Venzone : Hohe Wohn- und Lebensqualität

Text und Fotos: Franz Waditzer

Vielen, die auf der Autobahn durch das Val Canale und den Canal del Ferro hinunter zum Meer rasen, entgehen die Kostbarkeiten, Kleinode und Köstlichkeiten des Landes. Ihnen entgehen Einblicke auf soziokulturelle Strukturen, auf Land und Leute im modernen Friaul

Wer die Strada Statale 13 (SS 13) von Tarvis nach Süden fährt, hat Einblick in die kleinen Dörfer im Kanaltal und im Canal del Ferro und trifft, wenn er die beiden Täler und ihre räumliche Enge hinter sich läßt, auf helles, weites Land und auf die mächtigen Stadtmauern von Venzone (furlanisch: Vençon), die den mittelalterlichen Stadtkern umschließen.
1258 ließ die Familie Mels die doppelten Stadtmauern und den Festungsgraben errichten. Dieses Befestigungssystem und die Altstadt blieb erhalten und wurde 1965 zum nationalen Kulturerbe erklärt.

Am 6.Mai 1976 erschütterte ein Erdbeben Friaul und überraschte viele Einwohner Venzones. Einige schafften es nicht mehr ins Freie. Venzone beklagte 47 Todesopfer, fast 1000 das gesamte Friaul. Venzone war schwer getroffen.
Seit Mai und während des ganzen Sommers hat die Bevölkerung den ständigen zermürbenden Erdstößen Stand gehalten.
Ein Nachbeben am 15.September 1976 löschte die Altstadt, die Mauern und den Dom dann vollends aus. Zehntausende Friulaner flüchten in einem endlosen Zug auf der Strada Statale gegen Süden und werden in den Adriaorten vorübergehend untergebracht.

“Das Erdbeben vom 6. Mai hat das Friaul zerstört; das Erbeben im September hat die Friauler zerstört."

Das erste Erdbeben hat zwar Häuser zerstört, ließ aber noch Hoffnung; das zweite hat auch die Hoffnung zunichte gemacht,” sagte der Erzbischof von Udine, Alfredo Battisti.

Aber schon 1977 hatten beinahe alle Einwohner des Stadtzentrums von Venzones (vereint in einem Bürgerkomitee) für einen perfekten Wiederaufbau des mittelalterlichen Ortes beim Ministerium für Kultur- und Umweltgüter eine Petition eingebracht. Jedoch lag auch eine zweite Eingabe am Tisch des Ministeriums: Das Baubüro der Gemeinde schlug einen Wiederaufbau mit Fertigteilbau-Elementen, wie in vielen Orten der betroffenen Region, vor. Die Einwohner setzten sich Gott sei Dank durch. Stein für Stein erfolgte unter Aufsicht des Ministeriums für Denkmalschutz die perfekte historische Rekonstruktion des mittelalterlichen Stadtbildes, des Doms und der Stadtmauer.

Venzone ist heute ein nachhaltig belebter Ort mit der wunderschönen Piazza del Municipo und beschaulichen Gässchen und Hinterhöfen. Gastronomisch empfehlenswert ist das Caffe Vecchio auf der Piazza . Die Speisekarte wird uns hier immer mündlich vorgetragen. Die Küche ist sehr gut und viele Einheimische, Arbeiter und Militärangehörige vom nahen Stützpunkt nehmen sie in Anspruch. Der Cafe an der Bar schmeckt perfekt, die Speisen werden in schönen Räumen im rückwärtigem Bereich des Gebäudes serviert.

Wer durch die Altstadt geht, die kleinen und kleinsten Innenhöfe und Gassen durchmisst, der sieht hohe Wohn- und Lebensqualität, schöne Arkaden, schönen Blumenschmuck, schattige Plätze, und der fühlt hier, wie auch im benachbarten Gemona, einen ungewöhnlichen Hauch von menschlicher Tiefe, von froher, aber nicht überschäumender Lebensfreude, die sich seit Jahrzehnten beständig im Ort hält und den Katastrophen der Siebziger Jahre geschuldet ist.