Konzerthaus: Großartiges Schönberg-Konzert
Die Werke Schönbergs ziehen sehr unterschiedliche Typen von Menschen an. Einen so bunten Haufen sieht man selten in einem Konzertsaal. Die meisten Schönberg-JüngerInnen haben ein Outfit, als ob sie gerade von einem Alt-Woodstock-Festival entlassen worden wären. Das Aussehen sagt freilich nichts über deren Kompetenz aus. Ich empfand die unerlaubt mitgehörten Gespräche als anregend und interessant. Der scheidende Konzerthaus-Intendant Bernhard Kerres lässt es zum Abschied noch einmal so richtig krachen. Zweimal die „Gurrelieder“, eines der aufwendigsten Werke der Konzertliteratur, aufs Programm zu setzen, zeugt von Mut und Risiko-Freude. Der Anlass ist ein besonderer. Vor 100 Jahren fand die Uraufführung der Gurrelieder statt.
Die herrlich disponierten Wiener Symphoniker spielen unter dem am Pult stehenden Münchner Musikdirektor der Bayrischen Staatsoper, Kent Nagano, ein mehr als solides Konzert. Bejubelt werden aber auch die Solisten, Chöre und der Dirigent. Nagano ist ein ausgewiesener Spezialist für atonale Werke, wobei die Grenze gerade bei den Gurreliedern von tonal und atonal fließend ist. Er bändigt sie alle zu einem Gesamtkunstwerk.
Warum geht es bei dieser monumentalen Komposition:
Die Liederfolge Schönbergs geht auf Dichtungen des Dänen Jacobsens zurück. Sie behandeln mittelalterliche Legende um die Liebe des Dänen- Königs Valdemar zu der schönen Tove und die Eifersucht der Königin, die Tove schließlich ermordete. Im Laufe der Zeit wurde die Vorstellung des nach Toves Tod ruhelos umherschweifenden Königs und dessen Projektion auf den in Schloss Gurre Helsingør verstorbenen realen dänischen König Waldemar IV. Atterdag (um 1321 - 1375) dem Sagenstoff hinzugefügt.
Schönbergs Kantate gliedert sich in drei Teile. Im ersten erzählen neun Lieder für Sopran und Tenor von der Liebe Waldemars zu Tove über Glück und Todesahnung. Ein längeres Orchesterzwischenspiel leitet zum Bericht der Waldtaube von Toves Tod und vom Schmerz Waldemars über.
Der zweite Teil beginnt mit einem Vorspiel und besteht nur aus einem einzigen Lied, in dem der unglückliche Waldemars Gott ob seiner Grausamkeit anklagt.
Im dritten Teil spürt man den Schmerz und die Trauer Waldemars. König Waldemar ruft seine toten Mannen aus ihren Gräbern. Als rastlose, unerlöste Tote reiten sie nachts in wilder Jagd um die Burg Gurre, bis der Tag graut und sie wieder im Todesschlaf versinken. Ein Bauer besingt seine Angst vor dem unheimlichen Geisterheer. Dem folgt das groteske Lied des Klaus-Narr, der mit dem wilden Heer reiten muss, aber lieber im Grabe liegen möchte. Dann, endlich, lösen die ersten zaghaften Sonnenstrahlen das nächtliche Grauen ab. Im „Des Sommerwindes wilde Jagd“ finden in einem Sprechgesang die grauenvollen Ereignisse der Nacht ein Ende. Alles mündet in den grandiosen, vom achtstimmigen gemischten Chor intonierten Schlusschor „Seht die Sonne“.
Während der berechtigte Applaus für die Künstler – Jay Hunter Morris und Mihoko Fujimura (hervorragend), Angela Denoke (gut, aber nicht kraftvoll genug), Sunniy Melles als Sprecherin (berührend und bezaubernd) sowie für die vier Chöre - nicht abebben will, streite ich schon mit meinen Konzertbegleiter über Sinn oder Unsinn eines solchen Werkes. Nach dem Heißluftkonzert verlagern wir unserer öde Diskussion über die inzwischen zusätzlich entbrannte Diskussion über tonal und atonal zum Gmoawirt. Sebastian ist dort der Chef, der mich neuerdings per Du anredet. Soll mir recht sein, ich bin der Reinhard. Nachdem ich das fruchtlose Gespräch mit meinem Begleiter Ernst S. (Name von der Redaktion geändert) abbreche, meckert er, dass er – obwohl er dort ebenfalls Stammgast ist – im Gegensatz zu mir, nicht per Handschlag begrüßt wird. Und die Geröstete-Leber-Portion ist ihm zu klein. So kann man sich auch das Leben schwer machen. Am 29.6. komme ich wieder, aber mit einem anderen Konzertpartner. Versprochen!
Hinweis auf eine der nächsten Veranstaltungen im Konzerthaus:
Carmina Burana von Carl Orff, wird nicht nur am 28. und 29.6. sondern auch bei einem Zusatzkonzert am 27.6. gespielt.
www.konzerthaus.at
Reinhard Hübl
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