Leserbrief
Pranger im 21. Jahrhundert
Ein Tiefpunkt im österreichischen Journalismus, wenn man einige Medienberichte liest und sieht. Da werden Bürgermeister öffentlich zur Schau (also an den Pranger) gestellt, weil sie es gewagt haben, sich gegen Corona impfen zu lassen – aus welchen Beweggründen auch immer.
Das hat mit objektiver Berichterstattung nichts mehr zu tun. Nun mag man für dieses „Vergehen“ der Bürgermeister Verständnis haben oder nicht. Das gibt den Journalisten noch immer nicht das Recht, diese Personen namentlich und mit Bild öffentlich anzuprangern.
Schwerverbrecher haben laut dem Mediengesetz wohl mehr Rechte. Demzufolge hat der Betroffene gegen den Medieninhaber Anspruch auf eine Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung, wenn in einem Medium der höchstpersönliche Lebensbereich einer Person in einer Weise erörtert oder dargestellt wird, die geeignet ist, sie in der Öffentlichkeit bloßzustellen.
Bevor man das „Kind mit dem Bade ausschüttet“ sollte man bedenken, dass die Bürgermeister gerade in dieser herausfordernden Zeit diejenigen sind, die an der Basis all die Covid-Maßnahmen nicht nur mittragen, sondern auch umsetzen müssen.
Bürgermeister haben sehr wohl viele Kontakte mit Menschen, sind auch verantwortlich für das Gemeindesanitätswesen, oft zuständig für Pflegeeinrichtungen udgl. und gehören auf jeden Fall zu den „systemrelevanten Personen“. Wenn nun von politischer und medialer Seite mit der Moralkeule hantiert wird, so trifft das genau diejenigen, die das System am Laufen halten.
Wenn diesen Bürgermeistern vorgeworfen wird, durch ihr „unverantwortliches Handeln“ müssten Menschen auf die Impfung warten und wären daher gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, so ist das meiner Ansicht nach nur Ablenkung von der chaotischen Impfstrategie des Bundes, die nun auf die Länder abgewälzt wurde.
In den vergangenen Monaten, in der die Impfung als das Allheilmittel in dieser Corona-Krise angepriesen wurde, hätte man neben einer besseren Beschaffung der Impfdosen auch die Infrastruktur für den Impfvorgang vorbereiten müssen. Am Beispiel Israels erkennt man, dass es funktioniert.
Günther Philipp, Großpetersdorf
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