Interview mit Martha Krumpeck
"Burgenländische Klimastrategie ist Mogelpackung"
Klimakleber erregen in den Wiener Straßen nicht nur aufsehen sondern sorgen auch immer wieder für viel Ärger unter den Autofahrern. Martha Krumpeck zählt mittlerweile zu den bekanntesten Gesichtern der "Letzten Generation". Die gebürtige Schütznerin spricht in einem Interview über ihre Klebeaktionen, ihre Haftstrafe, ihren Bezug zum Burgenland und über die "Mogelpackung" der Klimastrategie des Burgenlandes.
WIEN/SCHÜTZEN AM GEBIRGE. Martha Krumpeck ist das Gesicht der Klima-Aktivisten der sogenannten Letzten Generation. Als Mitglied der Bewegung klebt sie sich regelmäßig gemeinsam mit anderen auf den Straßen Wiens fest, um für eine andere Klimapolitik zu protestieren. Die Aktivistin kommt ursprünglich aus Schützen am Gebirge und ist in Eisenstadt zur Schule gegangen. Die RegionalMedien Burgenland haben mit der gebürtigen Burgenländerin über ihre Aktionen und ihre Meinung zur Klimastrategie des Landes gesprochen.
Frau Krumpeck, Sie sind Klima-Aktivisten und Mitbegründerin der „Letzten Generation“. Wie ist es zu der Gründung der „Letzten Generation" gekommen?
Krumpeck: Die Letzte Generation ist aus Menschen entstanden, die sich schon viele Jahre in der Klima- und Überlebensbewegung engagieren und die dabei allesamt feststellen mussten, dass sich die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen mit angemeldeten Demos und symbolischem, alle paar Monate zur Schau gestelltem Ungehorsam leider nicht aufhalten lässt. Ich bin trotzdem froh, dass alle diese Dinge versucht wurden – nur aus dieser Erfahrung konnten wir Ende 2021 zu dem Schluss kommen, dieses Projekt zu starten.
Was sind die Ziele die hinter Ihren Aktionen stehen?
Krumpeck: Ganz einfach, ich will diese Klimakrise überleben, und zwar hier in Österreich. Die Letzte Generation will Menschen aufrütteln, ihnen vor Augen führen, wie dramatisch die Lage inzwischen ist. Diese Dringlichkeit, die auch von der Wissenschaft immer deutlicher kommuniziert wird, ist in der Bevölkerung noch nicht ansatzweise angekommen.
Wir stellen bewusst einfache, konkrete, sofort umsetzbare Forderungen an die Politik, die in der Wissenschaft großen Rückhalt genießen.
Warum gehen Aktivistinnen und Aktivisten wie Sie es sind mittlerweile nicht mehr demonstrieren sondern kleben sich auf Straßen fest oder bewerfen Gemälde mit Suppe?
Krumpeck: Die Demos haben am Anfang viel Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt und waren gewiss eine gute Sache, nur wurden sie einfach ausgesessen. Wir protestieren deshalb auf eine Weise, die sich nicht aussitzen lässt. Entweder, wir bringen die Politik dazu, auf die Wissenschaft zu hören – oder wir zwingen sie wenigstens dazu, uns alle wegzusperren.
Angenommen Sie könnten etwas an der derzeitigen Klimapolitik ändern. Welche Schritte würden Sie einleiten? Was wäre ihre Klimastrategie?
Krumpeck: Als allererstes sind natürlich die billigsten, einfachsten Dinge zu tun, um nicht noch mehr Zerstörung anzurichten. Das bedeutet keine neuen Öl- und Gasbohrungen, wie es etwa die Internationale Energieagentur schon 2021 gefordert hat. Und natürlich Temporeduktion im Straßenverkehr, weil es nichts kostet, sofort wirkt und die Lebensqualität verbessert. Die Akzeptanz in der Bevölkerung stellt sich nach der Einführung rasch ein, siehe etwa Beispiele aus der Schweiz und den Niederlanden.
Über diese ersten, einfachsten Schritte hinaus können die Maßnahmen nur von den Menschen selbst kommen. Der Klimarat ist ein gutes Beispiel dafür, wie es gehen kann – zufällig ausgeloste Bürger:innen, die gemeinsam mit Expert:innen Lösungen ausarbeiten, die für alle tragbar sind. Die 93 Forderungen, die im Endbericht letztes Jahr präsentiert wurden, sind allesamt grundvernünftig, werden aber bis heute ignoriert.
Hier braucht es dringend mehr Verbindlichkeit, etwa durch ein einklagbares Grundrecht auf Klimaschutz und die Einhaltung der Pariser Klimaziele – auch das im Übrigen eine der Forderungen des Klimarats.
Wichtig ist auch eine klare, offene und ehrliche Kommunikation der wissenschaftlichen Fakten. Dass die Klimakrise überhaupt derart entgleisen konnte liegt daran, dass fossile Industrie und gekaufte Politiker:innen die Bevölkerung jahrzehntelang belogen haben. Die größen Ölfirmen haben schon in den 1970er-Jahren nachweislich gewusst, worauf wir zusteuern!
Zum Gefängnisaufenthalt
Ihre Klebe-Aktionen ziehen immer auch Verwaltungsstrafen mit sich. Sie waren mittlerweile das zweite Mal in Haft, wenn ich mich nicht irre, bitte korrigieren Sie mich.
Krumpeck: Das ist korrekt. Es sind Verwaltungsstrafen, die ich mangels Einkommen und Vermögen nicht bezahle und deshalb absitzen soll. Inzwischen versucht die Behörde, mir für jeden Klebeprotest in Wien direkt zwei Wochen Haft anzuhängen, nachdem die Höchst-Geldstrafe von 1.440€ mich nicht von weiteren Protesten abgehalten hat.
Die Strafen werden jedenfalls beeinsprucht. Es soll ein Gericht darüber entscheiden, ob friedlicher Widerstand angesichts des Totalversagens Österreichs und vieler anderer Länder in der Klima- und Überlebenspolitik auch rechtlich angemessen ist. Wir befinden uns jedenfalls in einem moralischen Notstand, und solange dieser Notstand andauert, werden die Proteste weitergehen.
Die Geschichte zeigt, dass Strafandrohungen und Haft eine Kampagne friedlichen Widerstands nur noch stärker machen. So war es bei Gandhi, so war es bei der Bürgerrechtsbewegung, so war es in Österreich bei Zwentendorf und Hainburg.
Wie war ihre Haft? Wo mussten Sie einsitzen?
Krumpeck: Ersatzfreiheitsstrafen werden in Wien am gleichen Ort vollzogen, wo Menschen auch direkt nach dem Protest für bis zu 24 Stunden hinkommen: im Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände. Ich war auf Wunsch in einer Einzelzelle, weil in den Gemeinschaftszellen viel geraucht wird und ich Rauch sehr schlecht vertrage.
Nach der anfänglichen Quarantäne konnte ich mich an den meisten Tagen im Trakt frei bewegen; nur zu den Essenszeiten und über Nacht war die Tür versperrt. Jeden Tag gibt es die Möglichkeit, für eine Stunde auf der Dachterrasse an die frische Luft zu kommen. Besuch konnte ich 2x pro Woche für jeweils eine halbe Stunde empfangen. Wie im Film, mit Scheibe dazwischen und allen Gesprächen über einen Telefonhörer.
Es gibt natürlich angenehmere Dinge, als den Tag in Haft zu verbringen. Ich hatte aber jede Menge Lese- und Lernstoff dabei, damit war mir nie langweilig. Das Wachpersonal hat sich mir gegenüber immer höflich und korrekt verhalten.
Nach Ihrer Haft ging es gleich wieder auf die Straße?
Krumpeck: Ich habe mich binnen einer Stunde danach gleich wieder festgeklebt.
Wie lange werden Sie ihre Aktionen noch durchführen?
Krumpeck: Die Proteste gehen so lange weiter, bis diese Regierung in der Lage ist, einen Plan vorzulegen, mit dem sie die eigenen Ziele erreichen kann – oder wenigstens die billigsten, einfachsten Maßnahmen setzt, Stichwort Tempo 100 und keine neuen Öl- und Gasbohrungen. Es kann wie gesagt sein, dass wir zuerst unsere Demokratie reparieren müssen, bevor wenigstens diese Minimalforderungen umsetzbar sind.
Die Klebe-Aktionen kommen bei der breiten Bevölkerung und vor allem bei AutofahrerInnen nicht gut an. Wie gehen Sie mit der Kritik um?
Krumpeck: Friedlicher Widerstand ist kein Beliebtheitswettbewerb. Martin Luther King war in den 1960er-Jahren einer der unbeliebtesten Männer Amerikas – die Bürgerrechtsbewegung hat sich trotzdem durchgesetzt. Es geht darum, auf ein moralisches Unrecht auf eine Weise aufmerksam zu machen, die nicht mehr ignoriert werden kann. Auch, wenn das bedeutet, sich während der Kampagne dem Hass vieler Mitmenschen auszusetzen.
Es soll niemand mehr sagen können, er oder sie hätte nicht gewusst, auf welche Katastrophe wir da zurasen. Es soll niemand sagen können, wir hätten nicht alles versucht, um diese Hölle auf Erden zu verhindern. Die Beliebtheit kommt dann, wenn Menschen verstehen, welche “selbstverständlichen” Dinge sie der Kampagne von damals verdanken.
Bei Protesten in Wien erlebe ich in letzter Zeit immer mehr Solidarität aus der Bevölkerung. Also von Menschen, die uns “Daumen hoch” zeigen, oder im Vorbeigehen ein “Danke” zurufen.
Bezug zum Burgenland
Sie sind ehemalige Schütznerin und sind in Eisenstadt in die Schule gegangen. Was verbindet Sie noch mit dem Burgenland? Kommen Sie noch ins Burgenland? Was macht das Burgenland so besonders?
Krumpeck: Ich bin in Schützen aufgewachsen, und ich schätze die Gegend sehr. Meine Eltern und viele Verwandte leben bis heute dort. Im Dorf kennen sich die Leute gegenseitig; man grüßt sich auf der Straße. Die Luft ist besser als in der Stadt, solange man nicht an einer Durchzugsstraße wohnt. Es gibt Gemüse aus dem eigenen Garten, und Obst vom eigenen Baum. Meine Oma hält Hühner, für Eier ist also auch gesorgt. Ich komme aus einer Winzerfamilie – dem frisch gepressten Traubensaft während der Weinlese habe ich immer sehr genossen.
Ich schaffe es derzeit leider nur selten, auf Besuch vorbeizukommen. Mein Arbeitspensum ist zu hoch; ich komme kaum hinterher. Zu viele Meetings (oft mehrere am Tag), zu viele Dinge zu koordinieren, zu viele Texte zu schreiben. Während einer Protestwelle schlafe ich am Tag oft nur 2-4 Stunden.
Die Burgenländische Landesregierung präsentierte vor kurzem 120 Maßnahmen für den Weg zur Klimaneutralität. Das Burgenland will bereits bis 2030 klimaneutral werden, 10 Jahre vor dem österreichischen Klimaziel.
Was halten sie von der Klimastrategie des Burgenlandes? Ist das Burgenland auf dem richtigen Weg?
Krumpeck: Leider eine Mogelpackung. Bis 2030 soll nicht einmal ein Viertel der Emissionen aus dem Burgenland tatsächlich eingespart werden. Der Rest sind “Kompensationsmaßnahmen”, die das CO2 anderswo ausgleichen sollen, und zwar hauptsächlich über den Export von grünem Strom. Damit soll anderswo fossile Energie ersetzt werden – das setzt aber voraus, dass Österreich und/oder Nachbarländer die Energiewende verschlafen. Darüber hinaus fehlen abgesehen vom Sektor Energie sowohl konkrete Maßnahmen als auch konkrete Ziele.
Die Elefanten im Raum – etwa der Flächenfraß durch die Zersiedelung – werden nicht einmal angesprochen. Das Papier sieht einzig Anreize vor, aber nur mit Anreizen allein werden wir die Klimakrise nach Stand der Wissenschaft nicht in den Griff bekommen. Und doch ist etwa im für fast die Hälfte der Emissionen verantwortlichen Verkehrssektor kein einziges Mal die Rede davon, dass zerstörerisches Verhalten verboten, verteuert oder in anderer Weise weniger attraktiv gemacht werden soll.
Mit diesen Maßnahmen wird das Burgenland die für 2030 angestrebten Ziele nicht erreichen.
Ausblick
Was planen Sie als Nächstes? Was wird noch kommen, wenn Ihre aktuellen Aktionen nicht funktionieren?
Krumpeck: Klar ist, dass unser Protest dann noch häufiger, noch länger und noch störender auftreten wird – unsere Grenze liegt bei unseren Werten und Prinzipien; das heißt etwa absolute Gewaltfreiheit gegenüber anderen Menschen.
Planen Sie auch Aktionen Ihrerseits im Burgenland?
Krumpeck: Ich selbst habe nicht die Kapazitäten dazu – wenn sich Menschen finden, die im Burgenland einen Ableger gründen wollen, dann wird ihnen das bundesweite Team sicher mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Was ist Ihr Appell an die Bundesregierung?
Krumpeck: Hört doch bitte endlich auf, zu lügen. Es ist eine Sache, nicht einmal ein Klimaschutzgesetz auf die Reihe zu bekommen – und eine andere, sich trotz wieder und wieder und wieder verpasster Klimaziele als “Vorreiter” hinzustellen. Wenn euch kommende Generationen so egal sind, dann seid wenigstens ehrlich.
Was könnte jede/r BurgenländerIn tun, um den Alltag klimafreundlich zu gestalten?
Krumpeck: Im eigenen Leben sind die drei effektivsten Dinge nicht fliegen, weniger Fleisch/tierische Produkte konsumieren und die Heizung runterdrehen im Winter – aber die Klimakrise ist inzwischen viel zu weit fortgeschritten, als dass wir den Zusammenbruch unserer Lebensgrundlagen nur mit dem eigenen Konsumverhalten noch aufhalten könnten. Das allerwichtigste sind Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung, mit denen klima- und damit zukunftsfreundliches Verhalten einfacher, angenehmer und billiger gemacht wird als das Gegenteil. Bewegungen zu unterstützen, die Druck auf diese Institutionen ausüben, muss deshalb an erster Stelle stehen.
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