Jüdische Lebenswelten – Zehn Linzer Biografien
Als erster Band des vom Linzer Gemeinderat beschlossenen Projekts „Linz 1918–1938“ ist die Publikation „Jüdische Lebenswelten – Zehn Linzer Biographien“ von Verena Wagner erschienen. Für dieses Buch hat die Autorin fünf Jahre lang recherchiert und mit Jüdinnen und Juden, die vor 1938 in Linz lebten, Gespräche geführt. Ihre Forschungsreisen haben sie unter anderem nach Israel, Australien, die USA und Großbritannien geführt.
Lebendige Stadtgeschichte
Die Stadtgeschichte von Linz, von der ausgehenden Monarchie bis in die Zeit nach 1945, wird durch die Lebensgeschichten von zehn Menschen lebendig. Aus verschiedenen Gesellschaftsschichten stammend, von unterschiedlichen Interessen und Motiven geleitet, waren sie alle Bürger der Stadt Linz. Sie selbst, aber auch andere Zeitzeugen berichten über den Alltag, die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie über die politischen Strömungen in Linz. Die Autorin hat nicht nur die Erzählungen der betroffenen Menschen gesammelt, sondern erhielt von den Zeitzeugen auch zahlreiche Fotografien vom Linz der Zwischenkriegszeit.
Jüdische Lebenswelten
Die Beschreibungen der verschiedenen Lebenswelten jener Linzer Familien, als deren kleinster gemeinsamer Nenner das Adjektiv „jüdisch“ (nach NS-Diktion) angeführt werden kann, zeichnen ein facettenreiches Bild zwischen vollständiger Anpassung oder Assimilierung und aktiver Teilhabe am religiösen Leben in der kleinen Linzer Kultusgemeinde. Nicht die „reichen“ Linzer Juden, von denen es prozentuell nur wenige gab, die aber bis heute den größten Bekanntheitsgrad haben, werden beschrieben. Das Buch handelt von jenen ganz „normalen“ Linzer Jüdinnen und Juden, die sich durch mehr oder weniger Stärken und Schwächen ausgezeichnet haben, wie sie genauso der übrigen Einwohnerschaft zugeschrieben werden können: Der Bundesbahnbeamte, die Kleiderhändlerstochter, der Warenhausbesitzer, der Bankbeamte, der Chemiker, die Angestelltentochter, der Rabbinerstellvertreter, der Rohproduktenhändler, der Rechtsanwalt und die Kunstschulabsolventin stehen für die mehrheitlich durchschnittlich bemittelte jüdische Bevölkerung von Linz.
Antisemitismus
Die Frage, ob in der Stadt Linz – im Vergleich zu anderen Städten – bereits vor 1938 nationalsozialistische und antisemitische Strömungen besonders vorherrschend waren, ist viel diskutiert worden. Bereits 1919 sorgte sich jedenfalls die Jüdische Kultusgemeinde wegen einer pogromähnlichen Stimmung in Linz, die sich in antisemitischen Schmierereien auf Mauern, Hetzartikeln in Zeitungen, Plakaten an Straßenecken sowie Hetzreden bei Sonnwendfeiern äußerte. Der Alltagsantisemitismus war im Linz der Zwischenkriegszeit präsent: Bereits in der Volksschule wurden Knaben und Mädchen mit antisemitischen Versen konfrontiert. Im Akademischen Gymnasium mussten jüdische Schüler stets mit Diffamierungen rechnen. Im Linzer Gemeinderat war besonders der jüdische Mandatar Hermann Schneeweiß, ein Rechtsanwalt, das Ziel der antisemitischen Verbalangriffe der radikalen politischen Gegner.
Zeit des Nationalsozialismus
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich waren alle Juden dem nationalsozialistischen Verfolgungs- und Terrorapparat ausgesetzt. Ob alteingesessene jüdische Familien oder jüngst zugewandert, ab März 1938 bekamen alle gleichermaßen die Repressionspolitik der neuen nationalsozialistischen Machthaber zu spüren. Repressalien, Gewaltanwendung, Enteignung und „Arisierung“ standen am Beginn, Vertreibung und Vernichtung folgten unmittelbar darauf. Gerade in der „Jugendstadt des Führers“ legten die NS-Repräsentanten großen Wert darauf, die Stadt möglichst bald „judenfrei“ zu machen. Einigen gelang die Emigration, andere fielen der Tötungsmaschinerie des Dritten Reichs zum Opfer. Von den Überlebenden kehrten nur wenige nach 1945 wieder nach Linz zurück.
Ausstellung zum Thema
Die Ausstellung über „Jüdische Lebenswelten“, in der die zehn Linzer Jüdinnen und Juden mit historischen Fotoaufnahmen vorgestellt werden, wird am Dienstag, 5. November 2013, 18 Uhr, im Wissensturm eröffnet. Die Ausstellung ist vom 6. November 2013 bis 3. Jänner 2014, jeweils Montag bis Freitag, 8 bis 18 Uhr (außer an Feiertagen), bei freiem Eintritt zu sehen. Gruppenführungen durch die Ausstellung sind gegen telefonische Voranmeldung unter 07070/2960 möglich.
Zur Publikation: Verena Wagner, Jüdische Lebenswelten. Zehn Linzer Biographien. Archiv der Stadt Linz, 559 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Preis 34 Euro. ISBN 978-3-900388-60-7
Erhältlich im Archiv der Stadt Linz, Neues Rathaus, Hauptstraße 1–5, A-4041 Linz, sowie im Buchhandel.
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