Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs aus Expertensicht: Der "Dreißigjährige Krieg von 1914 bis 1945"

Mag. Dr. Ernst Langthalervom Institut für Geschichte des ländlichen Raumes in St. Pölten. | Foto: IGLR
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Im Beitrag zum Gedenkjahr 1914 – dem Ausbruch des 1. Weltkrieges – teilt Ernst Langthaler, Leiter des Instituts für Geschichte des ländlichen Raumes in St. Pölten, seine Einschätzungen. Bemerkenswert seine Äußerung ‚Wenn auch der Weg von Habsburg zu Hitler kein zwangsläufiger war, bestehen deutliche Verbindungspfade zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg, was manche Historiker von einem „Dreißigjährigen Krieg“ 1914 bis 1945 sprechen lässt.‘

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Bezüglich der Auswirkungen bis heute hebt er das Denken in Feindbildern hervor, das im Zeitalter der Weltkriege extrem radikalisiert wurde (so fand der Antisemitismus bereits 1914-18 einen ersten traurigen Höhepunkt): dieses Denken erklärt vielfach die Vorurteile im Österreich der 2. Republik gegenüber slawischen und ungarischen Volksgruppen und Migranten aus dem Osten und Südosten Europas.
Zur Sinnhaftigkeit der Beschäftigung mit Vergangenheit bemerkt er, dass die Kenntnis der ‚desaströsen Folgen von Gewalt und Ungerechtigkeit in der Vergangenheit zu friedlicheren und gerechteren Problemlösungen in der Zukunft beizutragen vermag‘. Anregende Ausführungen zum Weiterlesen:

Befragung von Dr. Ernst Langthaler, Institut für Geschichte des ländlichen Raumes

Was waren die wichtigsten Faktoren, die dazu beitrugen, das Frieden_Verständigung_Demokratisierung gelungen ist? Was waren die Faktoren, die zu Krieg_Nationalismus_Autokratie führten?
Der von Österreich-Ungarn 1914 gegen Serbien entfesselte, zum europäischen und globalen Konflikt ausgeweitete „Große Krieg“ hat die gesellschaftliche Ordnung grundlegend umgewälzt. Die Folgen des Ersten Weltkriegs im Hinblick auf „Frieden_Verständigung_Demokratisierung“ versus

„Krieg_Nationalismus_Autokratie“ waren ambivalent: Einerseits gab die Ablösung der Doppelmonarchie der Habsburger in den Nachfolgestaaten – so auch in (Deutsch-)Österreich – den Weg frei für die Ausrufung demokratischer Republiken. Dies war mit der Ausweitung der politischen Beteiligung der Bevölkerung, etwa durch die Einführung des Frauenwahlrechts und den Machtzugewinn der Sozialdemokratie, verbunden.

Andererseits vertieften das wirtschaftliche und politische Chaos der letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre gesellschaftliche Trennlinien, etwa zwischen Stadt und Land, „Arbeiterschaft“ und „Bauernschaft“, „Deutschen“ und „Fremdvölkischen“. Dies trug in der politischen Landschaft Österreichs nach 1918 zur Festigung der politischen Lager – des christlichsozialen, deutschnationalen und sozialdemokratischen – nach innen und zu deren Abschottung nach außen bei; letztlich endete dies in der Ausschaltung der Sozialdemokratie und der Errichtung des austrofaschistischen „Ständestaats“ 1933/34.

Der Antisemitismus, der im „raffgierigen“ und „machtsüchtigen Juden“ die Wurzel der chaotischen Zustände in Wirtschaft und Politik erblickte, radikalisierte sich während der Kriegsjahre vor allem im von jüdischen Flüchtlingen aus dem Osten der Monarchie bevölkerten Wien. Bei den Führern von Christlichsozialen und Deutschnationalen, aber auch bei Vertretern der Sozialdemokratie galten in der Zwischenkriegszeit judenfeindliche Parolen als salonfähig. Besonders anfällig für nationalistische und rassistische Feindbilder war der Mittelstand, der in Kriegs- und Nachkriegsinflation einen erheblichen Teil seines Vermögens verlor und Abstiegsängste entwickelte.

Quer durch alle politischen Lager Österreichs hatte während des Krieges „völkisches“ Denken an Stellenwert gewonnen. Auf der Rechten wie auf der Linken beklagten Wortführer den Aderlass durch Kriegstote und -beschädigte sowie den – durch die Abwesenheit der Männer verursachten – Sittenverfall bei Frauen und Jugendlichen im Hinterland. Die Gegenmaßnahmen zur Stärkung des „Volkskörpers“ zerfielen in eine ‚positive Bevölkerungspolitik‘, die das „Volk“ durch Gesundheits-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen förderte, und in eine ‚negative Bevölkerungspolitik‘, die „verwahrloste“, „minderwertige“ und „volksfremde“ Personen und Gruppen in ihren Rechten einschränkte, vertrieb oder – im Extrem – vernichtete.
Ein Beispiel für den ersteren Ansatz war das sozialdemokratisch regierte Rote Wien, das in den 1920er und frühen 1930er Jahren einen paternalistischen Wohlfahrtsstaat im Kleinformat anstrebte. Ein Beispiel für den letzteren Ansatz war das nationalsozialistische Regime, das ab 1938 auch hierzulande eine Wohlfahrtsdiktatur für die deutsche „Volksgemeinschaft“ unter Ausschluss der „Gemeinschaftsfremden“ zu errichten trachtete. Wenn auch der Weg von Habsburg zu Hitler kein zwangsläufiger war, bestehen deutliche Verbindungspfade zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg, was manche Historiker von einem „Dreißigjährigen Krieg“ 1914 bis 1945 sprechen lässt.

Was wirkt heute noch nach und beeinflusst die Bilder in den Köpfen der Menschen und die politische Auseinandersetzung?
Das Denken in Feindbildern, das im Zeitalter der Weltkriege radikalisiert worden war, ist auch hundert Jahre danach noch immer nicht passé. Das nationalistische Überlegenheitsgefühl der Deutschen in der Habsburgermonarchie gegenüber anderen Nationalitäten äußerte sich im Österreich der Zweiten Republik in Vorurteilen gegenüber slawischen und ungarischen Volksgruppen sowie Migranten aus dem Osten und Südosten Europas. Allerdings konnten manche Konfliktlinien im 20. Jahrhundert überwunden werden, etwa die deutsch-französische „Erbfeindschaft“ im Friedensprojekt des vereinten Europa.

Kann die Beschäftigung mit Vergangenheit zur Veränderung der Zukunft beitragen?
Der hundertste Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs ist zunächst Anlass, das Geschehene zu beschreiben, zu verstehen und zu erklären. Dazu werden wir Historiker 2014 viele Beiträge leisten; so etwa organisiert das Institut für Geschichte des ländlichen Raumes gemeinsam mit dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde rund um die Schallaburg-Ausstellung eine Konferenz zum Alltagsleben an der „Heimatfront“. Historisch fundiertes Wissen schafft – gerade bei jüngeren, noch in der Persönlichkeitsentwicklung stehenden Menschen – eine Voraussetzung für eine reflexive Zivilgesellschaft. Die Kenntnis der desaströsen Folgen von Gewalt und Ungerechtigkeit in der Vergangenheit vermag zu friedlicheren und gerechteren Problemlösungen in der Zukunft beizutragen.

Die Fragen stellte Josefa Molitor-Ruckenbauer.

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