Zusatztafel entwertet Tempolimit
Schildbürgerstreich: "30er gilt nicht für die Volksschule"
Es gibt Auswüchse in Gesetzen und Behördenbürokratie, die nur mehr den Kopf schütteln lassen. Seit Jahren fordert die Gemeinde St. Georgen/Gusen zumindest vom Marktplatz bis oberhalb des Friedhofes ein Tempolimit zum Schutz hunderter Volks- und Musikschüler und betagter Friedhofsbesucher. Seit ebenso vielen Jahren sperren sich manche Entscheidungsträger in der übergeordnete Behörde dagegen. Jetzt wurden 30er-Tafeln aufgestellt - mit grotesker Betriebszeit. Denn das Tempolimit gilt erst dann, wenn die gefährdeten Volkschüler längst in den Klassen sind, und wird außerdem unmittelbar vor einer gefährlichen Kurve aufgehoben.
ST.GEORGEN/GUSEN. Nein, es ist KEIN Faschingsscherz, der die Wogen der Empörung im Ort und auf der Facebookseite der Gemeinde St. Georgen - die dafür gar nichts kann - derzeit hochgehen lässt. Nagelneue 30er-Schilder auf Höhe des Friedhofeingangs und am Kirchenberg wurden montiert. "Gültig an Schultagen von 10 -20 Uhr", steht auf einer Zusatztafel. Also dann, wenn alle Volksschüler, an denen der dichte Morgenverkehr samt unzähliger LKW vorbeibraust und fast täglich für gefährliche Situationen sorgt, schon längst in ihren Klassen sind.
30er nur für Musikschule genehmigt
Die amtliche Begründung liest sich bizarr: "In Gesprächen konnte die Geschwindigkeitsbeschränkung genehmigt werden, weil der Schülereingang der Landesmusikschule direkt an die Landesstraße angrenzt und dies den Richtlinien der OÖ. Landesstraßenverwaltung entspricht. Der Eingang der Volksschule ist ausgenommen, weil dieser nicht unmittelbar an die Landesstraße angrenzt. Die Zeitangabe von 10:00 – 20:00 Uhr ist daher kein 'Schildbürgerstreich mit Verbesserungsbedarf', sondern die Betriebszeit der Landesmusikschule. Nicht die optimale Lösung, aber immerhin besser als gar keine Lösung."
Fast entschuldigend liest sich die Stellungnahme von Bürgermeister Andreas Derntl auf der Facebookseite der Gemeinde St. Georgen. Man sei beruhigt und sehr dankbar, dass in der Früh durch Schülerlotsen für die Sicherheit der Kinder gesorgt wird.
Ignoranz von Behörde und Gesetzgeber regt auf
Der Gemeindepolitik ist hier wenig Vorwurf zu machen, sie ist schlicht der falsche Adressat des Unmuts. Denn das parteiübergreifende Bemühen um mehr Verkehrssicherheit für die Kinder zieht sich schon über viele Jahre, ebenso das Streben nach einer guten, pragmatischen Gesprächsbasis. Man sitzt bei der durch den Ort führenden Landesstraße aber am kürzeren Ast.
Unverständnis, Verärgerung und ungläubig hochgezogene Augenbrauen prägen on- und offline die Reaktionen der St. Georgener. "Was ändert es für die Sicherheit, ob ein Kind direkt aus der Musikschule oder der 20m nach hinten versetzten Volksschule den Gehsteig betritt? Der Weg am verkehrsreichen engen Kirchenberg oder über den Zebrastreifen ist gleich gefährlich. Ist ein Kinderleben um 7.30 Uhr weniger wert als um 10 Uhr? Warum gilt der 30er ausgerechnet in der dunklen, besonders verkehrsreichen Morgenzeit nicht? Es ist ein Armutszeugnis, dass Freiwillige als Schülerlotsen für jene Sicherheit sorgen müssen, welche die zuständige Behörde den Kindern verweigert!" So oder so ähnlich sieht es fast jeder im Ort.
"Verkehrsexpertise" nicht nachvollziehbar
Dass ein zurückversetzter Schuleingang den engen Kirchenberg für die meist deutlich jüngeren Volksschüler nicht weniger gefährlich macht als für die Musikschüler, ist ebenso wenig nachvollziehbar wie die Gültigkeit des 30ers in verkehrsarmen Zeiten, nicht aber in verkehrsreichen. Dass und wo die Tafeln montiert wurden, erfuhr man bei der Gemeinde erst durch Hinweise aus der Bevölkerung. Und das offenbar zähneknirschend genehmigte Tempolimit durch die Zusatztafeln für die gefährlichste Tageszeit in einer Art amtlicher Trotzreaktion sofort wieder zu entwerten, ist für die St. Georgener nicht nachvollziehbar.
Ebenso grotesk: Der 30er endet bergab mitten am Kirchenberg, unmittelbar vor der unübersichtlichsten und gefährlichsten Kurve der ganzen Ortsdurchfahrt. Sportlich ambitionierte Autofahrer dürften durch diese mit 50kmh bergab brettern, um sich gleich danach in der noch engeren Schikane der nicht einsehbaren Marktplatzeinfahrt den Nervenkitzel eines zentimeternahen Passierens von LKW-Gegenverkehr zu gönnen. Gefolgt vom spontanen Bremstest - mehrmals stündlich stauen sich nämlich am Platz die Autos hinter den auf der Straße haltenden Bussen. Knappe 100 Meter weiter wartet mit der unübersichtlichen Sparkassenkreuzung das letzte Verkehrs-Special: Querende Schulkinder, die sich beiderseits der Straße auf besonders schmalen Gehsteigen entlangdrücken in Kombination mit Schwerverkehr.
30er in zentraler Ortsdurchfahrt unverzichtbar
"Man müsste von der Gusenbrücke bis oberhalb des Friedhofs durchgehend einen 30er widmen. Alles andere ist Augenauswischerei. Gut 300 Meter 20km/h langsamer zu fahren - zumindest in den allergefährlichsten Zeiten -, ist doch zum Schutz unserer Kinder wohl jedem zumutbar", sind sich die St. Georgener auf Social Media und in ihren persönlichen Gesprächen einig. Umso mehr, als ab April mit der Sperre der B3 ab Mauthausen samt Umleitung über Ried -Gusental - St. Georgen eine zusätzliche Verkehrslawine, diesmal nicht nur in den Schulferien, auf das Ortszentrum zurollt.
Den Dialog mit der Bevölkerung - was eigentlich im Sinne von Service und Sicherheit eine Selbstverständlichkeit darstellen sollte - suchten die behördlichen Entscheidungsträger im Empfinden der St. Georgener nicht. Infoveranstaltungen oder wenigstens aktive Kommunikation, etwa über die Gemeindekanäle? Ebenfalls Fehlanzeige. Auch der Wille, eigene Vorgaben kritisch auf deren Wirksamkeit zu hinterfragen, ist enden wollend. Im Ort hat man sich mit den neuen Tafeln derzeit jedenfalls ein zweifelhaftes, schweigend-beredtes Denkmal gesetzt. Mehr Proaktivität und Bürgernähe werden erbeten.
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