Kinderschutz
„Spielplätze aufsperren wäre eine Sicherheitsmaßnahme“

Kinder- und Jugendanwältin Christine Winkler-Kirchberger befürchtet derzeit eine Zunahme an Gewalt (vor allem psychische) gegen Kinder. | Foto: Land OÖ/Sabrina Liedl
  • Kinder- und Jugendanwältin Christine Winkler-Kirchberger befürchtet derzeit eine Zunahme an Gewalt (vor allem psychische) gegen Kinder.
  • Foto: Land OÖ/Sabrina Liedl
  • hochgeladen von Katharina Wurzer

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft (KiJA) befürchtet, dass ohnehin schon angespannte Beziehungen zu Hause eine Gefahr für Gewalt an Kindern und Jugendlichen darstellen. Derzeit melden sich etwa Pädagogen und Pädagoginnen, weil sie ein Kind nicht erreichen können. Die StadtRundschau hat mit Christine Winkler-Kirchberger, Leiterin der Kinder- und Jugendanwaltschaft des Landes Oberösterreich gesprochen.

Nimmt Gewalt gegen Kinder derzeit zu?
Winkler- Kirchberger: Aufgrund der Ausgangsbeschränkungen, der Rahmenbedingungen, der ganze psychische Druck – Da ist die Gefahr sehr groß, dass diese Formen der Gewalt zunehmen.
In der KiJA haben wir normalerweise viel Kontakt mit Kindern, zum Beispiel durch Workshops. Da sehen wir, dass Gewalt in den Familien nach wie vor präsent ist. Vor allem psychische Gewalt, wo es um Beschimpfungen, Abwertungen, Demütigungen geht. In Stresssituationen eskaliert es manchmal zu körperlicher Gewalt. Wir kennen das aus der Zeit nach Weihnachten oder aus den großen Ferien. Da tauchen viele Fälle auf.

Wie viele Kinder und Jugendliche sind Ihrer Schätzung nach von häuslicher Gewalt betroffen?
Eine genaue Zahl gibt es nicht. Ungefähr 14 Prozent erleben noch körperliche Gewalt. Die Dunkelziffer ist bei häuslicher Gewalt immer sehr hoch. In Österreich sind wir einen guten Weg gegangen, weil wir schon seit 30 Jahren Gewalt in der Erziehung verboten haben.


"Häusliche Gewalt hat viele Gesichter"

Dennoch haben wir immer wieder Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Man muss sagen, dass häusliche Gewalt sehr viele Gesichter hat. Zum einen gibt es psychische Gewalt, die in den letzten Jahren sehr hoch ist. Die körperliche Gewalt betrifft natürlich auch noch viele. Von sexualisierter Gewalt ist jedes zehnte Kind, eher jedes zehnte Mädchen betroffen. Dann gibt es noch die häusliche Gewalt gegen die Mütter, wo in jedem zweiten Fall Kinder involviert sind. Wir von der Kinder- und Jugendanwaltschaft machen uns jetzt schon um viele Kinder große Sorgen.

Welche Personengruppen kontaktieren die Kinder- und Jugendanwaltschaft im Zusammenhang mit Gewalt gegen Kinder?
Unsere Hauptzielgruppe sind die Kinder und Jugendlichen. Das ist aber gerade sehr schwer, weil sich Kinder oft an Vertrauenspersonen wenden, wenn sie Hilfe suchen.

Schulen und Kindergärten als Stützsystem
Da sind vor allem die Schulen und Kindergärten ein wichtiges Stützsystem. Kinder melden sich derzeit nicht, außer wenn wir Kontakt haben durch regelmäßige Betreuung. Wir haben in der Woche ca. 70 Beratungsanfragen. Ein Teil davon sind Kinder, die wir schon in der Beratung haben. Die leiden unter Einsamkeit und Ausgrenzung, Cybermobbing ist gerade ein großes Thema.
Die Jugendlichen ab 14 Jahren melden sich schon noch. Die andere Zielgruppe sind Eltern und Pädagogen/Pädagoginnen. Die melden sich momentan am häufigsten, vor allem Pädagogen/Pädagoginnen, die sich Sorgen machen, wenn sie die Kinder nicht erreichen. Elternteile, die die Befürchtung haben, dass ein Kind beim anderen Elternteil Gewalt erlebt.

Was raten Sie, wenn sich Pädagogen/Pädagoginnen oder auch Nachbarn/Nachbarinnen melden?
Das war Grund für eine Presseaussendung, dass genauer hingeschaut werden sollte. Man hat ja vielleicht auch Neffen, Nichten, Enkelkinder, wie auch immer. Dass man schaut, wie kann man die unterstützen. Es gibt Beratungshotlines, wenn der Druck zu groß wird. Wenn es zu Übergriffen kommt, kann man sich an die Kinder- und Jugendhilfe (KJH) oder auch an die Kinder- und Jugendanwaltschaft wenden. Das ist vertraulich möglich. Wenn man wahrnimmt, dass es einen akuten Übergriff gibt, sollte man die Polizei rufen.

Bei Gewalt gegen Frauen gibt es zum Beispiel den Tipp, als Nachbar/Nachbarin bei einem Übergriff anzuläuten und vorzugeben, sich etwas ausborgen zu wollen. Können solche Tipps auch bei Gewalt gegen Kinder angewandt werden?
Es ist oft ein bisschen heikel. Wenn ich wahrnehme, dass es einen massiven Übergriff gibt, sollte ich dazwischen gehen. Dann kann man das so machen. Das liegt aber nicht jedem. Bei einem guten Kontakt kann man Hilfe anbieten, auch den Eltern. Das bringt oft viel. Die Polizei sollte nur dann kontaktiert werden, wenn es um akute Gefährdung geht. Sonst bietet sich zum Beispiel noch die Kinder- und Jugendhilfe an.


"Kinder direkt erreichen"

Allerdings sollten wir die Kinder selbst auch erreichen. Die Bundesregierung schaltet gerade gute Inserate mit Helplines. Ich denke jedoch, dass Kinder nicht diese Zeitungen oder Inserate lesen, sich vielleicht nicht angesprochen fühlen. Wenn wir präsenter sind, melden sich auch fünf-, sechsjährige Kinder. Ich weiß nicht, wie man diese Kinder jetzt erreichen kann.

Ich habe mir auch gerade gedacht, dass es für Kinder, die noch nicht lesen oder schreiben können, schwierig ist jemanden zu kontaktieren.
Ja, die können Inserate gar nicht lesen. Wir haben bereits mit Fachleuten eine Videokonferenz gehalten und befürchten, dass im Herbst vieles auftauchen wird.
Wir sind im Austausch mit der Kinder- und Jugendhilfe. Da gibt es viele Familien, die betreut werden und da sollte auch direkt nachgesehen werden. Bei vorbelasteten Familien sollten die Kinder möglichst bald in die Kindergärten und Schulen gebracht werden. Das ist die beste Hilfestellung. Kindergärten und Schulen könnten den Auftrag für speziell diese Kinder bekommen.

Welche Kinder sind besonders von Gewalt betroffen?
Das ist eine wirklich schwierige Frage. Gewalt kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor. Familien, die Existenzängste haben, die armutsgefährdet sind, Suchtproblematiken haben, psychische Probleme – Da ist die Gefahr der körperlichen Gewalt höher.


"Psychische Gewalt betrifft alle Gesellschaftsschichten"

Psychische Gewalt wird wiederum in allen Schichten ausgeübt. Momentan sind vor allem jüngere Kinder gefährdet. Jugendliche leiden aber auch unter der Situation. Sie erleben beispielsweise Druck, sehnen sich zum Teil schon nach Schule und Freunden/Freundinnen.
In den Ballungszentren ist das Problem auch größer, wenn die Wohnungen klein sind, es kaum Freiflächen gibt. Ein Wunsch von uns wäre es, die Spielplätze möglichst bald unter bestimmten Sicherheitsvorkehrungen wieder aufzusperren. Das wäre eine Sicherheitsmaßnahme.

Was wünschen Sie sich von der Politik bezüglich Rechte und Schutz von Kindern und Jugendlichen?
Kinderrechte sollten noch einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft bekommen.


"Nicht Mitbetroffene, sondern unmittelbar betroffen"

Kinder werden oft als mitbetroffen bei Gewalt gegen Frauen gesehen. Sie sind aber unmittelbar betroffen. Wir müssen die Kinder und Jugendlichen bei der Aufarbeitung dieser Phase einbeziehen. Ich wünsche mir kindgerechte Zugänge, auch von der Politik. Außerdem sollte ein Schwerpunkt auf frühe Hilfen gelegt werden. Je früher man Unterstützung in die Familie bringt, umso besser können sich die Kinder und Jugendlichen entwickeln.

Hotline - Kinderrechtliche Beratung der KiJA
Telefon: (+43 732) 77 97 77
SMS/WhatsApp: (+43 664) 600 72 14004
Montag bis Freitag von 10:00 bis 12:00 Uhr und
Montag, Dienstag, Donnerstag von 14:00 bis 16:00 Uhr
E-Mail
Webseite der Kinder- und Jugendanwaltschaft OÖ

Anzeige
1:46
1:46

WKOÖ Maklertipp
Rechtsschutzversicherung: Sichern Sie Ihr Recht!

Eine Rechtsschutzversicherung schützt Sie vor den Folgen von vielen möglichen Konfliktfällen – vor allem finanziell.  Es gibt viele Gründe für einen Streit vor Gericht: Angenommen, Ihr Vermieter erhöht den Mietzins in ungerechtfertigter Weise, Ihr Hund läuft einem Biker vor das Rad, Ihnen wird nach einem Verkehrsunfall das Schmerzensgeld verwehrt oder Ihr Arbeitgeber zahlt die Überstunden nicht. Von all diesen Fällen haben Sie schon gehört oder Sie haben sogar schon selbst eine solche oder eine...

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN

Aktuelle Nachrichten aus Linz auf MeinBezirk.at/Linz

Neuigkeiten aus Linz als Push-Nachricht direkt aufs Handy

BezirksRundSchau Linz auf Facebook: MeinBezirk.at/Linz - BezirksRundSchau

ePaper jetzt gleich digital durchblättern

Storys aus Linz und coole Gewinnspiele im wöchentlichen MeinBezirk.at-Newsletter


Du willst eigene Beiträge veröffentlichen?

Werde Regionaut!

Jetzt registrieren

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.