Missbrauch in Schule
Komplize von Wiener Lehrer im Verein freigestellt
Ein Lehrer soll mindestens 40 Schüler seit 1996 sexuell missbraucht haben. Nicht nur in einer Leopoldstädter Schule, sondern auch in einem Sportverein. Zwei mutmaßliche Mittäter wurden angezeigt, einer davon wurde vom Verein freigestellt.
WIEN. Der größte Missbrauchsskandal der letzten 30 Jahre in Wien zieht weitere Kreise. Ein mittlerweile verstorbener Sportlehrer soll seit 1996 mindestens 40 Schüler im Alter von elf bis 14 Jahren sexuell missbraucht haben. Bislang war keine Rede von Mittätern, doch eine neue Anzeige spricht von zwei Komplizen.
Anfang der Woche brachte ein Opfervertreter-Team eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien ein – die BezirksZeitung berichtete (mehr unten). Im Zusammenhang mit den Missbrauchsverdachtsfällen spielte offenbar ein Wiener Sportverein eine wesentliche Rolle. Dort war der Lehrer laut Medienberichten in führender Funktion tätig und brachte seine Schüler reihenweise zum Verein.
Die zwei mutmaßlichen Mittäter hatte der Lehrer zum Sportverein gebracht. Der ältere der beiden saß im Vorstand, der jüngere war zunächst Jugendreferent. Nach dem Tod des Lehrers hat der Ältere den Verein verlassen. Der Jüngere war bis Mittwochabend noch im Dienst. Laut "APA" wurde er vom Verein "bis zur Klärung der gegen ihn gerichteten Anschuldigungen freigestellt".
Mittäter war Basketballtrainer beim WBV
Am Donnerstagnachmittag wurde bekannt, dass der Wiener Basketbalverband (WBV) einen möglichen Mittäter bereits 2019 aus dem Verkehr gezogen hat, nachdem dieser sich nicht an eine Vereinbarung gehalten hatte. Wie die "APA" berichtet, soll der Mann als Basketballtrainer Burschen körperlich "unangemessen nahegekommen" sein, sagte WBV-Präsident Thomas Holzgruber. Er soll ihnen beim Duschen und Umziehen "geholfen" haben. Das habe er jedoch "aus der Basketball-Szene, von Trainern" mitbekommen, nicht aus dem Verein selbst.
Im Dezember 2018 soll, gemeinsam mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) mit dem Trainer eine Vereinbarung getroffen worden sein, die unter anderem vorsah, dass er seine "Hilfsdienste" in der Garderobe einstellte, keine körperliche Nähe mehr suchte, Kinder unter 14 Jahren nicht mehr trainierte und der Kontakt zu Jugendlichen nur mehr vereinsöffentlich erfolgte.
KJA-Leiter Ercan Nik Nafs sagte, dass es damals keine Anzeige gab, weil es "keine handfesten Beweise für ein klares strafrechtliches Fehlverhalten" gegeben habe. Später wurde der Basketballtrainer gesperrt, weil er trotz Vereinbarung nicht zu einer Männerberatung gegangen ist und auch unter 14-Jährige trainiert hat.
Jeder Schritt des Vereins wurde mit der KJA Wien abgesprochen. Die bei der Polizei abgegebene Unterlagen fanden, warum auch immer, ihren Weg zur Staatsanwaltschaft Wien jedoch nicht. Behördensprecherin Nina Bussek sagte, dass es 2016 ein Ermittlungsverfahren gegen den Mann gab. Grund: Vorwurf der geschlechtlichen Nötigung im schulischen Bereich. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt. Seit Montag wird wieder ermittelt.
Opfer wuchsen ohne Väter auf
Bei den Opfern handelt es sich um Schüler, die vor allem am Basketball-Training interessiert waren. Sie stammten vorwiegend aus zerrütteten familiären Verhältnissen und wuchsen ohne Väter auf, erzählt ein Vereinsmitglied. Die Kinder fanden in ihrem Lehrer eine männliche Bezugsperson, die sich ihrer annahm. Das gefiel auch vielen Müttern: "Teilweise haben sie ihre Kinder bei ihm übernachten lassen. Die Kinder selbst haben ihn vergöttert. Es waren Kinder, die bei ihm väterliche Zuneigung gesucht haben". Der Lehrer soll auch unentgeltlich Mathe-Nachhilfe angeboten haben.
Angeblich sei eines der Opfer vom Lehrer mit Schlafmitteln betäubt worden, der Schüler ist jedoch vorzeitig aufgewacht.
"Teilweise haben sie (die Mütter, Anm.) ihre Kinder bei ihm übernachten lassen. Die Kinder selbst haben ihn vergöttert. Es waren Kinder, die bei ihm väterliche Zuneigung gesucht haben", sagte ein Vereinsmitglied der "APA".
Zuletzt berichtete die BezirksZeitung, dass bereits 2013 eine Anzeige gegen den mutmaßlichen Täter eingelangt wurde. Er soll einen Schüler in einem Sommercamp am Wolfgangsee (Salzburg) sexuell missbraucht haben. Der Übergriff datiert aus dem Jahr 2006, damals war der Camp-Teilnehmer 13 Jahre alt. Sieben Jahre später, als ihm nach einer Therapiesitzung bewusst wurde, was im Camp bei einer Massage passierte, erstattete er Anzeige in Niederösterreich, da er in Baden wohnhaft war.
Hilfe für Betroffene
Ehemalige Schülerinnen und Schüler, die zum Fall Fragen haben, sich austauschen wollen oder psychosoziale Beratung und Unterstützung benötigen, können sie an einer der folgenden Anlaufstellen wenden:
- Schulpsychologischer Dienst: 01 525 25 - 77550 und an schulpsychologie@bildung-wien.gv.at
- Kinder- und Jugendanwaltschaft: 01 4000 85920 und an post@jugendanwalt.wien.gv.at
- Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien: 01 4000 8011 und an service@ma11.wien.gv.at
Falls du Informationen oder Hinweise hast, kannst du dich direkt an die genannte Untersuchungskommission per E-Mail unter kommission@bildung-wien.gv.at wenden. Dies geht selbstverständlich auch anonym.
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