Rainer Vierlinger als Regisseur

Szenenaufnahme von einer Probe zum Stück  "Der Kaiser von Atlantis"  an der Kammeroper Wien unter der Regie von Rainer Vierlinger | Foto: Herwig Prammer
8Bilder
  • Szenenaufnahme von einer Probe zum Stück "Der Kaiser von Atlantis" an der Kammeroper Wien unter der Regie von Rainer Vierlinger
  • Foto: Herwig Prammer
  • hochgeladen von Helmut Eder

HASLACH, WIEN (hed). Das Stück entstand 1943/44 im KZ Theresienstadt. Musik: Viktor Ullman, Text: Peter Kien. Das Theater an der Wien bringt das Stück 30 Jahre nach Georg Taboris Inszenierung erneut zur Aufführung. Premiere war am 11. Jänner, weitere Aufführungen: 15., 18., 24., 27., 31. Jänner und 2. Februar, 19 Uhr. Die BezirksRundschau sprach vor der Premiere mit dem Regisseur.

Was bewegt Menschen in Extremsituationen, sich künstlerisch zu betätigen?
Vierlinger: Kunst und Kreativität scheinen gerade unter widrigsten Umständen Grundimpulse des Menschen zu sein, so wie das Über-Lebens-Mittel Kunst im KZ. Ullmann und Kien suchten nicht nur Ablenkung und Zerstreuung, sondern verhandelten existenzielle Themen und hinterließen eine Art Vermächtnis – im Wissen, dass es für sie kein „Nachher“ geben würde.
Wie war es überhaupt möglich, das Stück im Lager zu proben?
Die Probenumstände zwischen harter körperlicher Arbeit, Zensurdrohung und Todesangst sind schwer vorstellbar. Ein Beispiel: die Autoren verwendeten für ihre Arbeit die Rückseiten von Deportationslisten.

Ist das Stück im Lager zur Aufführung gekommen?
Nein. Gegen Ende der Probenphase im Sommer '44 verschlechterten sich die Bedingungen dramatisch. Nach der Abreise der Delegation des Roten Kreuzes – sie täuschte man mit solchen kulturellen Aktivitäten über die wahre Situation im Lager hinweg – wurde fast alles unterbunden. Kurz darauf deportierte man zusammen mit vielen anderen Künstlern auch Ullmann und Kien nach Auschwitz. Der Komponist wurde in der Gaskammer ermordet, der Librettist starb an einer Infektion.

Was hat die Auseinandersetzung mit dem Stück in Ihnen bewegt?
Ich war im Sommer in Terezin/Theresienstadt und in Auschwitz-Birkenau: Das große und schwer fassbare abstrakte Grauen dieser Orte hatte für mich plötzlich zwei Namen, zwei konkrete Gesichter und zwei exemplarische Lebensgeschichten.

Welche Elemente haben Sie in Ihrer Regieführung eingesetzt, um dem Stück gerecht zu werden?
Wir versuchten, die weit über die Naziherrschaft hinausgehende Brisanz des Werkes zu unterstreichen und haben auf Drittes-Reich-Ästhetik verzichtet. Unser Bühnenraum lädt das Publikum zum Assoziieren, zum Weiterdenken ein. Die Hauptelemente sind Objekte mit hoher Symbolkraft: ein alter Baum als Lebenssymbol, Sand, der vom Thronhügel über den Schützengraben bis zum Sehnsuchtsort Strand viele Fantasieräume eröffnet.

Zur Sache:

Ullmanns Meisterwerk, das die Barbarei von Krieg und Gewaltherrschaft aufzeigt, ist weit über den unmittelbaren Bezug zur Nazidiktatur hinaus gedacht als eine zeitlos gültige Parabel über Grundfragen des Menschlichen.
Rainer Vierlinger, geboren 1967 in Haslach; lebt in Wien. Biologiestudium; Naturschutz- und Ökologieprojekte. Erste Theatererfahrungen in der Schulzeit; ab 2000 entwickeln sich die Hobbys Theater und Musik zum Beruf.
Weitere Infos und Kartenbuchungen unter: https://www.theater-wien.at/de/home

Das ungekürzte Interview:

Viktor Ullmann und Peter Kien haben das Stück im Konzentrationslager geschrieben. Können sie den Inhalt kurz skizzieren?
Vierlinger: Wir befinden uns in einem kriegerischen Tyrannenstaat. Tod und Harlekin, sitzen frustriert im „Ausgedinge“ und reden über bessere Zeiten, in denen die Menschen noch lachen und eines natürlichen Todes sterben durften. Als der Kaiser den Krieg aller gegen alle (!) verkünden lässt, verweigert der Tod, angewidert von der modernen Tötungsmaschinerie, seine Arbeit: niemand kann mehr sterben. Anfangs meint der Tyrann, damit endlich das perfekte Menschenmaterial für seine Vernichtungsmission zur Verfügung zu haben, doch das System gerät völlig aus den Fugen: Ohne die Hoffnung auf einen aus Leid und Schmerzen erlösenden Tod, beginnen die Menschen zu revoltieren. Der Kaiser muss die Macht des Todes anerkennen und geht als Erster mit ihm…
Bleibt die Frage, ob das eine realistische „Tyrannenbiographie“ ist, oder der Stückschluss vielleicht nur die Wunschvision der in Theresienstadt inhaftierten Künstler darstellt?

Was hat das Theater an der Wien bewegt, dieses Stück neu zu aufzuführen?
Ganz einfach seine Qualität. Unabhängig von den gelinde gesagt besonderen Entstehungsbedingungen, ist der „Kaiser“ an sich ein Werk, das in der Opernwelt des mittleren 20. Jahrhunderts seinesgleichen sucht: Ein unglaublich dicht gewebter musikalischer Kosmos mit Querverbindungen, die von Bach bis Weill und in den Jazz hinein reichen und ein bemerkenswert tiefschürfender, bildmächtiger, fast lyrischer Text; – manchen Satz möchte man am liebsten einrahmen und überm Schreibtisch aufhängen.
Und, pragmatisch betrachtet, passt das Stück mit 6 Darstellern und 15-köpfigem Orchester (es war ursprünglich größer konzipiert, aber Ullmann musste halt einsetzen, was er zur Verfügung hatte) ideal für die Dimensionen der Kammeroper.

Wie ist es überhaupt möglich gewesen für das Stück im Lager zu Proben bzw. was bewegt Menschen in solchen extremen Situationen sich künstlerisch zu betätigen?
Kunst und Kreativität scheinen, egal ob aktiv oder passiv gelebt, gerade unter widrigsten Umständen Grundimpulse des Menschen zu sein: das Über-Lebens-Mittel Kunst war im KZ offenbar von wesentlicher Bedeutung. Während viele darin Ablenkung und Zerstreuung suchten, gingen Leute wie Ullmann und Kien noch einen Schritt weiter, verhandelten existenzielle Themen und hinterließen damit ein Art Vermächtnis – wohl im Wissen, dass es für sie kein „Nachher“ geben würde.
Die tatsächlichen Probenumstände zwischen harter körperlicher Arbeit, Zensur und Todesangst kann man sich tatsächlich schwer vorstellen. Nur ein kleines, symbolisches Beispiel: Ullmann und Kien haben aus Papiermangel für ihre Arbeit zum Teil die Rückseiten von Deportationslisten verwendet.

Ist das Stück im Lager zur Aufführung gekommen?
Nein. Gegen Ende der Probenphase, im Sommer 44, haben sich die Bedingungen im Lager dramatisch verschlechtert: kaum war eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes, die man mit der Vielzahl kultureller Aktivitäten über die wahre Situation im Lager hinwegtäuschen wollte, abgereist, wurden fast alles unterbunden. Und wenig später gingen in kurzer Folge 11 Deportationszüge nach Auschwitz ab; im sogenannten „Künstlertransport“ saßen Ullmann (er konnte das Opern-Manuskript noch Freunden übergeben) und Kien. Der Komponist wurde 2 Tage nach Ankunft in den Gaskammern ermordet; der Librettist starb noch vor Jahresende an einer Infektion.

Was hat die intensive Auseinandersetzung mit dem Stück in Ihnen bewegt?
Ich war im Sommer in Terezin/Theresienstadt und in Auschwitz-Birkenau: Das übergroße und daher schwer fassbare abstrakte Grauen dieser Orte hatte für mich plötzlich zwei Namen, zwei konkrete Gesichter und zwei exemplarische Lebensgeschichten…

Welche Elemente haben Sie in Ihrer Regieführung eingesetzt, um dem Stück gerecht zu werden?
Wir haben versucht, die weit über die Naziherrschaft hinausgehende Brisanz des Werkes zu unterstreichen und auf Drittes Reich-Ästhetik (fast ganz) verzichtet. Die starken sprachlichen und musikalischen Bilder brauchen keine übergestülpte Interpretation; die Herausforderung bestand eher darin, aus der Fülle jene Bilder auszuwählen, die den Abend tragen und die mitunter nicht ganz einfach zu verstehende Thematik klären. Unser Bühnenraum ist daher weder zeitlich noch räumlich klar definiert, manchmal ein wenig surreal und lädt das Publikum so zum Assoziieren, zum selber Weiterdenken ein. Die Hauptelemente sind Objekte mit hoher Symbolkraft: ein alter Baum als das Lebenssymbol schlechthin und ein paar Kubikmeter Sand, der vom Thronhügel über den Schützengraben bis zum Sehnsuchtsort Strand verschiedenste Fantasieräume eröffnet; dazu kommen Videopaintings des italienischen Multimedia-Künstlers Cosimo Miorelli.

Nun zu Ihrer Zukunft. Welche Projekte stehen als nächstes an?
Im kommenden Frühjahr werde ich im Theater an der Rott (Bayern) eine szenische Version der „Carmina Burana“ von Carl Orff inszenieren und in Nürnberg die Wiederaufnahme der Verdi-Oper „Attila“ (Regie: Peter Konwitschny) betreuen. Im Herbst/Winter steht eine weitere Assistenz im Theater an der Wien und die Arbeit an einem neuen Libretto – diesmal soll es eine moderne Operette werden – auf dem Programm. Dazu sollten sich einige Projekte mit dem Singverein und dem Arnold Schönberg Chor ausgehen; da singe ich hobbymäßig noch immer sehr gern. Für Frühling ´18 ist dann wieder eine Inszenierung an der Oper Graz in Planung.

Über Rainer Vierlinger

Rainer Vierlinger, geboren 1967 in Haslach; lebt seit 1985 in Wien. Biologiestudium; Naturschutz- und Ökologieprojekte. Erste Theatererfahrungen in der Schulzeit; ab 2000 entwickeln sich die Hobbys Theater und Musik zum Beruf: Am Beginn stehen fünf Jahre als Assistent von Hans Gratzer. Es folgen Assistenzen u.a. bei Achim Freyer, Philipp & Nikolaus Harnoncourt, Martin Kušej, Stefan Ruzowitzky, Robert Carsen, Karl Markovics, Keith Warner, Peter Konwitschny und Torsten Fischer an der Oper Zürich, der Styriarte, den Bregenzer und Salzburger Festspielen und regelmäßig am Theater an der Wien, wo er 2012 die Uraufführung der Kammeroper Premiere von Tristan Schulze inszeniert, zu der er auch das Libretto verfasst hat. Rainer Vierlinger gastierte mit Händels Radamisto am Palacio de Bellas Artes in Mexico City, im MuTh Wien inszeniert er mit den Wiener Sängerknaben Hilfe, Hilfe, die Globolinks! von G.C. Menotti, an der Oper Graz den Songzyklus Tell me on a Sunday von A. Lloyd Webber.

Anzeige
Foto: Cityfoto
8

Innovationen von morgen
"Lange Nacht der Forschung“ am 24. Mai

Unter dem bundesweiten Motto „Mitmachen. Staunen. Entdecken.“ bietet Oberösterreich bei der elften Auflage der Langen Nacht der Forschung 2024 (#LNF24) am Freitag, 24. Mai 2024 von 17 bis 23 Uhr ein breit gespanntes LIVE-Programm. In zehn Regionen in Oberösterreich laden rund 140 Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Technologiezentren und innovative Unternehmen dazu ein, einen Blick in die faszinierende Welt der Forschung zu werfen. Auf Entdecker:innen jeden Alters wartet ein...

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN

Aktuelle Nachrichten aus Rohrbach auf MeinBezirk.at/Rohrbach

Neuigkeiten aus Rohrbach als Push-Nachricht direkt aufs Handy

BezirksRundSchau Rohrbach auf Facebook: MeinBezirk.at/Rohrbach - BezirksRundSchau

ePaper jetzt gleich digital durchblättern

Storys aus Rohrbach und coole Gewinnspiele im wöchentlichen MeinBezirk.at-Newsletter


Du willst eigene Beiträge veröffentlichen?

Werde Regionaut!

Jetzt registrieren

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.