Verbrechen im Plauderton
Verbrechen im Plauderton
Ist es Zufall, dass das Theater in der Josefstadt in der gleichen Saison „Vor dem Ruhestand“ und „Jägerstätter“ spielt? Ich glaube nicht. In beiden Werken geht es um Nazi-Gräueltaten. Im einem um unbewältigte Vergangenheit, ja man könnte sogar von einer latenten Verherrlichung des Verbrechens sprechen. Beim anderen, geht es um den Widerstand gegen eine Gewaltherrschaft, die rechtlos in aller Leben eingreift.
Es ist schaurig, was sich in der Wohnung von drei Geschwistern abspielt. Ich werde an J.P.Satres „Geschlossene Gesellschaft ("Die Hölle, das sind die anderen.") erinnert. Es ist eine unheilvolle Beziehungskiste zwischen einer Frau (Vera), die mit ihrem Leben unzufrieden ist, und die dem Bruder, Gerichtspräsident und ehemaliger SS-Führer und stv. Lagerkommandant (Rudolf) , unterwürfig dient. Sie ist frustriert, lebt in der Vergangenheit, glaubt an eine glücklich Zukunft nach dem Ruhestand ihres Bruders. Reisen, Konzerte schweben ihr vor, gäbe es da nicht noch eine Schwester (Clara), die durch einen Granatenangriff der Amerikaner in den letzten Kriegstagen gelähmt ist und im Rollstuhl sitzt. Es ist eine Hassliebe, ein ständiges Umschlagen der Emotionen, das dieses trostlose Trio zusammenhält. Clara spricht nicht viel, ihr Protest ist das Schweigen. Im Gegensatz zu ihr ist Veras Sprachfluss nicht zu bremsen: Alltagsfloskeln, sinnloses Gequatsche, Selbstmitleid, Mitleid mit Ihrer Schwester und dann doch wieder nicht. Der Schwall aus ihrem Mund verkommt zur Anklage gegen die Welt und sich selbst. Durch den alltäglichen Konversationston erreicht da Ungeheuerliche des Gesagten eine neue Dimension .
Alles steuert auf den Höhepunkt des Tages hin, die Feier zu Himmlers Geburtstag. Einmal jährlich wird die Wohnung für dieses Fest entsprechend vorbereitet. Der Metternich-Sekt ist eingekühlt. Die Versatzstücke der Vergangenheit werden hervorgeholt. Dazu gehört, dass sich Vera die Haare mit Zöpfchen – dem damaligen deutschen Dresscode des arischen Mädchens - schmücken muss und Clara eine Häftlingsjacke anziehen soll. Da sie das verweigert, ist das Nazi-Fest gestört. Der Herr Gerichtspräsident, der sich sein neues Arbeitsumfeld durch Verleugnen, durch die Hinterhältigkeit und durch Beziehungen erschlichen hatte, verwandelt sich – für einen Tag – in ein Nazi-Monster, wobei er auch im Alltag den Herrenmenschen heraushängen lässt. Rudolfs Sprachgewalt im SS-Kostüm ergießt sich über Heldentaten und Verbrechen, die er ohnehin nicht gerne begangen hätte, aber doch durchführen musste. Er war doch dem Führer und Himmler verpflichtet. Letzter hat ihn sogar zu einem Mittagessen eingeladen und ihn als zuverlässigen Mann bezeichnet. Er, Rudolf, habe immer Gewissenbisse gehabt, Juden ins Gas zu schicken, sein Vorgesetzter habe Freude daran gehabt, rechtfertigt er sich. Und überhaupt, Schwester Clara soll froh sein, nicht in der Zeit des tausendjähriges Reiches zu leben, denn sonst wäre sie schon lange liquidiert worden; gesunde, nicht behinderte, reinrassige Menschen sollten dem Tausendjährigem Reich dienen und viele neue reinrassige Nazis gebären.
Es ist beklemmendes Thomas-Bernhard- Stück, diesmal ohne die üblichen Wortkaskaden. Seine „Komödie von deutscher Seele“ ist eine bittere Abrechnung mit brauner Vergangenheit und ein Mahnmal für Nazi-Umtriebe im deutschsprachigen Raum. Ein Mahner, der uns mit erschreckenden Worten auf das Nichtverarbeitete und Unbewältigtes hinweist. Es wird zwar viel davon gesprochen, aber das nicht Gesprochene, so wie Clara es praktiziert, mehr sagt als Worte, die um sie kreisen. Die Nachlässigkeit, die Gleichgültigkeit, alles Schlechte vergessen zu wollen, die Verniedlichung des Verbrechens macht das Stück zu einem Dokument einer seltsamen Schöpfungsgeschichte. Gleichzeitig macht es aufmerksam, mit welchen Mechanismen abgeschlossene Machtsysteme arbeiten – Stichwort „Wir sind eine verschworene Gemeinschaft“.
Auf der Bühne steht unter der Regie Elmar Goerdens eine herausragende Schauspielergilde: Michael Mendl, als wortgewaltiger Gerichtspräsident, Sona Mac Donald als behinderte Schwester und Nicole Heesters, als ewig plaudernde Vera. Ein Abend, den ich nicht missen möchte.
Nächste Vorstellungen: 14., 15., 16., 17.10.2013
Tickets: www.josefstadt.org
Reinhard Hübl
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