Leserbrief einer Volksschullehrerin: Wunderwuzzi oder Sündenbock
Betreffend den Artikel "Frauen und Technik" in der Bezirksblätter-Ausgabe 07 vom 14./15. Februar 2018.
Geschätzter Herr Georg Bruckner!
Es freut mich, dass Sie aus Eigeninitiative an Ihrer Schulform einen Schwerpunkt Medizininformatik aufgebaut haben, den viele Mädchen besuchen. Sie beklagen das generell mangelnde Interesse von Mädchen und Frauen an Technik. Bevor sie aber über die Volksschullehrerinnen, die Ihrer Meinung nach hauptsächlich “das Problem sind, weil sie wenig Bezug zu Technik haben” den Stab brechen, möchte ich Sie einiges fragen.
Vorweg muss ich sagen, dass mich das Bild, das Sie von einer Volksschullehrerin haben, verwundert. Haben Sie sich eventuell die Mühe gemacht zu recherchieren, wieviele Angebote zum Thema Technik für Kindergärten und Volksschulen bundesweit bereits initiiert wurden und erfolgreich laufen? Warum werden eigentlich nicht mehr Männer Volksschullehrer? Vielleicht könnte man das einmal evaluieren.
Wie schaut es mit den Neuen Mittelschulen und Unterstufengymnasien aus? Ist es diesen nicht gestattet, Kinder für Technik zu begeistern? Wo doch die technikuninteressierten Volksschullehrerinnen bereits vieles versäumt haben und am mangelnden Technikinteresse der Mädchen Schuld tragen.
Und nicht zuletzt - dürfen wir das Elternhaus jeglicher Verantwortung entbinden? Soll alles nur mehr in den Schulen passieren? Wird Mädchen im Elternhaus Mut gemacht bzw. erfahren Sie die nötige Unterstützung, wenn sie sich für einen technischen Beruf interessieren? Oder drängt man sie in einen “Frauenberuf”?
Ich bin Volksschullehrerin aus Leidenschaft, weil es kaum eine Altersgruppe gibt, die so leicht und endgültig für etwas zu begeistern ist, wie Volksschulkinder. Und so wie mich gibt es unzählige engagierte Frauen und Männer, die ebenso begeisterte Lehrerinnen und Lehrer sind. Die sich nicht darüber beklagen, dass sie außer den Grundfertigkeiten in Schreiben, Lesen und Rechnen den Kindern in vier Jahren auch noch Computerkenntnisse, Rechtschreibung, Grammatik, Geometrie, Sozialverhalten, Fertigkeiten im technischen und textilen Werken sowie Bildnerischer Erziehung, Musikalisches Wissen, Singen, Rhythmik, Englisch oder eine andere Fremdsprache beibringen sollen, mit modernen Medien vertraut machen und fit für die Welt des Internets, erste Einblicke in Geschichte, Geographie, Biologie, Physik, Chemie auf altersadäquter Basis, Schifahren, Schwimmen und Eislaufen, Geräteturnen und Leichtathletik, täglich turnen sollen wir auch, für die Bildungsstandards üben, Projektunterricht, Transition usw. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Aber wir Volkschullehrerinnen und Volksschullehrer machen das gerne, weil für den Großteil von uns unser Beruf auch unsere Berufung ist. Wir erwarten dafür keinen Dank, wir sind es gewohnt, dafür keinen zu ernten.
Trotz unseres unermüdlichen Engagements gelingt es uns dennoch nicht, aus jedem unserer Schülerinnen und Schüler einen Musiker, eine Mathematikerin, einen Arzt oder Ärztin oder eine Technikerin oder Techniker zu machen. Das hängt von sehr vielen Faktoren ab, auf die wir nicht unbedingt Einfluss haben. Ich weiß nicht, ob Sie einen Lehrer oder eine Lehrerin in der Volksschule hatten und wieviel zum Thema Technik Ihre Lehrkraft mit Ihnen gemacht hat. War der Grund, dass Sie einen technischen Beruf ergriffen haben, Ihre Volksschullehrerin oder Ihr Volksschullehrer? Oder interessierte Sie dieses Feld schon immer?
Ich habe gelesen, dass Sie bereits pensioniert sind. Sie könnten Ihr Engagement für Technik demnach in Volksschulen und Kindergärten einsetzen, dort sind Sie sicher willkommener Gast, denn wir in der Volksschule und im Kindergarten kooperieren mit Vorliebe mit externen Fachleuten um unseren Kindern lustbetonten und modernen Unterricht zu bieten. Ich lade Sie somit ein, uns und den zuständigen Stellen Ihre konkreten Verbesserungsvorschläge kund zu tun.
Mit freundlichen Grüßen
Veronika Racz, Volksschullehrerin im Burgenland
Der Link zum Artikel: Frauen und Technik: Der Medizin-Trick
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