Friedrich Schuhböck: "Zynismus, der nicht zu übertreffen ist"

"Die größte Katastrophe ist, nichts zu tun": Caritas-Direktor Friedrich Schuhböck und Auslandshilfe-Leiter Lukas Steinwendtner.

ST. PÖLTEN (jg). Die Caritas der Diözese St. Pölten richtet im Rahmen der Kinderkampagne im Februar 2015 das Augenmerk auf die Not von Kindern, vor allem in Osteuropa. Gemeinsam mit den Pastoralen Diensten findet im Rahmen der Kampagne am 8. Februar 2015 in den Kirchen der Diözese eine Kirchensammlung – die sogenannte Osthilfesammlung – statt. Die Spenden werden unter anderem im Tageszentrum Haus Eden in Albanien eingesetzt, wo Kinder aus den Armenvierteln Tiranas gefördert und betreut werden. Wie dort mit Spenden gegen die Armut gekämpft wird, erzählen Caritas-Direktor Friedrich Schuhböck und Lukas Steinwendtner, Leiter der Caritas-Auslandshilfe, im Interview.

Spenden für die Osthilfesammlung sollen unter anderem dem Tageszentrum Haus Eden in Albanien zugutekommen. Haben Sie das Haus schon einmal besucht?
Steinwendtner: „Ja natürlich, wir sind mit unserem albanischen Projektpartner in engem Kontakt.“
In welcher Situation befinden sich Kinder im sogenannten „Armenhaus Europas“?
Steinwendtner: „Das Haus Eden kümmert sich um Kinder, die von der Straße kommen, die kaum in die Schule gehen, die sozial vernachlässigt sind. Sie leben meist unter ganz widrigen Verhältnissen, Toiletten ausserhalb des Hauses, wo gefährliche Stromleitungen liegen, ohne Heizung. Viele dieser Kinder sind oft auch damit beschäftigt, zum Familieneinkommen beizutragen. Sie müssen betteln oder Autoscheiben waschen, damit die Familie durchkommt.“
Worauf basiert diese soziale Vernachlässigung?
Schuhböck: „Die Situation ist dadurch geprägt, dass nach dem Umsturz des schärfsten kommunistischen Regimes eine Landflucht eingesetzt hat. Die Einwohnerzahl von Tirana hat sich innerhalb kurzer Zeit verdoppelt, aber die Infrastruktur ist nicht mitgewachsen. So sind unkontrollierte Siedlungen entstanden, in denen Bewohner von ganz einfachen Dingen des Lebens ausgeschlossen sind. Und die Kinder sind die, die am meisten darunter leiden, indem ihnen die elementarsten Dinge des Lebens vorenthalten werden.

"Die größte Katastrophe ist es, nichts zu tun"

Der Schwerpunkt der Kinderkampagne liegt auf der Bildung. Wie kann mit Bildung die angesprochene Armut bekämpft werden?
Schuhböck: „Der Grundsatz ‚Bildung vermeidet Armut‘ gilt weltweit. Denn dort wo Bildung ist, kann ich Dinge begreifen, habe soziale Kontakte und die Möglichkeiten, einen Beruf zu ergreifen.“
Steinwendtner: „Ich glaube, Bildung ist nicht nur ein Weg, sondern Bildung ist der Weg, um nachhaltig die Zukunft von Menschen zu verändern. Nur wenn ich die Werkzeuge, die ich in einem Schulsystem lernen kann, in der Hand habe, dann kann ich diese auch einsetzen.“
Ein Slogan der Kampagne lautet: „Die größte Katastrophe ist es, nichts zu tun?“ Bin ich ein schlechter Mensch, wenn ich nicht spende?
Schuhböck: „Ich würde nicht sofort sagen, ein schlechter Mensch, weil es ja auch andere Möglichkeiten der Unterstützung gibt. Für uns als kirchliche Institution ist es genau so wichtig, dass Menschen für uns beten und uns mit ihrer Arbeit unterstützen. Natürlich ist die Geldspende die effizienteste Möglichkeit, mit der wir arbeiten können.“
92.000 Euro wurden in den Pfarren der Diözese St. Pölten im Rahmen der Kinderkampagne 2014 gesammelt – Ihrer Meinung nach angesichts von aktuell 511.803 Katholiken in der Diözese ein Erfolg? Oder hätten Sie sich mehr erhofft?
Schuhböck: „Als Caritasdirektor ist mir hoffentlich der Gedanke nicht verwehrt, dass es immer mehr sein könnte. Ich will aber schon betonen, dass ich Respekt habe vor jeder selbstbestimmten Entscheidung. Ich gehe nicht sofort davon aus, dass jemand, der nicht für die Kinderkampagne spendet, überhaupt nicht spendet. Ich kenne auch genug Menschen, die bestimmte Anliegen haben und sehr substantiell fördern, die sagen, das ist mir ein Anliegen, hier spende ich großzügig, dafür spende ich für andere Projekte nicht. Gegen diese Form der selbstbestimmten Mitgestaltung will ich nichts einwenden.
Die Unterbringung von Flüchtlingen in Österreich sorgte zuletzt für Diskussionen. Auch die Caritas und die Diözese St. Pölten waren bemüht, Unterkünfte zu finden und bereitzustellen. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation für Flüchtlinge in Österreich ein?
Schuhböck: „Hier gibt es drei Punkte, die mir ein Anliegen sind: Nachrüsten muss Österreich bei der Länge der einzelnen Verhandlungen. Es ist einfach unzumutbar, viele Jahre auf einen Asylbescheid warten zu müssen. Dann das Thema Arbeit: Es ist schon verständlich, dass es in Österreich auch Arbeitslose gibt. Aber es kommen unter den Flüchtlingen teilweise hochspezialisierte Personen, deren Kenntnisse und Talente wir einfach liegen lassen. Das ist eine Unmöglichkeit, wo ich etwas lapidar sage: Da muss man uns Dummheit vorwerfen, wenn wir solche Potenziale aus volkswirtschaftlicher Sicht liegen lassen. Ein dritter Punkt, der mir auch persönlich wehtut: Kinder müssen aufgrund der Schulpflicht, wenn sie als Flüchtlinge nach Österreich kommen, sofort am ersten Tag in die Schule gehen, auch wenn sie die Sprache nicht beherrschen. Man muss sich einmal in die Seele eines 10-jährigen Kindes versetzen, was das heißt. Kinder am ersten Tag in die Schule zu schicken, ohne dass sie die Sprache verstehen, ist eine Zumutung.

"Dann sind wir plötzlich die, die jemand etwas schulden"

Einerseits wird in Österreich über die angeblich hohe Zahl von Flüchtlingen geklagt. Andererseits wird Geld für die Entwicklungshilfe gestrichen. Wie nahe ist Österreich an der „Katastrophe“ dran, „nichts zu tun“?
Schuhböck: „Ich glaube, es ist ein fast natürliches Verhalten, dass das Hemd näher ist als der Rock. Wenn in einem Land die budgetären Verhältnisse etwas enger werden, dann stellt man sich die Frage, wo man einsparen kann. Hier gibt es zwei Kategorien: Dort, wo es mich am wenigsten berührt beziehungsweise dort, wo es sich am meisten auswirkt. Das ist bei der Entwicklungshilfe und in der sozialen Landschaft der Fall. Wenn ich denen etwas wegnehme, die eh nicht viel haben aber sehr viele sind, bekomme ich mehr herein, als wenn ich den zehn Reichsten etwas wegnehme.“
Aber von einer Katastrophe zu sprechen, wäre doch zu gewagt?
Schuhböck: „Persönlich möchte ich schon sagen: Jeder, der sich mit der europäischen Entwicklung der letzten 500 Jahre auseinandersetzt, der muss wissen, wie viel wir aus anderen Ländern herausgegiert haben und darauf unseren Wohlstand gründen. Jetzt zu sagen, man soll die lassen wo sie sind, damit sie sich selber entwickeln können, ist ein Zynismus und ein Hohn, der nicht zu übertreffen ist.“
Welchen Stellenwert nimmt die Caritas unter anderem mit der Kinderkampagne angesichts anhaltender Krisen ein? Ist die Hilfe ein Tropfen auf dem heißen Stein oder kann auch in größerem Rahmen geholfen werden?
Schuhböck: „Wenn ich den Blick auf die einzelnen Kontinente und Länder richte, dann könnte ich weinen, weil fast nichts zu sehen ist. Wenn ich den Blick auf einzelne Kinder lenke, und sehe, wie die plötzlich Chancen bekommen haben und aufgeblüht sind, dann möchte ich auf keinen Cent verzichten, der irgendwo eingesetzt worden ist.“
Steinwendtner: „Man darf die Entwicklungszusammenarbeit auch nicht isoliert sehen. Für uns wäre es viel zu wenig, einzelne Projekte umzusetzen. Für uns ist es wichtig, neben den konkreten Projekten programmatisch auch höhere Ziele zu verfolgen, also auch Rahmenbedingungen zu verändern.
Schuhböck: „Ganz wichtig ist uns zum Beispiel ein Know-How-Transfer. In Albanien etwa haben wir mitgeholfen, eine Werkstatt für Behinderte einzurichten. Dort waren Menschen mit Behinderung zuvor unsichtbar und nur eine Last in den Familien. Mit unseren Projekten haben wir das Interesse bei staatlichen Stellen wecken können.“
Die Hilfe aus Österreich ist also weit nachhaltiger, als es auf den ersten Blick mit den exemplarisch aufgezählten Projekten erscheinen mag?
Schuhböck: „Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann ist es, dass wir von diesem gönnerhaften Denken wegkommen, und beginnen, in Richtung Solidarität und Gerechtigkeit zu handeln. Wir haben einige Jahrhunderte in sehr ungerechter Weise etwas getan, was wir jetzt gerechterweise wieder gutmachen sollten. Aus diesem Gedanken heraus sind wir plötzlich die, die jemand anderem etwas schulden, und nicht die, die jemandem etwas schenken.“

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