"Die Architektur muss soziale Konzepte aufnehmen und übersetzen"

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Diakonie-Direktor Michael König im Bezirksblätter-Interview über neue Wohnformen im Alter
Welche Wünsche an das Wohnen haben ältere Menschen?
MICHAEL KÖNIG: Sie haben das Bedürfnis, eigenständig, selbstbestimmt und im persönlichen Umfeld leben zu können. Neu ist, dass die Generation 60 plus sich bewusst überlegt, den Wohnort zu wechseln, hin in ein Umfeld, in dem sie das Gefühl haben, gut alt werden zu können. Und: Es gibt "die" alten Menschen nicht, sie haben zunehmend unterschiedliche Vorstellungen über ihr Leben im Alter.
In Bezug auf die Wohnformen?
MICHAEL KÖNIG: Es ist nicht mehr selbstverständlich, so lange im Einfamilienhaus zu bleiben, bis man ins Seniorenheim "muss". So gibt es etwa den Verein „Christliche Wohngemeinschaft“, der bereits die dritte WG realisiert. Das sind ältere Menschen, die sich auf der christlichen Wertebasis gegenseitig im Alter verbindlich unterstützen.
Wird es künftig mehr solche interessensbezogenen WGs geben?
MICHAEL KÖNIG: Ja. Und wir beobachten, dass Wahlverwandtschaften, Nachbarschaften, Freundschaften und Bekanntschaften für die Unterstützung im Alter wichtiger werden. Das liegt daran, dass das traditionelle Familiensystem im Alter in seiner Unterstützungsfunktion an Tiefenwirkung verliert.
Was bedeutet das für das neue Wohnen im Alter?
MICHAEL KÖNIG: Bei der Entwicklung neuer Wohnobjekte muss es zu einem Perspektivenwechsel kommen. Es geht um die Perspektive des gesamten Wohnquartiers. Für diese Quartierentwicklung müssen durch Bauträger und Gemeinden soziale Konzepte mitentwickelt werden. Da geht es nicht mehr nur um Betreutes Wohnen oder Hauskrankenpflege, sondern darum, wie das soziale Zusammenleben gestaltet werden kann. Es braucht ein Umfeld, in dem sich ein Unterstützungsnetzwerk entwickeln kann.
Eine Art Entwicklungshilfe für die immer wichtiger werdenden Wahlverwandtschaften?
MICHAEL KÖNIG: Ja, genau. Wir sehen das beim Generationenwohnprojekt Rosa Zukunft in der Stadt. Da entwickeln sich langsam tragende Austauschbeziehungen zwischen Jung und Alt. Jüngere helfen Älteren beim Einkauf, ältere Bewohner holen die Nachbarskinder vom Kindergarten ab.
Ist das so einfach? Diese Form des Zusammenlebens hängt von der Persönlichkeit der Bewohner ab.
MICHAEL KÖNIG: Deswegen ist es so wichtig, dass wir schon bei der Bewohnerauswahl solcher Quartiere, für die wir als Diakonie mitverantwortlich sind, eingebunden werden. Wir müssen den Menschen sagen, was sie dort erwartet und was nicht. Manche wollen ja ein Wohnumfeld ohne lärmende Kinder. Salzburg hat mit 38 Prozent die höchste Singlehaushaltsrate. Wenn man dieses Thema nicht als Defizit sieht, sondern als Ausdruck eines Bedürfnisses, dass Menschen so leben wollen, dann geht es darum, Konzepte zu entwickeln, die es ermöglichen, alleine zu leben, aber gleichzeitig nicht einsam. Es geht darum, wie sich Bewohner in ein Sozialleben im Quartier einbringen können, ohne dass das zwanghaften Charakter hat.
Welche Herausforderungen kommen auf die Bauträger, auf die Gemeinden zu?
MICHAEL KÖNIG: So wie es selbstverständlich ist, ein Lärmgutachten und ein ökologisches Gutachten zu erstellen, so selbstverständlich muss und wird es werden, auch ein soziales Konzept zu erstellen. Und zwar vor Baubeginn. Die soziale Idee muss verstanden werden und wird künftig Standard in Ausschreibungen sein. Und im Architektenwettbewerb muss dieses soziale Konzept in Architektur übersetzt werden.
Welche Rolle spielen moderne Techniken und Internet?
MICHAEL KÖNIG: Das ist sicher ein Zukunftsthema. In der Rosa Zukunft wurden Smart Grids-Technologien eingebaut. Dort sind 60 Wohnungen mit Tablets ausgestattet, die u.a. den Bewohnern Feedback über ihren Stromverbrauch geben und darüber, wie sie ihn optimieren können. Der Geschirrspüler lässt sich dann so programmieren, dass er um drei Uhr früh wäscht – wenn der Strom am billigsten ist.
Frauen werden älter als Männer – müssen Sie das bei Ihren sozialen Konzepten berücksichtigen?
MICHAEL KÖNIG: Genau darum geht es. Wir müssen uns mehr damit beschäftigen, wer die konkreten Menschen sind, die in die Quartiere einziehen. Welche Bedürfnisse haben sie? Der Tod des Lebenspartners ist für viele Frauen eine Lebenszäsur. Sie müssen sich dann mit 75 oder 80 Jahren neu ins Leben aufmachen, Beziehungen knüpfen. Da brauche ich ein Umfeld, das mich hereinholt und in das ich mich einbringen kann. Und das müssen wir mit den sozialen Konzepten erreichen.


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