Clemens Seelmaier
Intensivarzt: Steuern im Extremfall auf "Kriegsmedizin" zu

Dr. Clemens Seelmaier: "Triage gibt es bei uns derzeit noch nicht, wird aber bereits im Hintergrund geplant. Wenn es so weit kommt, denke ich, dass Verzweiflung und Motivationsknicke kommen werden." | Foto: Uniklinikum Salzburg (SALK)
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  • Dr. Clemens Seelmaier: "Triage gibt es bei uns derzeit noch nicht, wird aber bereits im Hintergrund geplant. Wenn es so weit kommt, denke ich, dass Verzweiflung und Motivationsknicke kommen werden."
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Der Salzburger Intensivmediziner und Oberarzt Clemens Seelmaier von der Uniklinik Salzburg (Salk) über einen Covid-Stufenplan, und asoziales Verhalten.

Kritik am politischen Umgang mit den Corona-Maßnahmen vom Herbst und den aktuellen Regelungen übt der Intensivmediziner Clemens Seelmaier. 

meinbezirk.at: Wie ist bei Ihnen die momentane Situation auf den Stationen?
Clemens Seelmaier: Wir sind ja eine der zentralen Einheiten und haben die Situation seit nunmehr 20 Monaten, in denen wir nie ohne Covid-19 Patienten oder in der Vorhaltung dafür waren. Derzeit sind wir bei einer Eskalation mit elf belegten COVID-Betten von 17 ICU-Betten unserer Station. Bereits während der ersten, zweiten und dritten Welle wurde gemeinsam mit der Anästhesie-Abteilung im Haus ein Stufenplan zur Patientenversorgung erarbeitet. Jetzt wurde die Taktik bzw. der Plan ein wenig geändert, aber die momentane Situation der Klinik wird derzeit in Salzburg hinsichtlich der Infektionszahlen widergespiegelt. Es ist dramatisch, das kann man schon so unterstreichen. 

Wie geht es Ihnen persönlich in dieser Zeit?
Naja, gut wäre ehrlich gesagt übertrieben. Ich kann es nur immer wiederbetonen: Es ist extrem wichtig, dass das Team zusammenhält. Der Zusammenhalt ist unser großer Bonus. Darüber ist natürlich viel kompensier- und machbar. Man muss aber auch ehrlicherweise sagen, dass man schwierige Situationen doch immer wieder mit nach Hause nimmt. Vor allem auch, da die Patienten und deren Schicksale in der vierten Welle jünger sind 

Wie ist der Altersschnitt?
Die meisten sind durchschnittlich zwischen 50 und 65 Jahren, also nicht mehr Ältere, wie es zu Beginn der Pandemie war. Es gibt aber auch durchaus jüngere Patientinnen und Patienten, die intensivmedizinische Behandlungen benötigen. Einige davon versterben, hatten aber auch Vorerkrankungen, was aber trotzdem dramatisch ist und bleibt. 

Uniklinikum Salzburg
 | Foto: SALK

Was ist derzeit die größte Herausforderung für Sie bzw. sind Sie überlastet oder manchmal verzweifelt?
Überlastet, ja! Es gibt einige, die in der momentanen Situation verzweifeln, es kommt aber immer auf die persönliche Resilienz drauf an, was man noch schafft, und was nicht. Ich denke, wir sind leider am Weg, dass immer mehr verzweifeln, weil wenn die Welle so weitergeht. Wenn wir letztlich über die Kapazitätsgrenzen kommen, wird es für COVID-19 Patienten und auch non-COVID-Patienten eng. Eine Priorisierung wird bereits gemacht, aber weitere Maßnahmen sind diskutabel (aber z.B: Triage), das möchte ich aber keinem Mediziner im Dienst zumuten. Jene Triage gibt es bei uns derzeit noch nicht, aber dieses Tool gibt es prinzipiell in der Medizinhistorie bzw. im Katastrophenfall. Wenn es so weit kommt, denke ich, dass überdimensionale Verzweiflung und Motivationsknicke im Personal kommen werden.

Die größte Herausforderung persönlich ist derzeit die nötige Motivation aufzubringen, vor allem durch Resignation und Wut auf die Bevölkerung, die sich nicht impfen lässt, da diese Situation vermeidbar gewesen wäre. Denn die, die geimpft sind, und sowie Patienten mit anderen Erkrankungen außerhalb von COVID-19 die ein Intensivbett benötigen, kommen unter die Räder.

Laut einem Wiener Arzt ist die momentane Situation: 100 Prozent Covid-19-Patienten, der Rest wird nach hinten gereiht.
Genau das ist es, was wir auch nicht einsehen. Auch dass die Politik dieses Problem so fadenscheinig umschifft, finde ich inakzeptabel. Denn Patienten mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder Autounfall, die ein Intensivbett brauchen, haben nicht die gleichen Chancen wie vor zwei Jahren, weil die Kapazitäten und Ressourcen nicht mehr da sind. Die große Herausforderung ist die Menge.

Kann es passieren, dass Sie Patienten selektieren müssen oder werden diese an benachbarte Spitäler ausgelagert?
Genau das ist es, was wir auch nicht einsehen. Auch dass die Politik dieses Problem so fadenscheinig umschifft, finde ich inakzeptabel. Denn Patienten mit Herzinfarkt, Schlaganfall oder Autounfall, die ein Intensivbett brauchen, haben nicht die gleichen Chancen wie vor zwei Jahren, weil die Kapazitäten und Ressourcen nicht mehr da sind. Die große Herausforderung ist die große Menge an COVID-19 Patienten, die nun für die gleiche Anzahl an Intensivbetten dazukommt. Das kann sich nur sehr schwer ausgehen. 

Dieses System funktioniert noch?
Ja, es funktioniert noch. Jüngst hatten wir beispielsweise wieder fünf Anfragen für unsere Covid-IntensivStation, was sich aber akut nicht ausgeht, da wir nur vier freie Plätze hatten. Andere Intensivstationen haben uns in dem Fall akut ausgeholfen und drei der Patienten sind letztlich jetzt bei uns. Ein positiver Nebeneffekt der Pandemie ist aber, dass sich die Kooperation der Spitäler im Land Salzburg wesentlich verbessert hat. 

Vor allem im Vergleich zu den ersten Wellen?
Genau, vor allem auch deswegen, da es zu dieser Zeit auch nicht notwendig war. Jetzt gibt es eine Videokonferenz um 08:30 Uhr, bei der auf Augenhöhe miteinander das weitere Vorgehen bzw. Verlegungen und planbare Aufnahmen abgesprochen wird. 

Glauben Sie, dass der politische Weg, der Lockdown für Ungeimpfte, der richtige ist?
Nein, das glaube ich nicht! Ich persönlich glaube, dass man entweder 2G, FFP2-Maske und Testungen einführen muss, um das öffentliche Leben erhalten zu können. Testungen sind deshalb so wichtig, da auch Geimpfte, auch wenn sie asymptomatisch sind, das Virus übertragen können. Die Impfung hilft und ist wichtig, um die Bevölkerung vor dem schweren Krankheitsverlauf aber auch die Intensivstationen zu schützen. Geimpfte werden zwar auch krank, die Impfung schützt aber eben vor einem schweren Verlauf. Daher glaube ich auch, dass der Lockdown der Ungeimpften nichts bringt, da dies auch viel zu wenig kontrolliert werden kann, denn wenn man davon ausgeht, dass 40 Prozent der Salzburger Bevölkerung nicht geimpft sind, kann man sich ausrechnen, wie viele Personen laufend kontrolliert werden müssten. 

Hat es Ihrer Meinung nach die Politik verabsäumt, die Menschen auf den Herbst vorzubereiten?
Ja, absolut. Bereits im August gab es bereits Überlegungen zur Auffrischungsimpfung/Drittimpfung – aber die Datenlage war hierzu noch etwas dürftig. Ich kann natürlich verstehen, dass man ohne vorhandene Daten nicht drauflos impfen möchte, man kann natürlich keine Impfung empfehlen, wenn keine Daten vorhanden sind. Aber Israel hat das gut vorgezeigt wie es denn mit einer hohen Durchimpfungsrate gehen könnte, und waren bereits wieder bei einem „normalen öffentlichen Leben“. Die Österreicher kann ich hinsichtlich ihrer Impffaulheit nicht verstehen.
 

"Meist sage ich Ungeimpften, dass ihr Verhalten asozial ist".

Was sagen Sie einem Menschen, der sich nicht impfen lassen möchte?
Wenn man bei Ungeimpften nachfragt, hört man ganz oft die Begründung „das ist mein Recht, ich lass mir nichts Unüberprüftes impfen“. Man muss allerdings schon dazu sagen, dass es so viel Forschungen und Studien zu diesem Impfstoff in vorigen Wellen nicht gegeben hat. Es gibt kaum so gut erforschte und erprobte Impfstoffe.

Meist sage ich denjenigen, dass dieses Verhalten asozial ist. Auch Sie haben gegenüber der Gesellschaft Verantwortung. Einige sagen ja auch, dass sie lieber die Erkrankung bekommen, anstatt sich impfen zu lassen, was ich überhaupt nicht verstehe, vor allem mit Blick auf Long-Covid und dem Risiko, an dieser Krankheit zu sterben. Das Virus mutiert weiter und wir bekommen so das Virus aus der Gesellschaft nicht los. Auch die Folgen für die Wirtschaft haben sie selbst in der Hand.

"Eine gewisse Verzweiflung wird auch kommen, wenn die Teams auseinandergerissen werden, was in den nächsten Schritten auch passieren kann. Die Qualität wird darunter leiden und es handelt sich dann eher um „Kriegsmedizin“.

Ist der Mangel an Pflegekräften auch ein Problem?
Genau, uns fehlen Mitarbeiter, die die Arbeit am Patienten tun, was nicht in den direkten Aufgabenbereich der Ärzte fällt. Daher ist auch der Zusammenhalt im Team so wichtig. Eine gewisse Verzweiflung wird auch kommen, wenn die Teams auseinandergerissen werden, was in den nächsten Schritten auch passieren kann. Die medizinische Behandlungsqualität wird darunter leiden und es handelt sich dann im Extremen eher um „Kriegsmedizin“. Was die Österreicher anscheinend so wollten, oder es wurde noch nicht eindrücklich genug kommuniziert.

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Dr. Clemens Seelmaier: "Triage gibt es bei uns derzeit noch nicht, wird aber bereits im Hintergrund geplant. Wenn es so weit kommt, denke ich, dass Verzweiflung und Motivationsknicke kommen werden." | Foto: Uniklinikum Salzburg (SALK)
Uniklinikum Salzburg
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