Fortsetzungsroman
Mühlstraßenbande: Teil 16

Spannende Geschichten von Franz Strasser | Foto: Verlag Bibliothek d. Provinz
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Fortsetzungsroman: Franz Strasser erzählt in "Die Mühlstraßenbande" von seiner Kindheit nach dem Krieg.

...Ich will nicht sagen, dass wir dicke Freunde geworden sind, aber wir verstanden es, uns gegenseitig zu akzeptieren. Meiner Großmutter hatte ich von diesem Vorfall selbstverständlich nichts erzählt, es wäre ja auch vollkommen unnötig gewesen.
Doch eines Tages, im Winter, erwartete uns eine böse Überraschung. Wie jeden Morgen ging ich zu den Remisen, um die Hühner herauszulassen. Da es sehr kalt war und herrlicher Schnee lag, zog ich mich warm an, streifte die Handschuhe über und ging Richtung Garten. Aber ich hörte dieses Mal kein Gegacker. Es war unheimlich still. Das machte mich stutzig, und ich hatte schon Angst, die Hühner seien vielleicht erfroren. Als ich bei den Remisen ankam, und gerade meinen Schlüssel aus meiner Jackentasche herauskramen wollte, musste ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass die Türen aufgebrochen waren. Es versetzte mir einen Stich in der Brust, ich rannte sofort zurück zum Haus, riss die Türen auf und schrie immer wieder: »Oma, Oma, sie haben unsere Hendl gestohlen!« Großmutter konnte das nicht fassen, schaute mich etwas ungläubig an, ging aber dann doch mit zu den Remisen und musste geschockt feststellen, dass alle Hühner, das Werkzeug und unser Fahrrad entwendet wurden. Gendarmerie oder Polizei gab es zu jener Zeit nicht und so war die Aussicht, irgendetwas wiederzuerlangen, gleich null. Zwar musste man immer mit solchen Einbrüchen rechnen, man hörte ja ständig von Diebstählen, und das Pferd vom Schurl wurde ja schließlich auch schon aus einer unserer Remisen entwendet. Doch es war ein schwerer Schlag für uns, denn nach dem Zweiten Weltkrieg gab es sehr wenig zu essen und so waren die Eier unserer Hühner besonders wichtig für uns.
Also war es wieder so weit, dass ich unsere Bande zusammentrommelte, um gemeinsame Ermittlungen anzustellen. Im frischen Schnee waren die Spuren der Diebe gut zu erkennen. Sie führten durch den Garten zum »Krautberggassl«, über die Au und nach einer Weile wieder auf die Weyrerstrasse. Zuerst hatten wir noch die Hoffnung, die Diebe ausfindig machen zu können. Doch dort, auf der Weyrerstrasse, einem der Hauptverkehrswege, verliefen sie sich, da schon Lastkraftwagen und Pferdegespanne unterwegs waren und die Spuren verwischten. So platzte unser Wunsch, die Ganoven zu stellen, wie eine Seifenblase. Enttäuscht und unverrichteter Dinge gingen wir wieder Richtung Heimat. Sehr viele Häuser gab es damals noch nicht, und wären zu jener Zeit Gesetzeshüter vorhanden gewesen, hätte man die Diebe sicher leicht erwischen können. So blieb uns aber nichts anderes übrig, als uns mit der unschönen Tatsache abzufinden.
Eines muss ich jedoch noch unbedingt erwähnen: Den Hahn haben sie nicht erwischt. Er saß ganz oben auf der Leiter und schaute triumphierend umher, was mich zu seinem größten Bewunderer machte.
Ob wir uns nach dieser Episode allerdings noch einmal Hühner angeschafft haben, weiß ich heute leider nicht mehr.

Mit Papa an der Familiengruft

Wenn wir in Waidhofen waren, besuchten wir auch einige Male unsere verblichenen Familienmitglieder auf dem Friedhof am Vogelsang. Dabei war es zu fortgeschrittener Abendstunde, in der Dunkelheit, immer besonders geheimnisvoll und mystisch. Die kleinen, überall aufgestellten Grablichter verbreiteten mit ihrem warmen Schein eine anheimelnde Stimmung. Die schmiedeeisernen Kreuze, Skulpturen und Steine erschienen schemenhaft in der nur durch Kerzenschein durchbrochenen Dunkelheit. Unsere Familiengruft mit dem großen, schwarzen Marmorstein und der goldenen Inschrift, den massiven schmiedeeisernen, von der Wand hängenden Laternen, sowie der schönen großen Blumenschale auf den zwei Steinplatten hatte mich stets aufs Neue beeindruckt. Aber als mein Vater mir erzählte, dass sich unter den Platten eine Art Kellerraum befände, in dem sämtliche Särge neben- oder auch aufeinander untergebracht und nicht wie üblich unter der Erde begraben seien, war ich völlig fasziniert. Am liebsten hätte ich eine der schweren Steinplatten, an denen sich Eisenringe zum Öffnen befanden, beiseite gezogen, um in die Tiefe zu schauen. Die Tatsache, dass sich dort auch ein kleiner Kindersarg befand, berührte mich sehr. Es handelte sich um einen kleinen Buben, der wohl aufgrund einer schweren Krankheit bereits im Kleinkindalter von zwei Jahren sterben musste. Wir stellten immer einige Kerzen auf die Gruft, beteten gemeinsam leise einige Gebete, und ich spürte jedes Mal die Traurigkeit, die in diesem Moment meinen Vater ergriff. Ich wusste, dass er dann besonders an seine geliebte Großmutter dachte, die ihm ein liebevoller Mutterersatz gewesen war, und deren Tod ihn daher umso schmerzlicher traf.
Nach einem unserer Besuche an der Familiengruft erzählte mir mein Vater eine Geschichte, die sich vor langer Zeit ereignet hatte, und die mich wieder einmal zum Staunen brachte. Sein Freund Sepp hatte sie ihm erzählt.

Beerdigung mit Hindernissen

Eine Beerdigung ist nicht gerade ein Thema, über das ich besonders gerne schreibe, aber in diesem Fall mache ich eine Ausnahme, denn diese Geschichte ist wirklich erwähnenswert.
Menschen, die weit abgelegen wohnten, hatten oft gezimmerte Särge auf dem Dachboden untergebracht, damit man ein Familienmitglied, das im kalten, unerbittlichen Winter verstorben war, dort oben bis zum Frühjahr aufbewahren konnte. Durch den Frost warf das keine Probleme auf, da aufgrund der Minusgrade kein Fäulnisprozess stattfand. Die Aufbewahrung war von Nöten, da es nicht möglich war, bei Schnee und Eis den Leichnam zu einem Friedhof zu befördern und in der gefrorenen Erde zu begraben. So begab es sich Mitte der vierziger Jahre in Nesselberg, dass ein Bauer nach einem Todesfall den Verblichenen in einem seiner bestellten Särge auf dem Dachboden zur Ruhe bettete. Als nun das Frühjahr kam, war es an der Zeit, den Verstorbenen vom Bestatter abholen zu lassen, damit dieser endlich eine gottgefällige Beerdigung bekäme. Bald fuhr auch ein Leichenwagen, der von einem Pferdegespann gezogen wurde, vor und zwei kräftige Männer in schwarzen Anzügen stiegen aus. Der Bauer wies ihnen den Weg zu den Treppen, die auf den Dachboden führten, sie stiegen hinauf, packten den schweren Sarg und trugen ihn voller Pietät zum Fuhrwerk. Bald darauf folgte eine feierliche und andächtige Beerdigung. Eine große Trauergesellschaft versammelte sich in der Kirche...

Mühlstraßenbande

Erzählungen, Franz Strasser
Verlag Bibliothek der Provinz
ISBN 978-3-99028-383-7
19 x 12 cm, 100 S., € 13,00

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