"Diese Arbeit ist großartig, aber sie geht an die Substanz"
Martin Taupe, Leiter der beiden Flüchtlings-Transitquartiere in Villach, gewährt erstmals Einblicke in die beinharte Arbeit der vielen Helfer.
VILLACH (kofi). "Und hier schlafen im Vollbetrieb 300 Flüchtlinge." Martin Taupe hat die Tür zur Halle in Villach-Auen aufgesperrt und ist zur Seite getreten. Der Blick fällt auf ein Massenquartier. Feldbett an Feldbett, auf jedem eine blaue Einweg-Kunststoffdecke. Abgesehen von den Notschlafplätzen ist die Halle leer.
Seit Tagen sind keine neuen Flüchtlinge mehr über Slowenien nach Kärnten gekommen, die hier in Villach einmal übernachten und dann Richtung Deutschland weiterreisen. "Wir wissen nicht, warum derzeit niemand auf dieser Route unterwegs zu sein scheint", sagt Taupe: "Vielleicht ist das Mittelmeer zu stürmisch, um überzusetzen. Vielleicht wird an der mazedonischen Grenze härter kontrolliert."
Er jedenfalls sei mit seinem Team bereit. Binnen weniger Stunden könne die Halle wieder voll in Betrieb genommen werden.
Dauereinsatz
Seit Mitte September ist Taupe, 50, Offizier beim Roten Kreuz, als Leiter der beiden Villacher Transitquartiere in der Auen und in der Seebacher Allee de facto im Dauereinsatz. Mit 120 hauptberuflichen und freiwilligen Rotkreuz-Helfern und der Unterstützung von Samariterbund, Caritas, der Stadt Villach, dem Hilfswerk und dem Verein Together hat man bis heute mehr als 20.000 Flüchtlinge betreut.
Zwischen sechs und 24 Stunden bleiben die Menschen in Villach. "Wir versorgen sie mit Essen, Duschen, WC-Anlagen, einem trockenen Schlafplatz und medizinischer Hilfe", sagt Taupe. Manchmal sei sogar eine Schusswunde zu versorgen, oder die Folge einer Granatsplitterverletzung: "In den meisten Fällen geht es aber um Erkältungen oder um Fußverletzungen in Folge langer Märsche in schlechtem Schuhwerk."
Tiefe Spuren
Die vergangenen Monate haben auch bei den Villacher Helfern tiefe Spuren hinterlassen. Martin Taupe hat in zweieinhalb Monaten acht Kilogramm abgenommen, Schlaf hat er zeitweise schwer gefunden: "Der Film in meinem Kopf rennt pausenlos: Haben wir das Klopapier bestellt? Wurde genug Reis angefordert? Habe ich den Termin mit dem Handwerker vereinbart, weil bei den WC-Anlagen ein Schaden aufgetreten ist? Diese Arbeit ist großartig, aber sie geht an die Substanz."
Seit einiger Zeit bietet das Rote Kreuz nun Supervisions-Einheiten an, in denen die Helfer sich ihre Probleme von der Seele reden können. "Eine wichtige Unterstützung", sagt Taupe. Freilich gebe es auch schöne Momente. Wenn es etwa gelinge, Familien, die auf der Flucht getrennt wurden, wieder zusammenzuführen. Die WLAN-Verbindung in den Villacher Hallen sei dafür entscheidend, die Flüchtlinge könnten sich so via Handy wiederfinden. "Da fließt dann auch bei uns Helfern die eine oder andere Träne, wenn eine Mutter ihre Kinder nach Tagen oder Wochen wieder in Händen hält."
Fakten
In Villach gibt es seit Mitte September zwei so genannte Transitquartiere: eines in der Seebacher Allee, eines in der Auen. Dort können bis zu 600 Flüchtlinge gleichzeitig – am Weg von Slowenien nach Deutschland – übernachten. Das Rote Kreuz koordiniert die Einsätze, als Chef fungiert der Villacher Martin Taupe. Bisher wurden die beiden Quartier von mehr als 20.000 Flüchtlingen in Anspruch genommen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.