Stift Schlierbach
"Geh mit, steh nicht abseits!"
Gedanken zum Weihnachtsfest von Abt Nikolaus Thiel, Stift Schlierbach
SCHLIERBACH. Es war einmal: Ein König verliebte sich in ein Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen ohne adeligen Stammbaum und ohne Bildung. Sie lebte in einer armseligen Hütte und führte das Leben einer Bäuerin. Aber der König verliebte sich in diese Frau, wie es Könige eben manchmal tun. Und er konnte nicht aufhören, sie zu lieben.
Aber dann machte sich im Herzen des Königs ein Besorgnis erregender Gedanke breit: Wie konnte er dieser Frau seine Liebe zeigen? Wie konnte er die Kluft zwischen ihnen überbrücken? Seine Ratgeber sagten ihm natürlich, er solle ihr befehlen, seine Frau zu werden. Denn er war ein Mann, der unendlich viel Macht besaß. Jedermann fürchtete seinen Zorn, alle Nachbarstaaten zitterten vor ihm, jeder Mensch am Königshof warf sich in den Staub vor der Stimme des Königs. Die Frau wäre ihm ewige Dankbarkeit schuldig gewesen. Aber Macht kann Liebe nicht erzwingen. Er hätte sich ihren Gehorsam sichern können, aber erzwungene Unterwerfung war nicht, was er wollte. Der König hätte die Frau in den Adel erheben, sie mit Geschenken überschütten, in Purpur und Seide kleiden, sogar zur Königin krönen lassen können. Wie könnte er dann jemals wissen, ob sie ihn um seiner selbst willen liebte oder um all dessentwillen, was er hatte und ihr gab? Würde sie genug Vertrauen aufbringen, um zu vergessen, was der König zu vergessen wünschte, nämlich dass er der König und sie ein armes Bauernmädchen war?
Es gab nur eine Alternative, wie er sein Ziel erreichen konnte: Der König verließ seinen Thron, setzte seine Krone ab, legte sein Zepter weg und zog seinen Königsmantel aus, denn alle Macht der Welt kann die Tür eines Herzens nicht aufschließen. Er wurde selbst zum Bauern. Er nahm nicht nur die äußere Gestalt eines Bauern an, sondern sein ganzes Leben, sein Wesen, seine Last. Das war Liebe, darin zeigte er Liebe und so wurde er geliebt.
Geh ihn mit, diesen Weg!
So wie dieser König hat sich Gott in allem auf die Stufe des Menschen gestellt. Und das ist nun kein Märchen mehr. Das ist die harte Realität, in die sich Gott im Stall von Bethlehem begab. Er, von dem wir im Weihnachtsevangelium feierlich verkündet bekommen, dass er schon im Anfang war, alles ist durch ihn geworden und ohne ihn wurde nichts, was geworden ist. Er, der Unendliche, hat diesen Weg der Liebe begonnen und ruft uns immer neu ins Herz: Geh ihn mit, diesen Weg! Gehör nicht zu denen, über die der Evangelist Johannes schreib, „die Seinen nahmen ihn nicht auf“. Sei dabei, am Wunder der Weihnacht, und künde und lebe mit den Engeln den Frieden, sei dabei und gehe mit den Hirten, beuge die Knie und lass dich verändern von der Kraft, die von der Krippe ausgeht, sei dabei und gehe mit Gott den Weg zum Menschen, den Weg der Liebe, wie Gott sie uns vorlebt. Steh nicht abseits.
Das ist Weihnachten. Gott wird Mensch und die Menschwerdung Gottes ist Ausdruck tiefster Solidarität Gottes mit uns Menschen. Sein Name ist Immanuel „Gott mit uns“ in allen Höhen und in allen Tiefen, in jeder Lebenslage.
von Abt Nikolaus Thiel, Stift Schlierbach
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