Kräutermärchen
DIRNDLKIRSCHE. Märchen und Geschichten für Kinder, Kindsköpfe und Kind gebliebene - Teil 112

Als ich gestern mit meiner kleinen Tochter eine Radtour unternommen habe, merkten wir, dass die Dirndlkirschen schon reif sind. Einige von ihnen sind schon vom Strauch gefallen, der Rest ist dunkelrot und weich - perfekt zum Verarbeiten. Sie ergeben einen feinen Likör. Auch Dirndlmarmelade und Dirndlsaft sind wärmstens zu empfehlen. Wer die Kornelkirsche nicht selber verarbeiten will, bekommt jetzt die Köstlichkeiten aus der Dirndlregion Pielachtal sogar im Supermarkt. 

Während ich mich noch  eingehend mit einer möglichen Verarbeitung der Dirndlkirsche beschäftigt und über ihre Heileigenschaften nachgedacht habe (Dirndlkirschen gelten als kühlend, zusammenziehend und stopfend. Die Früchte aß man auch zur Stärkung des Verdauungssystems und zur Behandlung von Durchfall), ist mir die folgende Geschichte eingefallen.

S' Dirndl

Der alte Matthias streifte bedachten Schrittes über die Alm. Er war auf der Suche nach einem Lämmchen, das sich verlaufen hatte. Was er nun hörte, gehörte keinem Lämmchen. Das war eindeutig das Weinen eines Babys. Perplex eilte er zum Dornengestrüpp hinüber, dort wo sie die neue Eisenbahn gebaut hatten. Tatsächlich! In den spitzen Zweigen des Strauchs hatte sich ein Säugling verfangen, der fest in einen Wickelpolster geschnürt war. Mit einer Sanftheit, die man den groben Händen des Senners nicht zugetraut hätte, befreite er das plärrende Bündel aus dem Gestrüpp. Als er es sanft in seinen Armen wiegte, ratterten die Gedanken wie ein Güterwagon durch seinen Kopf. Wo war nur die Mutter? Wer um alles in der Welt ließ sein eigen Fleisch und Blut in einem Dornengestrüpp hängen? Als er sich weiter umsah, fügte sich plötzlich alles wie ein Puzzle zusammen. Das Zugunglück heute morgen! Die Mutter musste das Kind aus dem Fenster geworfen haben, bevor sie mit dem Zug in den Abgrund stürzte. Angeblich keine Überlebenden... außer... das hier!

Das Kindlein hatte wieder zu schreien begonnen. Sein kleines Köpfen war puterrot. Schnell machte sich Matthias auf zu seiner Hütte. Er musste versuchen, dem Kleinen etwas gewässerte Ziegenmilch einzuflößen. Die Tage vergingen und das Kind, das sich als kleines Mädchen entpuppte, begann sich sichtlich zu erhohlen. Gott sei Dank! Es schien die Ziegenmilch zu vertragen. Ein Hinweis wem das Mädchen gehörte, war allerdings nicht zu bekommen. Es befand sich zwar ein kleiner Zettel im Wickelpolster. Die Namen auf der Rückseite waren jedoch  nur schwer zu entziffern. Elisabeth Luisa Lü...  . Der Rest war zu verschmiert um etwas zu erkennen. Eigenartiger Weise befand sich auf der Rückseite ein Rezept. "Dirndlschnaps zum Kurieren von Durchfallerkrankungen und zur Stärkung der Abwehrkräfte" war die Überschrift. 

Matthias schnürte sich das kleine Bündel um und machte sich auf den Weg ins Dorf hinunter. Die Frau des Bürgermeisters, die eine alte Schulfreundin war, würde sicher etwas über die Angehörigen der Kleinen in Erfahrung bringen können. Als sich jedoch die Tage zu Monaten aus wuchsen und sich noch immer keine Verwandten meldeten, beschloss Matthias, das kleine Dirndl, wie er sie nannte, an Enkel statt bei sich aufzunehmen. 

Jetzt erst wurde dem alten Senner bewusst, wie einsam sein Leben gewesen war. Mit seinem Dirndl brachte jeder Tag ein neues Abenteuer. Sie war gescheit, hatte ein sonniges Gemüt und brachte, als es älter wurde, ständig  neue Pflänzlein mit nach Hause, deren Wirkungsweise es erkunden wollte. Außerdem hatte das Dirndl ein besonderes Händchen für Tiere. Die einsame kalten Schale um das Herz des alten Hirten, die ihn zu einem griesgrämigen Menschenfeind gemacht hatte, sprang mehr und mehr ab. Matthias wurde umgänglich, er hatte wieder zu lieben gelernt. 

"Ich bin krank, eröffnete er seinem Dirndl eines Tages. "Weiß nicht wie lange mir der Herrgott noch schenken wird! Wenn mit mir etwas ist, dann geh hinunter ins Dorf und sprich mit der Bürgermeisterin. Sie wird dir einen guten Platz finden, wenn ich nicht mehr bin."  Dann erzählte er ihr nochmals die Geschichte, wie er sie damals gefunden hatte. "Hier, nimm den Zettel auf dem deine Namen gekritzelt sind. Vielleicht wirst du ihn noch einmal  brauchen. Vorne steht das Geheimrezept vom Dirndl-Schnaps. Als Medizin hat es uns schon oft gute Dienste geleistet. Es stammt von deinen Eltern." S' Dirndl weinte und konnte nicht glauben, dass es den einzigen Menschen verlieren sollte, dem sie je wichtig war. Doch das Schicksal war grausam. Schon am nächsten Morgen sollte der alte Matthias die Augen nicht mehr aufmachen. Leise war er in eine andere Welt gegangen. 

Die Frau Bürgermeisterin nahm s' Dirndl freundlich auf. Mitleidig sah sie es an und überlegte, wie sie dem Mädchen helfen könnte. Selber hatte sie im Moment keinen rechten Platz für sie. Da kam ihr eine Idee und sie musste ein Grinsen unterdrücken.  "Du scheinst mir schon sehr vernünftig und kräftig liebes Dirndl. Ich denke ich werde den Doktor Lütgenstein überreden, dich bei ihm in den Dienst zu nehmen. Er ist zwar alt und grantig, aber wenn man bedenkt, was du beim alten Matthias bewirkt hast... . Jedenfalls hat der Doktor ein gutes Herz und ich finde er kann etwas frischen Wind im Haus  gebrauchen!" 

Schweren Herzens betrat s' Dirndl das große ehrwürdige Stadthaus des Doktors. Wie anders ihr neues Zuhause doch war. Plötzlich sehnte sie sich so nach der Alm und ihren Wiesen, dass sie meinte es müsse sie inwendig zerreißen. Der Doktor machte ihr Angst, so kalt und grantig wie er war. Doch bald merkte sie, dass er die selbe Maske trug wie einst Matthias und sie beschloss, auch ihn zu heilen. Mutig sprach sie ihn an. Brachte ihm immer wieder neue Pflanzen mit, die sie im Park hinter dem Haus fand und diskutierte mit ihm über ihre Heilkraft. 

Die Redseligkeit des fremden Kindes ärgerte den alten Mann. Sie wusste so viel zu erzählen, über die Alm und Großvater Matthias, dass ihn weder anging, noch wollte er es hören. Weil das Dirndl aber trotzdem flott seine Arbeit verrichtete und auch noch einen sehr wachen Geist besaß, ließ er es gewähren und fand  mit der Zeit sogar Gefallen an dem fremden Mädchen. 

Natürlich war das Almmädl sehr einfach gestrickt. Redete ständig von Pflanzen und wollte ihm, dem erfahrenen Wissenschaftler erklären, wie man  diese als Medizin anwendete. Aber mit der Zeit kostete ihn das ganze sogar ein Lächeln, denn das Kind erinnerte ihn zunehmend an seine verstorbene Tochter. 

Lange hatte er die Erinnerung an sie aus seinen Gedanken verbannt. Zu schmerzvoll war ihr Verlust für ihn gewesen. Elisabeth war sein einziges Kind gewesen. Sie vergötterte ihren Vater, wollte wie er Medizin studieren. Der Doktor ließ sie gewähren, auch wenn sich das für eine Frau nicht schickte. Doch dazu musste sie fort, allein in eine Fremde Stadt. Wenn sie in den Ferien heimkam, führten sie viele Diskussionen. "Du behandelst nur Symptome, Vater! Medizin braucht eine ganzheitliche Sichtweise! Wir müssen die alten Schriften über Pflanzen und ihre Wirkungsweisen erforschen, auch die Psyche des Menschen darf man nicht außer Acht lassen!" Der alte Arzt nahm ihre Rede nicht so ernst. Auch wenn sie seine Tochter war,  war sie doch nur eine Frau..."

Als er ihr das im Streit an den Kopf warf, brach sie den Kontakt ab. Schloss ihn aus ihrem Leben aus. Es schmerzte und verbitterte ihn. Oft schloss er sich in seinem Arbeitszimmer von der Außenwelt ab. Drei Jahre später flatterte ein Brieflein ins Haus. "Lieber Vater! Es tut mir leid, dich so vehement aus meinem Leben gerissen zu haben. Bitte verzeih mir! Ich möchte dich am 21. des Nächsten Monats besuchen - mit meinem Mann und meiner kleinen Tochter. Mein Mann ist Apotheker und wird dir schon noch beibringen, wie wertvoll auch Pflanzen auf den Menschen wirken können. Unsere Kleine ist allerliebst. Du wirst eine große Freude an ihr haben."

Die alte Wunde sollte jedoch noch tiefer aufgerissen werden. An jenem 21. wartete der Doktor vergebens am Bahnsteig. Er war zutiefst enttäuscht. Wollte ihr schreiben wie niederträchtig er ihr Handeln fand, da fiel ihm ein Zeitungsbericht über das Zugunglück in die Hände. Keine Überlebenden stand da in dicken eiskalten Lettern. 

Der Schmerz fuhr ihm durch alle Knochen, sodass er ihn auch physisch spüren konnte. Von jenem Tag an schloss er  alle Türen. Lütgenstein wurde zu einem einsamen alten Mann. 

"Herr Doktor, Herr Doktor! Sie glauben nicht, was ich hinten in der Hecke im Park gefunden habe!" Vor lauter Freude hatte das Dirndl völlig vergessen, dass sie nur eine Dienstbotin war, und keinesfalls wie eine Wilde durch die Villa stürmen durfte. "Da hinten ist ein Dirndlstrauch, der ist voller roter reifer Beeren! Darf ich sie pflücken und verarbeiten? Darf ich?!"  Der Doktor wollte sie schon zurechtweisen und scharf rügen - da sah er das Strahlen in ihrem Gesicht. "Pflücke die Kornelkirschen und bring sie in die Küche. Du kannst daraus machen, was du willst. Im Park verfaulen sie ohnehin nur."

Wenig später musste der Doktor verreisen. Als er zurückkam, war er an einem hartnäckigen Virus erkrankt. Er litt an einem schlimmen Durchfall, der durch nichts zu besiegen zu sein schien. Natürlich kamen die besten Ärzte ins Haus. Trotzdem verfiel der alte Mann zusehends. In einem unbemerkten Augenblick schlüpfte das Dirndl ins Krankenzimmer ihres Dienstherrn. Es machte sich große Sorgen. Ihr Arbeitgeber war der einzige Mensch, den sie jetzt auf der Welt hatte. S' Dirndl war froh, dass sie kürzlich "Mutters Geheimwaffe" wie sie ihre Dirndlmedizin liebevoll nannte, angesetzt hatte. Sie müsste gerade fertig geworden sein. 

"Trinken's das, Herr Doktor!" befahl s' Dirndl wie ein General. Sie sehen doch, dass alles andere nicht wirkt!" Schwach schlug der alte Arzt die Augen auf. Seine Worte blieben ihm im Hals stecken und seine Kehle wurde noch trockener. Fantasierte er im Fieberwahn? Die Entschlossenheit, die er in den Augen dieses Mädchens sah, war dieselbe, die er in den Augen seiner Tochter gesehen hatte - damals, als sie ihn im Streit verließ... . So, als kämen sie von derselben Quelle... . Schon flößte ihm das Mädchen ihre Medizin ein und er fiel in einen tiefen traumlosen Schlaf. 

Am nächsten Morgen waren die Ärzte sprachlos. Sie hatten den Doktor aufgegeben und jetzt schien Lütgenstein über dem Berg zu sein?! "Wir wissen, was geholfen hat" dachte das Dirndl und zwinkerte ihm zu, als es frische Tücher und etwas Tee mit Zwieback brachte. 

"Hast du das Rezept mit der Kornelkirschen-Medizin auch von deinem Großvater?" fragte der Doktor, als er wieder zu Kräften gekommen war. "Nein, dieses nicht" hauchte das Mädchen ernst und beschloss, dem Doktor ihre Geschichte zu erzählen. "Matthias war nicht mein leiblicher Großvater. Er hat mich in einem Dornengestrüpp gefunden, damals...". 

Dem sonst so stoischen Mann liefen die Tränen über die Wangen. Konnte es wahr sein? Konnte das Dirndl tatsächlich das Kind seiner Tochter Elisabeth sein? "Wie lauten eigentlich deine Taufnamen? Alle rufen dich nur s' Dirndl...". Wie ihr Matthias damals geheißen, zeigte sie ihm den Zettel, der in ihrem Wickelpolster gesteckt war. Da wusste der alte Mann, dass ihm das Schicksal eine zweite Chance beschert hatte. Die Handschrift auf dem Zettel war eindeutig die seiner verstorbenen Tochter Elisabeth.

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