in Europa ist betroffen
KIRCHDORF. An chronischen Erkrankungen, wie Asthma, Allergien, Diabetes Mellitus Typ 1 oder entzündlichen Erkrankungen des Darms oder der Gelenke leiden heute längst nicht nur Erwachsene. Studien zeigen, dass diese Krankheitsbilder in den vergangenen 50 Jahren zugenommen haben. Mittlerweile ist nahezu jedes dritte europäische Kind von zumindest einer chronischen Erkrankung betroffen. Die Tendenz ist steigend. Erschreckende Zahlen, die viele Eltern verunsichern, wünschen sie sich doch für ihr Kind eine möglichst unbeschwerte, gesunde und schmerzfreie Kindheit und Jugend. Prim. Dr. Gerhard Pöppl, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am LKH Kirchdorf, warnt jedoch vor übertriebener Vorsicht.
„Unser Immunsystem ist heute aufgrund unserer hohen medizinischen Standards, unseren teils falschen Hygienevorstellungen und andererseits vieler Umwelteinflüsse schlichtweg unterfordert, ja sogar fehlgeleitet“, informiert der Spezialist für Kindererkrankungen, „harmlose Stoffe wie beispielsweise Gräserpollen, Kuhmilchproteine oder harmlose Darmbakterien, werden ohne ersichtlichen Grund, als feindlich eingestuft und aggressiv bekämpft. Daraus resultieren Pollenallergien, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder chronische Darmerkrankungen.“ Expert/-innen gehen heute davon aus, dass ein Grund für dieses unberechenbare Verhalten darin liegt, dass das Immunsystem in den ersten Lebensmonaten nicht ausreichend gefordert wurde.
Schmutz als Schutz?
Eine übertriebene Vorsicht und ein Übermaß an Hygiene wirken sich dementsprechend oft sogar negativ auf das Immunsystem aus, das gerade in den ersten Lebensjahren erst in Schwung kommen muss. „Der Mensch kommt nicht mit einer voll ausgeprägten Immunabwehr zur Welt“, erklärt der Experte, „er muss im Laufe der Zeit gegen die meisten, ihm noch unbekannten Krankheitserreger Antikörper bilden und eine effiziente Abwehr aufbauen.“
Zudem lassen sich die Billionen von Bakterien, die den menschlichen Körper besiedeln, trotz intensiver Körperhygiene oder übermäßigem Desinfizieren nicht eliminieren. Das Gegenteil ist der Fall – viel zu oft wird durch besonders steriles Verhalten ein viel schädlicheres Umfeld erzeugt. „Keime und Bakterien sind nicht immer negativ für unseren Organismus“, so der Leiter der Kinder- und Jugendheilkunde des LKH Kirchdorf, „im Magen-Darm-Trakt befinden sich beispielsweise bis zu 500 Arten von Bakterien, die den Stoffwechsel unterstützen, die Abwehr stärken und sogar Einfluss auf unsere emotionale Verfassung haben können.“
Diese Keime und Bakterien stellen ein sensibles Gleichgewicht zu den, für den Menschen schädlicheren, Mikroorganismen her. Gerät diese Bakterienkultur aufgrund von enormer Hygiene, falscher Ernährung, Stress oder anderer Umwelteinflüsse aus dem Takt, so können Krankheiten und in weiterer Folge auch chronische Leiden die Folge sein.
Sensibler Umgang mit den betroffenen Kindern
Der dramatische Anstieg an chronischen Erkrankungen bei Kindern stellt heute nicht nur die betroffenen Familien, sondern auch die Mediziner/-innen vor große Herausforderungen. „Chronisch sind jene Erkrankungen, die eine dauerhafte oder sogar lebenslange Beeinträchtigung mit sich bringen. Sie können meist nicht geheilt werden“, so Prim. Dr. Gerhard Pöppl abschließend, „durch einen bewussten Lebensstil, umfassende medizinische Betreuung und die Sensibilisierung des Umfeldes auf die speziellen Bedürfnisse der kleinen Patient/-innen können diese chronischen Krankheiten jedoch um ein vielfaches erträglicher gemacht werden.“
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