Morgenstund hat Gold im Mund
Morgenstund´ hat Gold im Mund
Stimmen aus dem Nachbarzelt beenden die kurze Nacht. Die Stirnlampe erhellt den kleinen Raum der Notbehausung. Das Licht reflektiert und glitzert an den vielen Eiskristallen, die sich durch die Atemluft gebildet haben und an der Zelthaut anhaften. Die Nacht war windstill, aber klirrend kalt. Ein tägliches Ritual beginnt: Mit dem Trinkbecher meiner Thermosflasche kratze ich vorsichtig die Pracht von der Plane. Bei einer ungeschickten Bewegung würde es einen Schneeschauer im Zelt ergeben. Bald surrt der Kocher um den am Abend bereitgestellten Schnee für den warmen Tee zu schmelzen. Die kleinen Schneeballen treiben wie Eisberge auf dem Kochwasser um sich dann gänzlich aufzulösen. Dampf steigt auf. Mein Körper will die wohlige Wärme des schützenden Schlafsacks nur ungern entbehren. Neben mir erwacht mein Zeltpartner, froh dass es endlich los geht. Im kleinen Raum ist Betriebsamkeit. Wortkarg werden Bekleidung und Ausrüstung zur Mitnahme in den Rucksack geordnet. Zwischendurch wird einen Schluck warmen Tee und Suppe geschlürft. Das Anziehen der Thermoschuhe lässt den Puls in die Höhe schnellen. Die große Höhe und die dünne Luft sind merklich spürbar. Die Zähne des Reißverschlusses lösen sich nur schwer. Die kalte Luft der Nacht umhüllt uns. Die hüpfenden Lichter im Nachbarzelt scheinen grün nach außen. Der Schnee unter den Schuhen knirscht. Bald tanzen die Lichtstrahlen der Kopflampen am Schnee wirr durch einander. Die Zacken der Steigeisen schneiden ins harte Weiß. Schistöcke unterstützen das schlafwandlerische Gehen. Monoton, ohne Worte. Einen Schneegrat hinauf. Das Schwarz der Nacht weicht dem Violett des anbrechenden Tages. Die höchsten umliegende Gipfel tauchen aus dem Meer der Dunkelheit auf. Es gibt uns das Gefühl in einer anderen Welt zu sein. Losgelöst von allen weltlichem. Abseits jeder Hektik. Ein rötliches Farbenspiel verdrängt die Finsternis. Spitzen, Grate und Flanken erstrahlen bald im ersten Morgenlicht. Das Gelände wird felsiger um dann wieder in Schnee über zu gehen. Rhythmisch geht es Schritt um Schritt höher dem Ziel entgegen. Die Strapatzen der letzten Tage sind vergessen als wir den Gipfel erreichen. Freude, Händeschütteln und Umarmungen. In geklärter Sicht bewundern wir dankbar die unfassbare Schönheit. Der frühe Aufbruch hat sich gelohnt und das Sprichwort "Morgenstund´hat Gold im Mund" hat sich bewahrheitet.
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