Kommentar Raimund Jäger
Reden ist Silber…

Foto: RZG

Die derzeitige Diskussion um die Wortwahl heimischer Politiker, vor allem um das Wort „normal“, halte ich für abnormal überflüssig.

Ausgelöst wurde das Ganze von der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Von eigenen Stimmverlusten, einer erzwungenen Zusammenarbeit mit der FPÖ und immer radikaler werdenden rechten und linken politischen Rändern sichtlich genervt, glaubte die Wahlverliererin, mit einer anbiedernden Geste Wähler langfristig vor allem von der FPÖ zurückzugewinnen.

„Ich vertrete die Anliegenden der normal denkenden breiten Mitte der Bevölkerung – etwa beim Klimaschutz und beim Gendern“

, so Mikl-Leitner in einem schweren Koketterie-Anfall Richtung rechts. Der überflüssige Satz (…wen vertrat denn die ÖVP bislang; etwa die Radikalen?) beinhaltete das missverständliche Wort „normal“. Statt „normal“, im Duden definiert mit „vorschriftsmäßig“. „korrekt“, „richtig“, aber auch „herkömmlich“ und „üblich“, meinte Mikl-Leitner wohl eher „vernünftig“. Sagte sie aber nicht. Denn während das Gegenteil von vernünftig – unvernünftig – noch etwas kindlichen Liebreiz hat, ließ das Gegenteil von normal – also abnormal – bei der heimischen Sprachpolizei, den Grünen, ref-
lexartig alle Alarmglocken läuten.

Vielleicht erst nachdenken, was man so daherplappert

Als „präfaschistoid“ bezeichnete Vizekanzler Kogler die Aussage der Landeschefin. Der ebenfalls schwammige Begriff (in der Geschichtswissenschaft unter anderem als Radikalisierung des Konservatismus definiert) lässt punkto „normal und abnormal“ Assoziationen zum Euthanasieprogramm der Nazis zu, so man sie zulassen will. Ich bezweifle, ob Mikl-Leitner solcherlei Vergleiche überhaupt in den Sinn kamen, ein wenig Nachdenken darüber, was man so alles daherplappert, darf man als Chefin des größten österreichischen Bundeslandes aber schon.

Noch viel mehr gilt dies für den Kanzler, der es sich – auch nach Kritik des Präsidenten – nicht nehmen ließ, ein eigenes „Normalo“-Video zu veröffentlichen, in welchem er sich von jeder Form von Radikalität distanziert (und dabei etwas kindisch auf die paar wild gewordenen Klimakleber verweist) und meint, er mache „Politik für die Vielen, ohne die Wenigen zu vergessen“. Lobbyismus für die Masse also, aber wann war denn Politik je etwas anderes? Der Adressat dieser ganzen Aktion, die so genannte „schweigende Mehrheit“, macht das, wofür sie den Namen bekam und schweigt. Aber vielleicht ist sie auch nur paralysiert über so viel unerwartete Aufmerksamkeit, die da plötzlich und ungewollt über sie hereinbricht. Jaja, Reden ist Silber, Schweigen und Schreien sind Gold. Kickl, der sich schon jetzt als kommender „Volkskanzler“ feiern lässt, weiß das. Nehammer, Kogler, Mikl-Leitner und Co. offensichtlich nicht.

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