Eine wahre Schachgeschichte in dichterischer Form
Der Schlüssel zum Mozart
- hochgeladen von Peter Krug
"Das Gedicht ist wie ein Herbstblatt. Nicht ich entscheide, wohin es fällt." Peter Krug
Der Schlüssel zum Mozart
Mit zwölf, dreizehn fand ich das Brett –
64 Felder, ein Universum aus Elfenbein und Ebenholz,
wo ich König war, obwohl ich nichts besaß.
Im Café Mozart, zwischen Duft von Mokka und Zigaretten,
spielte ich um Schillinge, um Blicke, um Anerkennung,
gegen Männer mit Uhren und geregelten Leben.
Ich war noch keine sechzehn,
schon stark genug für 2100-Elo-Seelen,
doch Armut sperrte mich aus den Clubs,
aus Turnieren, aus allem, was Beständigkeit hieß.
Abgestellt wie ein Koffer im Kolpinghaus,
von Monika Mittermayr vergessen,
hungerte ich in Wellen,
die mir die Knochen bleichten.
Da kam der Hermann Hamberger, der Salzburger Schachunterhalter,
zeigte Sam Loyd-Stellungen, verblüffende Wunder,
und weckte in mir den Komponisten.
Im Bett, auf bloßer Matratze,
ohne Brett, ohne Figuren,
ersann ich mein erstes Matt in Zwei,
einen Zugwechsel,
während der Magen sich selbst fraß.
Dann Henri Prodinger –
tausend Schilling auf dem Tisch,
keine Uhr, nur die Nacht.
Wir spielten bis die Lichter erloschen,
der Kellner sperrte zu,
vergaß uns im Dunkel.
Ich hatte ihn schon matt im Geiste,
da spuckte er betrunken aufs Brett,
warf Figuren um,
taumelte spastisch,
und meine tausend Schilling zerplatzten wie Seifenblasen.
Die Tür verschlossen.
Ich fand den Ersatzschlüssel bei der Kuchenvitrine.
Henri stolperte heim.
Ich behielt das Metall.
Nacht für Nacht schlich ich aus dem Kolpinghaus,
durch leere Gassen,
sperrte das Mozart auf,
stieg die Treppe hoch,
nahm mir nur wenig –
ein Stück Sachertorte, einen Apfelstrudel –
genug, dass der Hunger schwieg.
Dann wieder zu,
als wäre nichts gewesen.
Monate lang.
Kein Mensch merkte es.
Eines Tages warf ich den Schlüssel in die Salzach,
aus Angst, erwischt zu werden.
Der Hunger kam zurück,
brüllender als je.
Sommer. Getreidegasse voll Touristen.
Ich sah das offene Fenster im ersten Stock.
Kletterte hoch,
wie eine Katze,
aß,
kletterte raus.
Wieder und wieder.
Bis die Gasse einmal zu voll war,
ich drinnen gefangen,
wie in einer Falle, die ich mir selbst gestellt.
Fand ein anderes Fenster,
im Innenhof.
Sprang – fünf, sechs Meter –
auf hartes Pflaster.
Kein Knochen brach.
Ein Wunder.
Doch die Hoftore verschlossen.
Ich kauerte bis sechs Uhr morgens,
versteckt zwischen Mülltonnen,
bis der erste Lieferant kam.
Rannte zurück ins Kolpinghaus,
wusste: Jetzt ist Schluss.
Danach nur noch Bett.
Wochen.
Ein Monat fast ohne Brotkrume.
Abgemagert bis auf die Seele.
Kein Freund. Kein Mensch.
Nur ich und das unsichtbare Brett.
Im Fieber komponierte ich weiter –
Matt in Drei, Zugwechsel, Studien
während der Tod schon neben mir saß
und zusah. Der Morgen war kalt und nüchtern.
Zerbrochen. Zerbrochen.
"Nur mein Instinkt, dass ich zu mehr fähig sein könnte, als zu verhungern hielt mich am Leben.“
Hinweis des Autors:
Dieses Gedicht, basierend auf meiner wahren Schachgeschichte, ist urheberrechtlich geschützt. Die vollständige oder auszugsweise Veröffentlichung sowie die Verwendung von Textteilen sind ohne meine ausdrückliche, schriftliche Zustimmung (Peter Siegfried Krug, FIDE Meister in der Schachkomposition) nicht gestattet.
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