Klagenfurter Ostbahnhof
Klagenfurt Ostbahnhof: Über materielose Engel und ihre Botschaften
Die Physik hat sich seit den Zeiten Lockes dramatisch verändert, aber am Glauben an die wahren primären Qualitäten halten wir eisern fest. Raum und Zeit sind für uns nicht mehr absolut echt, aber relativ sehr wohl.
Nicht mehr die Festigkeit von Objekten versichert uns ihrer Größe und Gestalt, aber elektromagnetische Felder schaffen das auch, und deshalb halten wir Häuser weiterhin für wirklicher als Gedanken und Gefühle. Dabei ist die Physik seit Boyle und Newton immer unanschaulicher geworden. Sie hat sich längst himmelweit auch davon entfernt, wie wir primäre Qualitäten wahrnehmen: Wie sollen wir uns eine gekrümmte Raumzeit vorstellen? Was soll es bedeuten, dass die Welt laut einer Stringtheorie 26 Dimensionen hat? Und wenn manche Physiker heute behaupten, jede mögliche Welt sei auch wirklich, scheinen sie in postmoderne Spielerei abzugleiten.
Das alles nährt den Verdacht, dass der Primat der Physik vielleicht nur das große Vorurteil unserer Zeit ist. Wir kämen von ihm nicht so schnell los, wie bei jedem Paradigma. Es müsste auch nicht heißen, dass wir deshalb an materielose Engel und ihre Botschaften glauben sollen. Aber vielleicht nicht gleich den Kopf schütteln über jene, die es tun. Zumindest rund um Weihnachten. (Karl Gaulhofer, am 21.12.2023 in "Die Presse") Foto: Klagenfurt Ostbahnhof 22.12.2023)
Epilog: Betrachtungen zum Klagenfurter Ostbahnhof (Fotos)
Marc Augé ist der Ethnologe des „Nahen“. In Nicht-Orte konstatiert er im Zusammenhang von Modernisierung und Globalisierung weltweit eine rasante Zunahme von sinnentleerten Funktionsorten. Solche „Nicht-Orte“ wie Beispielsweise Bahnhöfe, Flughäfen, U-Bahnen, Flüchtlingslager, Supermärkte oder Hotelketten sind keine „anthropologischen Orte“, man ist nicht heimisch in ihnen, sondern es sind „Orte des Ortlosen.“ Diese Räume stiften keine individuelle Identität, haben keine gemeinsame Vergangenheit und schaffen keine sozialen Beziehungen: „Der Raum der Nicht-Orte schafft Einsamkeit und Gleichförmigkeit.“ Lange Zeit hinweg hatten Bahnhöfe die Funktion, Portale zur Welt darzustellen. Auf europäischen Bahnhöfen sind seit Jahren die Fahrkartenschalter unbesetzt, die Bahnhofsrestaurants fanden keine BetreiberInnen mehr, die Verkaufsstände auf den Bahnsteigen wurden zugenagelt. In den Zügen gibt es keine ZugbegleiterInnen mehr. Die Bahngesellschaften schufen durch Rationalisierungsmaßnahmen mono-funktional genutzte Flächen. Der Unterschied zum traditionellen, insbesondere anthropologischen Ort besteht heute im Fehlen von Geschichte, Relation und Identität, sowie in einer kommunikativen Verwahrlosung.
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