Leben zwischen Armut, Alkohol und Hoffnung
Die Notschlafstelle ist für Obdachlose Zufluchtsort in eisigen Winternächten.
SALZBURG (lg). Der älteste Nächtigungsgast hat die Winternotschlafstelle in der Linzergasse wie an jedem Tag um spätestens neun Uhr früh verlassen. Er ist 92 und kommt seit Jahren während der Herbst- und Wintermonate tagein, tagaus zum Schlafen hierher. Dazu muss er sich die enge Treppe hinauf in den ersten Stock des Altstadthauses quälen – für einen warmen Schlafplatz, eine Duschmöglichkeit und eine heiße Tasse Tee nimmt der betagte Mann die Mühen in Kauf.
Alkohol als ständiger Begleiter
So wie viele andere Menschen, die einen der 18 verfügbaren Schlafplätze in Anspruch nehmen. "Wir bräuchten eigentlich viel mehr Betten, manche, die am Abend zu uns kommen, müssen wir an das Haus Franziskus weitervermitteln, weil bei uns die Kapazitäten schnell aufgebraucht sind", erklärt Petra Geschwendtner von der Soziele Arbeit GmbH, die die Winternotschlafstelle betreibt. Ihre Kollegin Sabine Weninger unterstreicht dies und erzählt, dass bereits in den ersten Novembertagen, als am Abend Licht brannte, weil Mitarbeiter die Notschlafstelle für die heurige Saison vorbereiteten, zwei Menschen unten gewartet haben, in der Hoffnung, das Notquartier sei bereits geöffnet.
14 Männer und vier Frauen können hier beherbergt werden, für die Frauen gibt es ein eigenes Zimmer und eine separate Toilette. Kinder, Jugendliche oder Familien können in der Linzergasse nicht aufgenommen werden. "Wir haben ein sehr schwieriges Klientel und sind eines der niederschwelligsten Angebote. Viele, die zu uns kommen, leiden an schweren psychischen Erkrankungen, Alkohol und Gewalt sind oft allgegenwärtig", führt Weninger aus.
Eigene Notschlafstellen für Frauen dringend nötig
Ob es eine Hemmschwelle gibt, hierher zu kommen? "Kaum. Wenn sie zu uns kommen, haben sie den Großteil ihres Schamgefühls schon verloren. Es stecken Schicksale hinter diesen Gesichtern, oft jahrelange Martyrien. Speziell bei den Frauen, die sich viele Jahre in die Abhängigkeit von Zweckpartnerschaften begeben haben, nur um nicht auf der Straße zu landen. Da herrscht viel Gewalt und Missbrauch. Wenn die zu uns kommen, sind sie psychisch oft am Ende", erklären die beiden Beraterinnen und machen auf die Dringlichkeit von eigenen Frauen-Notschlafstellen aufmerksam.
"Es gibt derzeit keine in Salzburg, das ist ein riesiges Problem, denn wenn man bedenkt, dass gerade diese Frauen oft viele Jahre Gewalt bis hin zu Missbrauch miterlebt haben, dann haben viele Angst davor, mit Männern in einem Quartier zu übernachten."
Immer mehr Junge in der Notschlafstelle
Generell seien die Zahlen alarmierend: Im Vorjahr nutzten so viele Menschen wie noch nie die Notschlafstelle während der kalten Jahreszeit, auch immer mehr Jüngere sind betroffen. "Zu uns kommen auch 20-Jährige – viele aus schwierigen sozialen Verhältnissen, keine Schule, keine Ausbildung und psychisch oft sehr labil", so Geschwendtner.
Zwischen Bahnhof und sozialen Einrichtungen
Die Tage verbringen die obdachlosen Menschen in der Stadt, am Bahnhof, den manche als "ihr Wohnzimmer" bezeichnen oder in anderen sozialen Einrichtungen. Zwischen 18 und 20 Uhr kommen sie in die Linzergasse 72. "Die meisten trinken dann einen heißen Tee oder Kaffee, auch eine kleine Jause richten wir her. Manche schlafen dann gleich ein, für andere sind die psychischen Probleme zu erdrückend, um Schlaf zu finden", erklärt Weninger. Zwei Sozialarbeiter sind jede Nacht dort, manchmal auch, um zu schlichten und zu vermitteln. "Wenn sich über den Tag hinweg der Frust aufgestaut hat, Alkohol dazukommt, dann kann schon eine Kleinigkeit zu Konflikten führen." Um spätestens neun Uhr verlassen die Nächtigungsgäste die Notschlafstelle und machen sich auf ihren Weg durch die Straßen Salzburgs – ein Weg zwischen Sehnsüchten und Hoffnungslosigkeit.
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