Musikverein: die letzten Dinge
„Kostbarkeit des Augenblicks“ steht auf einem Plakat eines Ordens, der sich der Palliativmedizin verschrieben hat. Beeindruckt und nachdenklich von diesem Satz komme ich in den Musikverein und lese im Programm, dass es im Konzert um die „letzten Dinge“ geht. Um Tod und Auferstehung, um Leiden und Heilung. Christen werden wohl Allerseelen und Ostern gleichzeitig erlebt haben.
Die Wiener Symphoniker unter Kent Nagano bringen ein Konzert zur Aufführung, deren Programmierung ein außergewöhnliches Zusammenspiel von unterschiedlichen Tonrichtungen bietet. In Johann Sebastian Bachs Stück klingt schon das Thema der Matinee durch: „Es ist genug“. Die Blechbläser des Orchesters spielen den Auszug aus der Kantate „O Ewigkeit, du Donnerwort“ von der Galerie, und ohne Pause folgt das atonale „The Unanswered Question“ von Charles Ives. Der amerikanische Versicherungsmakler und Komponist wird vermutlich sowohl in seinem Berufs-, als auch in seinem Privatleben vor „offenen Fragen“ gestanden sein. Er stand dem Denken des transzendentalistischen Kreises des Pastors Ralf Waldo Emerson, dem „Propheten der amerikanischen Religion“ nahe, der sich dann später der traditionellen Theologie widmete. Das hilft, wenn man sich Ives musikalischem Werk nähert.
Der Tod eines nahen Angehörigen veranlasste Alban Berg zur Verfassung des Konzertes „Dem Andenken eines Engels“. Zitat aus dem Programm: „Der erste Satz bringt nach einer zarten Introduktion ein musikalisches Charakterporträt Manons (Manon Gropius, Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius, die Berg sehr verehrte), der zweite Satz die durch den Todesrhythmus symbolisierte Katastrophe und deren im Bach-Choral erscheinende Lösung.“ Dieser Aufführung des Orchesterstückes für Violine und Orchester setzt der Solist Vadim Repin die Krone auf. Der russische Musiker spielt die Partitur so meisterlich, wie es nur große Künstler vermögen.
Anton Bruckners kirchenmusikalische Prägung fand im Elternhaus statt. Schon früh befasste er sich mit diesem Genre. In seinen Symphonien wob er kirchenmusikalische Elemente ein. So auch in der Siebten. Er beklagt sinnbildlich den erwarteten Tod von Richard Wagner. Doch es gibt Hoffnung auf ewiges Leben. Und so zitiert der Tonkünstler das Te Deum in diesem Monumental-Werk. Das Scherzo des 3. Satzes klingt bewegt, fast heiter, aller Trübsal ist verblasen, ehe der letzte Satz besinnlich und feierlich schließt.
Leid, Tod und Erlösung sind musikalisch bewährte Themen, die nicht nur in Messen auftauchen. Die Metapher findet sich in religiösen Werken und auch in der Metaphysik. So ist die Darbietung im Musikverein wahrscheinlich zu verstehen. Die Symphoniker spielen beherzt, die einzelnen Orchester-Gruppen, besonders die Blechbläser, legen eine tadellose Performance hin, und nicht zuletzt wird durch das unaufgeregte Dirigat von Nagano die Matinee zu einem Gesamtkunstwerk.
Die nächsten Konzerte des Orchesters:
24.11.: Slawische Tänze, Musikverein. Tickets: www.wienersymphoniker.at
27. und 29.11.: Wagner und Schumann, Musikverein. Tickets: www.musikverein.at
Reinhard Hübl
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.