Hebamme: „Geburt und Tod sind für uns die sensibelsten Themen“
TULLN/KLOSTERNEURBURG (wp). Anna Maria Koch pendelt als mobile Hebamme zwischen Tulln und Klosterneuburg und bei Bedarf auch in den Bezirk St. Pölten oder nach Wien. Sie hat unzähligen Kindern auf die Welt geholfen und kennt Freud und Leid der Mütter.
BEZIRKSBLATT: Frau Koch, welche Erkenntnis haben Sie als langgediente Hebamme?
ANNA MARIA KOCH: „Dass das Leben ein unglaubliches Geschenk ist. Es ist weder mit Geld käuflich noch durch hochtechnologisierte Medizin garantierbar. Wir werden auch in vielen hunderten Jahren das Schicksal des Todes nicht vermeiden können.“
BEZIRKSBLATT: Frauen, die eine Fehlgeburt hinter sich bringen, werden vor dem Gesetz anders behandelt als jene, die lebendig gebären. Warum?
KOCH: „Die Zuwendung durch die Gesellschaft an eine Frau, die ein Kind lebend auf die Welt bringt, ist tatsächlich wesentlich größer als für jene, die eine Fehlgeburt hatten. Ich verstehe diese Wertigkeit nicht. Eine schwangere Frau erwartet Leben. Wenn das nicht gelingt, kann sie auch nichts dafür, sollte aber genauso behandelt werden. Mutter ist Mutter.“
BEZIRKSBLATT: Ab wann ist ein Mensch ein Mensch?
KOCH: „Manche glauben, erst wenn das Kind den Kindergarten besucht, erhält es Persönlichkeit. Aber ich bin der Meinung, dass schon das Ungeborene, also bereits nach der Zeugung, ein Mensch ist, und dass hier schon die Bildung einer eigenständigen Persönlichkeit beginnt. Auch die Beziehung eines Kindes zu seiner Mutter beginnt ja bereits in den ersten Wochen der Schwangerschaft.“
BEZIRKSBLATT: Ist es nicht sehr hart, wenn eine Frau, die, wie Sie sagen, bereits eine Beziehung zu ihrem (ungeborenen) Kind hatte, dieses bei einer Fehlgeburt verliert und gleich wieder arbeiten gehen sollte, ohne Mutterschutz und Zeit für Trauerarbeit?
KOCH: „Trauerarbeit ist etwas sehr Individuelles. Für die einen ist es gut, wenn sie rasch wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden, die anderen brauchen Ruhe. Aber grundsätzlich gilt: Ein Trauma – und eine missglückte Geburt löst ein solches aus – gehört aufgearbeitet. Man muss wieder Selbstvertrauen gewinnen. Ich rate im Fall einer Fehlgeburt zu professioneller Hilfe etwa durch Psychologen, Seelsorger, Krankenhäuser, Mütterstudios, Caritas, Trauerbegleitung.“
BEZIRKSBLATT: Wird das Thema Fehlgeburt tabuisiert?
KOCH: „Der Einstieg ins und der Ausstieg aus dem Leben, also Geburt und Tod, sind grundsätzlich die sensibelsten Themen für uns Menschen. Sich damit auseinanderzusetzen bedeutet mitunter Scheu abzulegen. Aber irgendwann muss sich jeder damit beschäftigen.“
Interview: Werner Pelz
"Geburt und Tod sind für uns die sensibelsten Themen", meint Hebamme Anna Maria Koch.
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