Burgenlands Berufsgeschichten
Was macht eigentlich eine Demenzberaterin?
Schätzungen zufolge leiden in Österreich etwa 130.000 Menschen an Demenz. Unter Demenz versteht man krankhafte Veränderungen des Gehirns, die mit einem fortschreitenden Verlust geistiger Funktionen wie Denken und Lernfähigkeit einhergehen. Das kann Betroffene und ihr familiäres Umfeld stark belasten. In Purbach befasst sich die Demenzberaterin Marina Moyses seit vielen Jahren mit der Krankheit und hilft Menschen, damit zu leben.
PURBACH AM NEUSIEDLER SEE. Marina Moyses bezeichnet sich selbst als "Demenzdolmetscherin". Sie berät Menschen im alltäglichen Umgang mit der Demenzerkrankung. Die eigentliche Expertise dahinter ist, zu erkennen, warum ein Betroffener agiert, wie er agiert. Was sind die Hintergründe und möchte die Person mit ihrem Verhalten etwas kommunizieren? Daher auch der Name, denn Moyses dolmetscht sozusagen "Deutsch" zu "Demenz" und "Demenz" zu "Deutsch".
Durchgeplante Arbeitstage
Ein typischer Arbeitstag als Demenzberaterin startet für Moyses meist mit Mails und Anrufe checken. Sie führt Telefonate mit Klient*innen, es kann auch sein, dass manche davon auf der Suche nach einem Tagesbetreuungsplatz sind, weshalb sie in weiterer Folge etliche Kontakte durchtelefoniert und sich um freie Plätze erkundigt. Pro Arbeitstag plant sie etwa ein bis zwei Beratungen. Dazwischen beschäftigt sich die Fachexpertin auch mit Projektbesprechungen, da sie auch Pflegeheime bei Schulungen oder Pflegeseminaren unterstützt. Einiges an Büroarbeit ist also auch mit dabei.
Broschüren sind wichtig
Außerdem kümmert sich Moyses um die Beschaffung aller möglichen Broschüren, von Beginn der Erkrankung bis hin zum schweren Stadium, hat sie alle Broschüren im Büro. "Meine Zielgruppe ist noch nicht sehr digital und googelt nicht. Die möchten etwas schriftliches mit haben. Wenn ich einem 70-Plus-Jährigem nichts mitgebe, hat er es schnell wieder vergessen", so die Demenzberaterin. Führt sie keine Beratungstermine aus, dann hält sie Vorträge für "Gesundes Dorf" oder Sprechstunden bei Gemeinden.
"Zwischen den Beratungen mache ich oft einen Spaziergang um den Häuserblock zum Runterkommen. Ich höre oft sehr viel intimes. Man kennt sich zwar nicht, aber trotzdem ist durch die Demenz das ganze Leben betroffen, weshalb manchmal Klient*innen auch zu weinen beginnen", so Moyses.
Neue Sprache oder Wörter erlernen
Schon seit 23 Jahren ist Marina Moyses diplomierte Krankenpflegerin, seit 19 Jahren ist sie in der Geriatrie tätig. Alte Menschen oder Schlaganfall-Patient*innen haben sie immer sehr fasziniert, vor allem weil in diesem Bereich noch so viel zu machen bzw. schaffen ist. "Ich habe Schlaganfall-Patient*innen oder Menschen mit Demenz erlebt, die wieder eine neue Sprache erlernt haben, neue Wörter trainiert haben und ihre hoch gesteckten Ziele erreicht haben". Sie wollte wissen, wie man es herauszufinden kann, ob es Menschen, die nicht mehr sprechen konnten, gut geht.
Ausbildung in der Schweiz
In der Schweiz hat Moyses eine besondere Ausbildung, die sich "Dementia Care Mapping" nennt, genossen. Dabei hat sie eine Sozialforschung erlernt, um Verhalten zu kodieren. Daran lässt sich erkennen, ob Erkrankte beispielsweise schlecht sitzen oder irgendetwas anderes nicht stimmt. "So habe ich gelernt, aus fast regungslosen, stummen Leuten, doch Wohlbefinden und Aktivität zu erkennen. Und dieses Wissen, erkläre ich betroffenen Familien", erklärt Moyses.
Aktivierung durch Spiele und Tools
Auch die "Demenzaktivierung" ist ein Teil von Moyses Arbeit. Demenz- oder Gedächtnisaktivierung fördert Mobilität, soziale Kompetenzen und geistige Fitness. Es gibt eigene Tools, die zur Aktivierung beitragen sollen (beispielsweise Zungentrommel, etc.). Manchmal führt sie auch einfache Gespräche mit den Betroffenen oder arbeitet mit Büchern.
Arbeit zahlt sich für "magische Momente" aus
Am meisten Spaß am Job macht der Demenzberaterin, es zu erleben, wenn die erkrankten Personen für einige Momente aus ihrer Erkrankung "aufwachen". Auch wenn sie stundenlang nichts sprechen, kann daraufhin ein Moment entstehen, an denen sie "wie aufgewacht" sind. Fünf Stunden Arbeit zahlt sich laut Moyses für solche "magische Momente" aus. Das spornt sie an und das möchte sie den Familien auch zurückgeben, denn im Alltagsstress oder in der Trauer sieht man solche Momente gar nicht mehr.
Mehr Wissen als "Google"
Die Herausforderung für Moyses ist die Tatsache, dass ein sehr breites Wissen für diesen Job notwendig ist. Zu ihr sei schon jemand gekommen und hätte gesagt "Ich bin gespannt ob Sie mir mehr sagen können als Google". Die Expertin hat sehr viel Zeit in ihr erlangtes Wissen investiert, es gibt über 90 Formen von Demenz. Sie hat mit 60-Jährigen, aber auch mit 90-Jährigen zu tun - das Spektrum sei riesig. Der zeitliche Aufwand ist enorm, das sollte einen auch interessieren.
"Nadel im Heuhaufen finden"
Im Beruf kommen Menschen mit gezielten Problemen im Alltag auf einen zu, das heißt man muss lösungsorientiert arbeiten. "Die Kunst ist es, aus einem riesigen Heuhaufen, die eine Nadel zu finden, die den Klienten oder die Klientin im Moment beschäftigt", meint Moyses. Außerdem gebe sie keine Ratschläge, denn "Ratschläge seien auch Schläge". Sie gibt den Klient*innen meist drei Ideen weiter, um den Menschen selbst die Entscheidung zu überlassen.
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