Klimaschutz
Weil jeder einzelne Baum zählt
Wir sind doch von Wald umgeben, was brauchen wir Bäume im Zentrum? Dieses Argument taucht regelmäßig in Diskussionen auf. Ein Experte erklärt, warum es nicht egal ist.
PURKERSDORF REGION. Jüngster Anlassfall für hitzige Debatten war die Fällung des letzten Baums in der Gasse zur Purkersdorfer Volksschule. Der Baum war hoch gewachsen und gesund, er stand bloß einer Baustelle im Wege. Versuche ihn zu retten, scheiterten, machten aber in den sozialen Medien die Runde. Und schon war es da, das Argument: "Wir leben in einer Stadt mit 80 Prozent Waldanteil, was soll das Geschrei um einen einzelnen Baum?"
Überhitzung
Was dabei übersehen wird: Stadtgrün hat im Zentrum großen Einfluss auf Wohlbefinden und Temperaturen. "Die fortschreitende sommerliche Überhitzung im Siedlungsgebiet spielt bis ins Dorf eine Rolle", sagt dazu der Pressbaumer Peter Santner, der beim Land Niederösterreich zuletzt das Projekt 'Klimaschutz mittels grüner Infrastruktur' betreut hat. "Prognosen gehen davon aus, dass wir in absehbarer Zeit ein Klima wie in der Toskana haben. Wenn wir da kein Grün in den Zentren haben, wird es schnell unerträglich heiß", so Santner weiter. Das gilt auch im Wienerwald, denn wenn die Hitze im Ortskern durch dichte Bebauung, Bodenversiegelung und immer weniger Grün (es schwinden nicht nur die Straßenbäume, sondern es müssen auch immer mehr großzügige Gärten riesigen Wohnblocks weichen) quasi steht, nützt es dem Schlafbedürftigen wenig, wenn's im Wald dahinter abkühlt. Auch untertags macht es dann keinen Spaß, sich hier aufzuhalten.
Verdunstungskälte
Was aber kann ein einzelner Baum da ausrichten? Experte Santner: "Es gibt Messungen, die nachweisen, dass es im Baumschatten um sechs bis zwölf Grad kühler ist, als im Asphaltschatten; das kann man selbst ganz leicht am nächsten heißen Tag ausprobieren. Das lässt sich auch erklären, denn ein gut gewachsener Baum verdunstet rund vierhundert Liter Wasser am Tag – und genau diese Verdunstung sorgt für die Abkühlung, die man sich in heißen Sommernächten herbei sehnt." Klimaanlagen sind im Übrigen keine Alternative, denn sie sind in doppelter Hinsicht kontraproduktiv: sie verbrauchen Strom, was weiter zum Klimawandel beiträgt, zum anderen kühlen sie nur eine Wohnung, die Abwärme geht nach draußen.
Schatten dringend gesucht
Im verbauten Gebiet zählt jedes Grün – von der Hecke bis zum Fassadengrün – ebenso wie offene, unversiegelte Böden. Am wichtigsten sind freilich Bäume, Santner: "Bäume filtern jede Menge Staub und auch ein wenig Schadstoffe aus der Luft. Sie bieten verschiedenen Vogel- und Insektenarten Lebensraum und tragen so großen Anteil an der Biodiversität in unseren Kleinstädten. Bäume arbeiten als Gratis-Klimaanlage. Außerdem sind sie ein psychologischer Wohlfühlfaktor und bieten Aufenthaltsqualität." Will man die Menschen dazu motivieren, öfter das Auto stehen zu lassen und zu Fuß zu gehen oder zu radeln hilft es, wenn ihnen natürlich beschattete Straßenzüge zur Verfügung stehen. "Setzt Bäume, wo es geht. Jetzt und nicht erst in zwanzig Jahren, wenn es längst zu spät ist. Ein Baum braucht seine Zeit, zu wachsen", appelliert Peter Santner an die Politik, in Perspektiven zu denken.
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