Digitales Gedenken: "Grüne Winkel" und "Weibern" (OÖ)

- "Aufschrei 10:17 Uhr", 2015, Tusche auf Papier, 48 x 36cm; copyright: Konstanze Sailer
- hochgeladen von Beate Pichler
„Memory Gaps ::: Erinnerungslücken“, die Kunst-Initiative von Konstanze Sailer gedenkt NS-Opfern mit Ausstellungen in oberösterreichischen Straßen, die es geben sollte.
Die sogenannten „Grünen Winkel“ stellten die widersprüchlichste und inhomogenste Kategorie innerhalb der Gruppen von KZ-Häftlingen dar. Zusätzlich zu tatsächlichen Kriminellen konnten unter dem perfiden Vorwand der „Kriminalitätsvorbeugung“ wahllos Menschen in Konzentrationslager deportiert und mit grünen Winkeln stigmatisiert werden. Einige der sogenannten „Grünwinkler“, oftmals ehemalige Straftäter, kooperierten mit der SS und den Wachmannschaften und wurden von diesen als „verlängerter Arm“, als brutale und rücksichtslose Lageraufseher eingesetzt bzw. missbraucht. Vordergründig betrachtet wurden in den Konzentrationslagern nur sogenannte „Berufsverbrecher“ mit grünen Winkeln, den Stoffdreiecken auf ihrer Häftlingskleidung gekennzeichnet.
Antonia Hamedinger (* 11. Juni 1897 in Tyczyn, Polen; † vermutlich 1942 im Konzentrationslager Ravensbrück) kam 1913 nach Wien, um die Handelsschule zu besuchen. Ihre Familie wurde im Ersten Weltkrieg getötet, Antonia verließ als jüdischer Flüchtling Wien und zog nach Oberösterreich, wo sie nach dem Tod ihres Ehemannes 1933 als Alleinerzieherin mit zwei Kindern als Köchin, Haushälterin und Ziegelei-Arbeiterin lebte. Im oberösterreichischen Ort Weibern wohnhaft, wurde sie 1941 unter dem nicht verifizierten Vorwand der Beihilfe zur Abtreibung in „Schutzhaft“ genommen, und als „Befristeter Vorbeugehäftling“ in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert und mit einem grünen Winkel stigmatisiert. Ihre Registrierung am 11. Sept. 1942 unter der Häftlingsnummer 13931 ist der nach gegenwärtigem Stand der Häftlingsdokumentation letzte Eintrag. Vermutungen legen nahe, dass Antonia Hamedinger 1942 entweder im KZ-Ravensbrück oder im KZ-Auschwitz ermordet wurde.
Bis zum heutigen Tag existiert in Oberösterreich keine Straße, die ihren Namen trägt. Hingegen sind nach Richard Billinger heute noch in Schärding sowie in mehreren weiteren oberösterreichischen Orten Straßen benannt; in Billingers Geburtsort, St. Marienkirchen bei Schärding, trägt sogar eine Volksschule seinen Namen. Billinger war Schriftsteller, der als homosexueller Künstler zwar selbst die NS-Verfolgung fürchtete, sich jedoch als NS-Mitläufer ab 1933 überaus erfolgreich in München und ab 1935 auch in Berlin als Dichter, Dramatiker und Drehbuchautor etablierte. Anstelle von Richard Billinger sollte künftig zumindest in einer der Gemeinden Oberösterreichs an Antonia Hamedinger erinnert werden.
Die Kunst-Initiative der Malerin Konstanze Sailer wird zum Gedenken an die Opfergruppe der „Grünen Winkel“ mit einer weiteren Ausstellung von Tuschen auf Papier in virtuellen Räumen eröffnet. Die Galerien befinden sich ausnahmslos in Straßen oder an Plätzen, die es nicht gibt, die es jedoch geben sollte: Solche mit Namen von Opfern der NS-Diktatur. Monat für Monat wird so das kollektive Gedächtnis erweitert. Monat für Monat werden damit Erinnerungslücken geschlossen.
„Memory Gaps ::: Erinnerungslücken“ zeigen eine Auswahl aus tausenden Tuschen auf Papier aus zehn Jahren. Sie stellen Schreie und Aufschreie von Opfern dar. Zum schmerzerfüllten Aufschrei geöffnete Münder und Kiefer. Abstrakte Darstellungen von Schreien in Ghettos, Konzentrationslagern und NS-Tötungsanstalten – gemalte Erinnerungskultur. Seit drei Jahrzehnten arbeitet die aus Heidelberg stammende und in Wien lebende Künstlerin zu den Themen Antlitz, Schädel und Tod. Tusche auf Papier wurde als Technik gewählt, um der "Filigranität" jener „Papierfetzen“ nachzuempfinden, auf denen in Konzentrationslagern inhaftierte Künstler – zumeist im Geheimen – ihre Kunstwerke herstellten.
Memory Gaps ::: Erinnerungslücken - Ausstellung März 2016
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